Den Misano-Test nutzen die MotoGP-Teams und Hersteller traditionell, um ihre jeweiligen Stammfahrer erstmals mit den neuen Grundkonzepten oder ganzen Prototypen für das nachfolgende Jahr auf die Strecke zu schicken. Jedes Mal aufs Neue ein entscheidender Moment, werden in diesen achtstündigen Testfahrten doch die Grundlagen für eine - im Idealfall - erfolgreiche Saison gelegt. So auch am vergangenen Montag. In diesem Jahr hatte der Misano-Test aber gleich doppelte Bedeutung.

Die letzten offiziellen Testfahrten der MotoGP-Saison 2024 nutzte Einheitshersteller Michelin nämlich, um die Stammfahrer der Königsklasse erstmals einen neuen Vorderreifen ausprobieren zu lassen. Dazu wurde nach der Mittagspause von 14:00 bis 14:30 Uhr extra ein halbstündiges Zeitfenster freigeräumt, in dem sich die elf MotoGP-Teams einzig auf Testkilometer mit der neuen Front-Variante konzentrieren konnten. Diese kommt mit einer neuen Karkasse daher und soll damit die Temperaturempfindlichkeit der derzeit im Einsatz befindlichen Variante eliminieren. Eine Einführung zur Saison 2025 wurde bereits im Vorjahr angekündigt.

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MotoGP-Fahrer erkennen: Neuer Michelin-Reifen verschlechtert Kurveneingang

Insgesamt 19 Fahrer nutzten am Montag die Gelegenheit, um erste Erfahrungswerte und Kilometer auf dem neuen Gummi zu sammeln. Fabio Di Giannantonio, Augusto Fernandez und ein dritter, unbekannter Fahrer mischten aus unterschiedlichen Gründen nicht mit. Der Fokus lag in der 30-minütigen Testphase zwar nicht auf Performance und Rundenzeit, schlecht fielen diese allerdings auch nicht aus. Jorge Martin schrieb in 1:31.226 Minuten die schnellste Rundenzeit an und war damit schon nach wenigen Runden nur ein knappes Zehntel langsamer als in seiner besten Runde vom Vormittag: Eine 1:31.124 Minuten, die er erst wenige Augenblicke vor Beginn der Mittagspause gesetzt hatte.

Entsprechend gespannt lauschten die anwesenden Journalisten in den Abendstunden den Erkenntnissen der Fahrer, die sie in ihren jeweiligen Medienrunden preisgaben. Das Feedback viel dabei sehr gemischt aus. Youngster Pedro Acosta sagte beispielsweise klipp und klar: "Ich mag ihn überhaupt nicht. Der Grip in Kurvenlage ist nicht schlecht, aber auf der Bremse ist er mir viel zu soft." Und Alex Marquez schlug in eine ähnliche Grube: "Ich war zu Beginn nicht gerade beeindruckt. Das Bike hat sich speziell im Kurveneingang komisch angefühlt. Es war, als würde es gerade ausfahren."

"Ich hasse ihn", lachte zunächst auch Miguel Oliveira. Der Portugiese meinte diese Aussage allerdings nicht wirklich ernst, hatte lediglich Probleme bei der Anpassung an die neue Reifenvariante. "Das Gefühl war ganz anders, speziell zu Beginn sehr komisch. Es fühlt sich an, als hätte er sehr viel Grip, daran musste ich mich erst gewöhnen. Der Reifen hat aber definitiv ein paar Vorteile. Der Grip war einfach so hoch im Vergleich zu dem, was ich gewöhnt bin, dass es merkwürdig war", bilanzierte er und sortierte sich somit ziemlich im Mittelfeld des Meinungsspektrums ein.

Auch Marco Bezzecchi testete in Misano Michelins neuen Vorderreifen, Foto: LAT Images
Auch Marco Bezzecchi testete in Misano Michelins neuen Vorderreifen, Foto: LAT Images

Michelin findet Grip auf der Bremse und verliert ihn in Schräglage

Dort landeten generell viele Piloten. Die Mehrheit berichtete von besserem Gefühl auf der Bremse, allerdings auch von Verschlechterung im Kurveneingang und beim Richtungswechsel. "Zu Beginn war es verdammt komisch, mit der Zeit hast du dann mehr Vertrauen aufgebaut. Die Stabilität ist sehr gut, ich hätte aber gerne noch etwas mehr Agilität. Das Bike ist wieder einmal schwerer geworden. Der Richtungswechsel wurde dadurch schwieriger, aber die Stabilität auf der Bremse war besser", erklärte beispielsweise MotoGP-Superstar Marc Marquez und bekam dabei Zuspruch von Marco Bezzecchi: "Auf der Bremse fühlt er sich sehr gut an, der Reifen ist weicher. Wenn du hart bremst, bleibt damit mehr Gummi auf dem Boden. In Schräglage fühlt er sich dafür etwas steifer an, weil der Reifen gerade bleibt. Der Kurveneingang ist also etwas schwerer."

"Am Anfang war das Gefühl etwas merkwürdig, speziell auf der linken Seite hat es sich angefühlt, als würdest du stürzen. Am Ende waren die Zeiten aber sehr gut, schneller als davor. Außerdem war auch der Richtungswechsel schneller und wir konnten das Bike auf der Bremse in kürzerer Zeit stoppen", berichtet dagegen Enea Bastianini, der beim Umlenken von einer Kurve in die andere also sogar eine Verbesserung gegenüber der 2024er-Variante erkannt haben wollte. Alex Rins stimmt dem zu: "Der Richtungswechsel war besser, das Bike hat sich leichter angefühlt. Der Kurveneingang war allerdings etwas schwieriger. Es fühlt sich so an, als würde mehr Gummi den Asphalt berühren, was schwer war, korrekt einzuschätzen." Gänzlich glücklich war der Yamaha-Pilot also nicht - so, wie auch zahlreiche Kollegen. "Wir werden sicher noch etwas Feinarbeit leisten müssen", hält Joan Mir stellvertretend fest.

Der neue Vorderreifen von Michelin verbessert das Fahrgefühl auf der Bremse, Foto: LAT Images
Der neue Vorderreifen von Michelin verbessert das Fahrgefühl auf der Bremse, Foto: LAT Images

Francesco Bagnaia scherzt: Will den Reifen genau so haben!

Sichtbar zufrieden waren nur wenige MotoGP-Stars. Johann Zarco und Raul Fernandez sprachen sich zwar positiv aus, so deutlich wie Weltmeister Francesco Bagnaia wurden sie allerdings nicht. "Ich liebe ihn", begann der Ducati-Star seine Medienrunde und erklärte im Anschluss: "Ich bin ein Fahrer, der die Bremse sehr stark benutzt, um das Bike in die Kurve zu wuchten. Das klappt mit diesem Reifen richtig gut. Der Richtungswechsel ist etwas schwerer geworden, aber ich mag den zusätzlichen Grip. Du kannst den Reifen stärker belasten und ich habe auch das Gefühl, dass der Reifendruck beim Hinterherfahren hinter einem anderen Piloten weniger zum Problem wurde. In Summe könnte das also ein guter Schritt sein. Am Anfang war es komisch, aber sobald ich ihn verstanden hatte, war es richtig gut."

Über die negativen bis gemischten Aussagen seiner Konkurrenten informiert, forderte Bagnaia deshalb scherzhaft eine Einführung zur kommenden Saison ohne weitere Anpassungen. "Ich hoffe, dass sie ihn genau so bringen", lachte der zweimalige MotoGP-Weltmeister, sich im kommenden Jahr einen kompetitiven Vorteil erhoffend. Bis dahin dürfte es allerdings noch ein weiter Weg sein. Denn in Misano waren auch zahlreiche Angestellte von Michelin im Paddock unterwegs, um möglichst viel Feedback der Fahrer einzusammeln. Darauf basierend werden wohl weitere Feinarbeiten vorgenommen werden, ehe der neue Vorderreifen voraussichtlich beim Valencia-Test (19.11.) nach Saisonende nochmal ausgiebig getestet werden wird.