Der MotoGP-Titelkampf 2023 nahm am Samstag in Valencia eine weitere Wendung. Francesco Bagnaia konnte seinen ersten Matchball nicht nutzen, Jorge Martin verkürzte den Rückstand durch einen Sieg im Sprint vor dem finalen Hauptrennen am Sonntag nochmal auf 14 Punkte. Der amtierende Weltmeister muss vor dem Valencia Grand Prix damit noch um die Titelverteidigung zittern, es hätte aber auch noch schlimmer kommen können.

Schließlich hatte Bagnaia am Samstag trotz Startplatz zwei nicht die Pace, um mit dem Top-Piloten mitzuhalten. Schon nach wenigen Runden hatten sich Martin, Brad Binder, Marc Marquez und Maverick Vinales um mehr als eine Sekunde distanziert. Platz fünf war somit das Maximum für den Ducati-Piloten. Dabei musste er sich bis zum Schluss auch noch gegen Fabio Di Giannantonio verteidigen. Der Katar-Sieger hing über weite Strecken des Sprints direkt hinter Bagnaia und wirkte deutlich schneller, verzichtete aber auf eine Attacke. Daher tauchte schnell die Frage auf: Wurde der Gresini-Pilot von Ducati eingebremst, um den WM-Schaden für Bagnaia gering zu halten?

Fabio Di Giannantonio lag im Sprint direkt hinter Francesco Bagnaia, Foto: LAT Images
Fabio Di Giannantonio lag im Sprint direkt hinter Francesco Bagnaia, Foto: LAT Images

Die Antwort fällt eindeutig aus: Nein! Di Giannantonio kam schlicht und einfach aus eigener Kraft nicht vorbei. "Ich hatte einen großartigen Speed, mein Ziel war das Podium und ich habe wirklich versucht, das zu schaffen. Ich habe versucht, Pecco zu überholen, aber ich hätte einfach zu viel Risiko eingehen müssen", beschrieb 'Diggia' am Samstagnachmittag selbst. Er bekam also keine Anweisung von Ducati, hinter Bagnaia zu bleiben, er hätte durchaus vorbeifahren können. Da kein risikofreies Manöver möglich war, hielt er sich jedoch zurück, um den WM-Anwärter nicht aus dem Rennen zu befördern.

"Jeder hat in Katar gesehen, dass ich ein Überholmanöver fahren darf. Ich bin hier, um mein eigenes Rennen zu fahren und das Beste für mein Team rauszuholen. Wir geben unser Maximum und das war heute eben Platz sechs", erklärt der Gresini-Pilot, der gerne mehr erreicht hätte: "Ich bin wirklich sauer, weil ich heute morgen ein seltsames Gefühl mit der Front hatte. Dadurch konnte ich im Qualfying nicht attackieren und war weiter hinter als gestern. Wir waren gezwungen, von hinten zu starten. Ich bin wütend, weil das Potenzial da war, wir es aber nicht zeigen konnten."

In Katar behielt Di Giannantonio noch die Oberhand im Zweikampf mit Bagnaia, Foto: LAT Images
In Katar behielt Di Giannantonio noch die Oberhand im Zweikampf mit Bagnaia, Foto: LAT Images

Vorjahres-Ducati macht sich bemerkbar: 'Diggia' auf Geraden ohne Chance

Doch warum kam der offensichtlich schnellere Di Giannantonio im Valencia-Sprint nie in eine aussichtsreiche Position für ein Manöver gegen Bagnaia? "Ich hatte große Probleme, aus den Kurven heraus meine Traktion auf den Boden zu bekommen", erklärt der gebürtige Römer. "Es ist verrückt, wie viel mehr Beschleunigung sein Bike hat. Ich habe auf den Geraden zu viel verloren, ich brauchte die ganze Runde, um wieder ranzukommen. Um in der MotoGP überholen zu können, musst du das Manöver während der Runde vorbereiten können. Wenn du aber die ganze Runde brauchst, um das aufzuholen, was du auf der Gerade verloren hast, kannst du nicht überholen."

Bestätigt wurden diese Aussagen von Marco Bezzecchi, der direkt hinter Bagnaia und Di Giannantonio ins Ziel kam. Auch er war nicht in der Lage, den Titelverteidiger zu attackieren: "Ich habe mich gut gefühlt, ich bin meine Pace gefahren. Vielleicht wäre noch etwas mehr gegangen, aber das war zu riskant. Als ich hinter Fabio [Quartararo, Anm.] war, wollte ich beide überholen und dann mein Rennen weiter durchziehen. Als Fabio gestürzt ist, wurde ich aber von Diggia überholt und habe dann in Turn 4 und 5 ein paar Fehler gemacht. Dadurch habe ich etwas Zeit verloren und hier in Valencia hat jeder eine ähnliche Pace. Ich habe fünf Runden gebraucht, um wieder ranzukommen und dann war das Rennen vorbei."

Fabio Quartararo zeigt: Überholen in Valencia nur mit viel Risiko

Tatsächlich sind die Abstände in Valencia historisch immer sehr eng, durch den Valencia-Test sind viele Daten verfügbar. Im 2. Freien Training am Samstagvormittag waren die 20 Stammpiloten bspw. nur durch 0,803 Sekunden getrennt. Um Überholen zu können, braucht es auf dem ohnehin engen Circuit Ricardo Tormo daher viel Risiko. Das zeigt auch der Fall Quartararo: "Ich war von Runde eins an am Limit. Ich fühlte mich viel schneller als Pecco, konnte aber nicht überholen. Ich habe es dann trotzdem versucht, aber es ist offensichtlich, dass es sehr schwer war." Der Yamaha-Pilot stürzte beim Überholversuch gegen Bagnaia in Turn 6 aus dem Rennen.

Fabio Quartararo kam beim Überholversuch gegen Bagnaia zu Sturz, Foto: LAT Images
Fabio Quartararo kam beim Überholversuch gegen Bagnaia zu Sturz, Foto: LAT Images

Dieses Risiko wollte Di Giannantonio schlicht nicht eingehen. Dabei spielte aber sicherlich auch eine Rolle, dass der 25-jährige noch um seine MotoGP-Zukunft bangt. Seine letzte Hoffnung ist dabei ein Platz im VR46 Racing Team, wo er die Nachfolge von Luca Marini antreten könnte. Er gilt dort als Topfavorit, nachdem Fermin Aldeguer unter der Woche aus dem Rennen ausgeschieden ist. Teamchef Valentino Rossi ist extra nach Valencia gereist, um die finale Entscheidung zu treffen. Bekanntlich einer seiner VR46-Academy-Schützlinge: WM-Anwärter Bagnaia. Da wäre es sicherlich nicht vorteilhaft für 'Diggia', dessen Chancen auf die Titelverteidigung mit einem Überholmanöver zu schmälern.

Bagnaia selbst vermutete jedenfalls erhöhte Vorsicht bei seinem Markenkollegen. "Ich denke schon, ja", berichtete er am Samstagnachmittag. "Wir haben um den fünften Platz gekämpft. Auch wenn er vorbeigekommen wäre, hätte er die Spitze nicht mehr eingeholt. Für mich wäre das aber ein größeres Problem gewesen. Jetzt haben wir noch 14 Punkte. Das ist ein kleiner Vorsprung, aber wir sind noch vorne." Tatsächlich hätte ein sechster Platz im Sprint für Bagnaia einen großen Unterschied gemacht. Bei nur 13 Punkten Rückstand könnte sich Martin bei einem Ausfall seines Titelrivalen auch mit P4 noch zum Weltmeister krönen, so muss er im Valencia Grand Prix aber mindestens Dritter werden.