Am vergangenen Wochenende zündeten die MotoGP-Verantwortlichen in Person von Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta, FIM-Präsident Jorge Viegas und IRTA-Chef Herve Poncharal in Spielberg eine echte Bombe: Ab der Saison 2023 werden zusätzlich zu den sonntäglichen Hauptrennen am Samstag Sprintrennen ausgetragen, die über die halbe Distanz gefahren und dementsprechend auch halbe Punkte geben werden.
Ein Plan, über den die MotoGP-Fahrer erst informiert wurden, als dieser bereits beschlossene Sache war. Hätte man sie zuvor nach ihrer Meinung gefragt, wäre der Gegenwind wohl massiv gewesen. Wenngleich praktisch alle Piloten den dadurch steigenden Showfaktor anerkannten, machten sie sich doch Sorgen um ihr eigenes Wohl. Voraussichtlich 42 Rennen in rund acht Monaten im Jahr 2023 - Zahlen, die bei den MotoGP-Stars Unbehagen auslösen.
In einer durchaus bizarren Pressekonferenz am Samstag in Spielberg stand das eingangs erwähnte Trio Rede und Antwort zum neuen Sprintformat. Die Bedenken der Fahrer wurden dabei mit Vergleichen zu Formel 1 und Superbike-WM - wo in den vergangenen Jahren ebenfalls zusätzliche Rennen am Wochenende eingeführt wurden - weggewischt. "Die Fahrer werden das, was wir von ihnen verlangen, auch schaffen. Wir sind noch lange nicht am Limit", sagte etwa Carmelo Ezpeleta mit Verweis auf die ebenfalls von der Dorna gemanagte Superbike-WM, wo es mittlerweile zwei Hauptrennen und das kürzere Superpole-Race gibt. Auch, dass die Formel 1 mit ihrem Sprintformat als Vorbild diente, leugnet Ezpeleta nicht.
Und genau hier liegt die Krux. Die MotoGP ist nicht die Superbike-WM und auch nicht die Formel 1. Vom Vierradpendant unterscheidet sie sich relativ klar. In einem Fall sitzt der Fahrer in einem praktisch unzerstörbaren Monocoque, im anderen Fall schützt ihn lediglich die am Körper befindliche Ausrüstung mit Helm, Lederkombi, Handschuhen und Stiefeln. Die MotoGP kann ein unglaublich schöner Sport sein. Sie war, ist und wird aber auch immer ein brutaler Sport bleiben. An den bisherigen 13 Rennwochenenden 2023 verpassten mit Marc Marquez, Pol Espargaro, Alex Rins und Raul Fernandez bereits vier Fahrer verletzungsbedingt einen Grand Prix, Joan Mir fällt in Misano aus. Hinzu kommen Piloten wie Jorge Martin, der im Saisonverlauf frühere Verletzungen operativ behandeln lassen musste oder Aleix Espargaro, der in Silverstone mit einem frisch gebrochenen Fersenbein am Start stand. Simpel gesagt: Die Verletztenliste in der MotoGP ist lang. Sehr lang.
Im Automobilsport sind Verletzungen hingegen die absolute Ausnahme. In der Formel 1 muss man schon fast zwei Jahre, bis an den Feuerunfall von Romain Grosjean in Bahrain zurückblicken, um einen Unfall mit folgender Zwangspause zu finden. Und dennoch tastete man sich in der Formel 1 zunächst vorsichtig an den Sprint heran und beschränkte sich in den ersten beiden Saisons auf jeweils drei Ausgaben. Dass sich ein zusätzliches Rennen in der MotoGP ganz anders auswirkt als bei den vierrädrigen Kollegen, liegt auf der Hand. Selbst wenn die Track-Time, also die auf der Strecke verbrachte Zeit an einem Wochenende, mit dem neuen Sprintformat praktisch gleichbleibt, steigt das Risiko für die MotoGP-Stars. "Du bist näher beisammen. Es gibt Zweikämpfe. Rennen sind immer gefährlicher als Trainings", stellt Pol Espargaro klar fest.
Ein Vergleich zwischen MotoGP und Superbike-WM scheint auf den ersten Blick akkurater, doch im Detail sind auch hier die unterschiedlichen Rahmenbedingungen klar erkennbar. Ja, die WSBK fährt am Wochenende sogar drei Rennen. Diese fallen aber deutlich kürzer aus als in der MotoGP. In Misano etwa fährt die Superbike-WM in ihren Hauptrennen 21 Runden, die MotoGP 27. Macht neun Minuten mehr Rennzeit. Das Superpole-Rennen dauert zehn, der MotoGP-Sprint wohl 13 oder 14 Runden. Klingt nicht nach viel, macht in Kombination mit den durch Aerodynamik und Ride-Height-Devices in den letzten Jahren extrem fordern gewordenen MotoGP-Bikes aber doch einen massiven Unterschied aus. Es ist kein Zufall, dass Armpump im Paddock der Königsklasse deutlich öfter zuschlägt als bei den seriennahen Bikes.
MotoGP-Motorräder sind darüber hinaus viel komplexer abzustimmen als ihre WSBK-Pendants. Schon jetzt klagen die Fahrer und Crews über sehr begrenzte Zeit, in der sie das korrekte Setup finden müssen. Die ersten drei Trainings entscheiden ja über die Aufteilung in Q1 beziehungsweise Q2 und werden somit selbst bereits zu kleinen Qualifyings. Für Tüfteleien bleibt da keine Zeit. Nun wird eines dieser Trainings komplett gestrichen. Die ersten beiden sollen dafür zwar verlängert werden, dennoch wird die Vorbereitungszeit auf der Strecke schrumpfen. Weniger Track-Time bedeutet weniger Perfektion bedeutet aufregenderes Racing, besagt eine Milchmädchenrechnung im Motorsport. Wenig Track-Time in Verbindung mit Fahrern, die dennoch ans Limit gehen müssen, bedeutet aber auch massives Risiko. Wozu ein nicht richtig abgestimmtes Motorrad führen kann, konnte man etwa in dieser Saison beim Indonesien-GP eindrucksvoll sehen, als Marc Marquez einen der brutalsten Highsider der Geschichte hinlegte und anschließend mehrere Wochen außer Gefecht war.
MotoGP-Sprints: Ein gefährlicher Weg
Es ist zu früh, um das Sprintformat in der MotoGP zu verteufeln. Warten wir ab, wie sich dieser Modus entwickelt. Sprechen wir aber auch klar an, was es ist: Ein Kniefall vor finanziellen und marketingstrategischen Interessen. Zulasten eines Fahrerfeldes, das ohnehin bereits auf dem Zahnfleisch kriecht.
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