Die Königsklasse? Das ist die UEFA Champions League! Ist doch ganz klar, oder? Ja - zumindest dann, wenn es um Fußball geht. Spricht man im Motorsport von Königsklasse, wird damit etwas anderes assoziiert. Im Automobil- bzw. Vierradsport ist es die Formel 1, im Motorrad- bzw. Zweiradsport die MotoGP. Beide Klassen gelten als das Beste, was es im jeweiligen Sport zu sehen gibt: Die besten Fahrer, die besten Teams, die beste Action, die besten Geschichten - zumindest war das in der Vergangenheit so.

Zugegeben: Der Status der Formel 1 ist noch immer unumstritten. Auf Seiten der MotoGP sieht das allerdings anders aus. Denn im Kreise der Motorrad-Enthusiasten wurden in den vergangenen Monaten und Jahren immer mehr Stimmen laut, wonach die Superbike-Weltmeisterschaft mittlerweile die bessere Rennserie sei: Hochklassigere, spannendere Rennen, mehr Überholmanöver und mehr Action, ein besseres Fanerlebnis und vieles mehr. Daher sei an dieser Stelle die Frage erlaubt: Wer ist hier denn nun eigentlich die Königsklasse auf zwei Rädern? Die MotoGP? Oder doch die Superbike-WM? Wir haben uns beide Rennserien angesehen und miteinander verglichen. Die Auflösung gibt's am Ende.

Die Rennen

Gehen wir zunächst einmal der Frage nach der besseren Unterhaltung nach. Elementar hierfür ist natürlich das Wochenendformat, welches darüber bestimmt, wie viel Renn- und Qualifying-Action die Fans der jeweiligen Serien überhaupt zu sehen bekommen. Die Superbike-Weltmeisterschaft hatte 2023 insgesamt zwölf Rennwochenenden. Neben drei Trainingseinheiten kamen die Fans in den Genuss einer 15-minütigen Qualifyingsession, eines Sprintrennens und zweier Hauptrennen. Hochgerechnet auf eine ganze Saison ergibt das 180 Minuten Qualifying und 36 Rennen (24 Hauptrennen und 12 Sprints).

Zahlen, die die MotoGP im Jahr 2023 problemlos übertreffen konnte. Hier gab es 20 Rennwochenenden mit jeweils zwei 15-minütigen Qualifyingsessions - Q1 und Q2 - sowie einem Sprint- und einem Hauptrennen. Die Sprint-Absage in Australien mit einberechnet ergab das ganze 600 Minuten Qualifying-Action und 39 Rennen (je 20 Hauptrennen und 19 Sprints). Klarer Vorteil also für die MotoGP, was Unterhaltung angeht.

Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch, dass die MotoGP ihr Wochenend-Format erst zu dieser Saison geändert hat. Die Sprints wurden 2023 neu eingeführt, in der Vergangenheit gab es diese nicht. 2022 trug die MotoGP lediglich 20 Rennen aus, während die Superbike-WM damals schon auf insgesamt 36 Rennen setzte und ihren Fans somit tatsächlich deutlich mehr Action bot, als es die MotoGP tat. Und dabei handelt es sich nicht um einen Sonderfall, diese Differenz gab es seit Bestehen der WorldSBK im Jahr 1988 - obwohl die Sprintrennen auch hier erst 2019 eingeführt wurden. Grund dafür sind natürlich die zwei Rennen pro Wochenende: Eines am Samstag und eines am Sonntag. Im Schnitt bekamen die Fans der WSBK im vergangenen Jahrzehnt pro Saison also knapp zehn Rennen mehr zu sehen als Anhänger der MotoGP.

Allerdings werden die Rennen in Superbike-WM und MotoGP nicht über die identische Distanz absolviert. So ist im Reglement der MotoGP verankert, dass ein Rennen über 100 bis 130 Kilometer geht, abhängig von der jeweiligen Strecke. In der Superbike-WM sind es nur 90 bis 100 Kilometer pro Hauptrennen sowie 45 bis 50 Kilometer pro Superpole-Rennen (Sprint). Dadurch ergibt sich ein etwas anderes Bild, wenn lediglich die absolvierten Rennrunden pro Saison verglichen werden. So bestritten MotoGP-Piloten im Jahr 2022 insgesamt 488 Umläufe unter Rennbedingungen. Die Superbike-Piloten kommen 2022 auf 610 Rennrunden. Damit führten sie zwar noch immer, haben im Verhältnis zur Rennanzahl aber an Vorsprung eingebüßt.

Zur Erinnerung: Die MotoGP-Piloten bestritten in der vergangenen Saison 20 Rennen, die Stars der Superbike-WM immerhin 36 und damit fast doppelt so viele. Trotzdem lässt sich festhalten, dass die Fans der WSBK bis 2022 an einem Rennwochenende tatsächlich mehr Action geboten bekamen als MotoGP-Supporter. Das gehört jedoch der Vergangenheit an: Ab 2023 wurden MotoGP-Fans durch die Einführung der Sprints besser unterhalten. Punktgewinn für die MotoGP!

MotoGP vs. World-Superbike: Rennanzahl

Saison*:MotoGP:World-Superbike:
20233936
20222036
20191939
20181926
20171826
20161826
20151826
20141824
20131828

*Die Saisons 2020 und 2021 wurden massiv durch die Corona-Pandemie geprägt und daher nicht in die Liste eingebunden.

Die Fahrer

Allein eine Vielzahl an Rennen bzw. Rennrunden ist aber natürlich keine Garantie für beste Unterhaltung. Dazu muss auch die Action auf der Strecke stimmen - und dafür sind selbstverständlich die Fahrer zuständig. Grundsätzlich gilt: Je besser die Fahrer, desto größer die Chance auf hochklassige Manöver und Zweikämpfe. Doch wie lässt sich messen, wie gut ein Fahrerfeld eigentlich ist? Natürlich mit Titeln! Je mehr Weltmeisterschaften ein Fahrer gewonnen hat, desto talentierter sollte er auch sein. In der MotoGP stehen 2023 gleich 13 Fahrer im Grid, die bereits mindestens einen WM-Titel vorweisen können - mehr als die Hälfte also. Vier von ihnen haben die Weltmeisterschaft bereits auf höchstem Niveau gewonnen: Marc Marquez, Joan Mir, Fabio Quartararo und Francesco Bagnaia dürfen sich MotoGP-Champion nennen. Insgesamt kommen die Stars der MotoGP auf 25 gewonnene WM-Titel.

Das Fahrerfeld der World-SBK kann im Jahr 2023 bei gleicher Größe (22 Stammfahrer) nur neun Weltmeister vorweisen. Auf höchstem Niveau haben sich bislang nur vier Piloten bewiesen: Jonathan Rea, Toprak Razgatlioglu, Tom Sykes und zuletzt zweimal Alvaro Bautista sind Superbike-Weltmeister. Insgesamt bringen es die Stars der WSBK auf 16 gewonnene WM-Titel. Dominique Aegerter krönte sich 2022 zwar auch zum Champion der MotoE, den Titel 'Weltmeisterschaft' trägt die Elektro-Rennserie jedoch erst seit 2023. Somit darf sich der Schweizer offiziell nicht MotoE-Weltmeister nennen. Selbst wenn man diesen Titel noch mitzählen würde, hätte das Superbike-Grid im Vergleich mit der MotoGP aber trotzdem noch klar das Nachsehen. Rein auf dem Papier verfügt also die MotoGP über das hochklassigere Fahrerfeld.

In der MotoGP fahren zahlreiche Stars, Foto: LAT Images
In der MotoGP fahren zahlreiche Stars, Foto: LAT Images

Die Abwechslung

Das zeigt sich auch in anderen Kennzahlen, die durchaus entscheidend dafür sind, wie unterhaltsam eine Rennserie wahrgenommen wird. Gibt es einen oder wenige Fahrer, die alle Rennen dominieren, wirkt sie schnell langweilig und vorhersagbar - unabhängig davon, was im restlichen Feld passiert. Haben hingegen viele Piloten realistische Chancen auf Rennsiege und Podestplätze, kann das für zusätzliche Spannung sorgen. Je mehr Abwechslung an der Spitze, desto besser die Unterhaltung in der Regel.

In der MotoGP gibt es Sensationssieger wie Fabio di Giannantonio, Foto: LAT Images
In der MotoGP gibt es Sensationssieger wie Fabio di Giannantonio, Foto: LAT Images

Und genau hier kommt die höhere Qualität des MotoGP-Grids erneut zum Tragen. Denn in den vergangenen drei Jahren konnte die Rennserie immer sieben oder mehr unterschiedliche Sieger krönen. In der Corona-Saison 2020 waren es gar neun verschiedene Sieger. Seit 2013 kommt die MotoGP im Schnitt auf exakt sechs unterschiedliche Rennsieger pro Saison. Ein Wert, mit dem die Superbike-Weltmeisterschaft nicht mithalten kann. Dort gab es im gleichen Zeitraum im Schnitt nur 5,1 unterschiedliche Gewinner pro Kalenderjahr - etwa ein Rennsieger weniger also. Und das ist eine Tendenz, die momentan nur größer zu werden scheint. Denn in den vergangenen beiden Jahren stellte die WSBK jeweils ganze vier Rennsieger weniger als die MotoGP.

Während in der MotoGP fleißig durchgewechselt wurde, dominierten in der Superbike-WM zuletzt vor allem drei Fahrer: Bautista, Razgatlioglu und Rea. Seit 2021 vereinen sie, mit lediglich fünf Ausnahmen, alle Rennsiege unter sich. Michael Ruben Rinaldi sorgte im ersten Hauptrennen von Aragnon für den einzigen Nicht-Sieg des Trios 2023. Im gesamten Jahr 2022 stand nie ein anderer Superbike-Pilot ganz oben auf dem Podest. Erneut also Vorteil für die MotoGP. Hier gab es 2023 acht verschiedene Sieger in den Grand Prix. Zählen die Sprints auch dazu, so sind es gar deren 10.

MotoGP vs. World-Superbike: Rennsieger

SaisonMotoGPSuperbike
20238 (10 mit Sprints)4
202273
202185
202097
201955
201856
201754
201694
201545
201445
201347

Die große Abwechslung an der Spitze der MotoGP ist allerdings auch erst eine Entwicklung der jüngeren Vergangenheit. Und diese ist eng verbunden mit der schweren Oberarm-Verletzung von Superstar Marc Marquez aus dem Spanien-GP 2020. In den drei Jahren seither krönten sich in der MotoGP im Durchschnitt acht unterschiedliche Fahrer zum Sieger. Zuvor standen in den sieben Saisons seit Marquez' Debüt im Jahr 2013 im Schnitt nur 5,14 verschiedene Piloten ganz oben auf dem Podest. Ein identischer Wert zur Superbike-Weltmeisterschaft also.

Bleibt die Saison 2016 - mit neun unterschiedlichen Siegern eine Ausnahme - außen vor, waren es durchschnittlich sogar nur 4,5 verschiedene Rennsieger. Marquez hatte in dieser Zeit meist nach Belieben dominiert und bis zu seiner Verletzung in Jerez 56 von 127 Rennen gewonnen. Das entspricht einer Quote von 44,09 Prozent - fast jedes zweite Rennen also. Ob der achtfache Weltmeister einen solchen Wert in Zukunft nochmal erreichen kann, bleibt abzuwarten. Mit der Ducati wird er ab 2024 allerdings wieder ein konkurrenzfähiges Motorrad haben.

Noch ist das jedoch nur Zukunftsmusik. Außerdem hat die MotoGP in puncto Abwechslung ohnehin noch einen weiteren Pluspunkt in der Hinterhand, den selbst eine erneute Marquez-Dominanz nicht ruinieren könnte: Die Abwechslung auf dem Podest im Allgemeinen. Dort steht schließlich ja nicht nur der Erstplatzierte, sondern auch der Zweit- und Drittplatzierte. In der WorldSBK bestätigt sich hier die Tendenz der Zahl an unterschiedlichen Rennsiegern. Die vordersten drei Positionen wurden in den vergangenen Jahren zumeist von einigen wenigen Toppiloten untereinander ausgefahren. In der MotoGP gab es hingegen selbst in den Hochzeiten der Marquez-Dominanz eine große Vielfalt auf dem Treppchen, welche seit seiner Verletzung nochmals deutlich zugenommen hat.

Razgatlioglu, Bautista und Rea: So sah zuletzt fast jedes Superbike-Podest aus, Foto: LAT Images
Razgatlioglu, Bautista und Rea: So sah zuletzt fast jedes Superbike-Podest aus, Foto: LAT Images

Seit 2020 standen in der MotoGP immer mindestens 14 verschiedene Fahrer auf dem Podium. Im letzten Jahrzehnt gab es im Schnitt 10,9 unterschiedliche Podestfahrer - knapp die Hälfte des Grids also. Die Superbike-WM liegt im direkten Duell einzig im Jahr 2013 vorne, als die MotoGP noch primär von Honda und Yamaha dominiert wurde. Im Schnitt kommt sie pro Saison jedoch nur auf 9,8 unterschiedliche Fahrer auf dem Podest - und das bei deutlich mehr Rennen im Kalenderjahr.

Die Strecken

Damit nun aber erstmal genug der Kennzahlen. Blicken wir als nächstes auf die Strecken - und zwar wortwörtlich. Denn zum passenden Fanerlebnis gehört auch die passende Rennstrecke. Die MotoGP kann hier mit Highlights wie Mugello, Assen, Le Mans, Phillip Island oder dem Sachsenring und Silverstone punkten. Gleichzeitig besteht der im Jahr 2023 ganze 20 Strecken umfassende Kalender aber auch aus zahlreichen austauschbaren Kursen, die rein fahrerisch keinen besonderen Reiz mit sich bringen und auch nur teilweise durch ihren Flair überzeugen können: Barcelona, Misano, Katar, Indonesien, Thailand, Motegi oder Valencia beispielsweise. Zudem setzt die MotoGP in regelmäßigen Abständen auch noch auf exotische Projekte wie in Finnland oder Ungarn, die letztlich gar nie umgesetzt werden und ein schlechtes Licht auf alle Beteiligten werfen. 2023 musste das Rennen in Kasachstan abgesagt werden.

Der Superbike-Kalender wirkt da deutlich ansprechender, lässt dem Motorsport-Enthusiasten beinahe das Herz aufgehen. Zwar bestand er 2023 nur aus zwölf verschiedenen Strecken, dafür aber fast ausschließlich aus Klassikern. So finden sich Phillip Island, Assen und Portimao auch im Rennkalender der World-SBK wieder. Hinzu kommen dann noch Traditionskurse wie Donington Park, Imola oder Magny-Cours, auf denen die MotoGP teils seit Jahrzehnten nicht mehr zu Gast war. Einzig die Rennstrecken im tschechischen Most und in San Juan, Argentinien dürften nur Freaks etwas sagen. Die MotoGP kann da nicht mithalten: Punktgewinn für die Superbike-WM!

Der Speed

Neben den bereits angesprochenen Phillip Island und Assen standen im vergangenen Jahr auch Misano, Barcelona, Portimao und Mandalika in beiden Rennkalendern. Somit lässt sich auch ein direkter Vergleich vornehmen: Wer hat auf der Strecke die Nase vorn? MotoGP-Bike oder Superbike-Maschine? Die Antwort fällt recht deutlich aus: Am Motorrad der MotoGP-Stars ist auf sämtlichen vergleichbaren Strecken kein Vorbeikommen. Knapp 2,1 Sekunden ist das Superbike-Motorrad auf eine Runde im Durchschnitt langsamer.

MotoGP vs. World-Superbike: Pole-Zeiten 2023

StreckeMotoGPSuperbike
Assen1:31.4721:33.542
Barcelona1:38.6391:40.264
Mandalika1:29.9781:32.037
Misano1:30.3901:33.017
Phillip Island1:27.2461:29.400
Portimao1:37.2261:39.620

Bei der MotoGP handelt es sich allerdings auch um Prototypensport. Daher muss eigentlich fast erwartet werden, dass die Stars der Motorrad-WM die schnelleren Rundenzeiten in den Asphalt brennen. Schließlich ist die MotoGP darauf bedacht, die raffiniertesten Systeme und die besten Ideen im Bereich 'Motorrad' zu präsentieren. Eigentlich ein weiteres Argument pro 'Königsklasse MotoGP'.

Allerdings fehlt den MotoGP-Maschinen dadurch in vielen Bereichen auch die Relevanz für die Serienfertigung. Viele Technologien wie Ride-Height-Device oder Flügelelemente sind zu teuer, aufwendig oder kompliziert für die Straße. Somit wird von den fünf verbliebenen MotoGP-Werken teils viel Geld unnötig verbrannt. In der Superbike-WM ist das anders: Hier handelt es sich um seriennahe Motorräder, die in ähnlicher Ausführung auch von Fans erworben und gefahren werden können. Wir sagen deshalb: Punkteteilung!

Endergebnis

Bei der Frage nach der 'Königsklasse des Zweiradsports' kann es jedoch kein Unentschieden geben. Und wenn alle zuvor angesprochenen Punkte in Betracht gezogen werden, fällt das Urteil recht eindeutig aus. Die Superbike-Weltmeisterschaft mag in den vergangenen Jahren zu Recht an Beliebtheit gewonnen haben, die 'Königsklasse' bleibt aber die MotoGP. Das hochwertigere Fahrerfeld, mehr Abwechslung, die schnelleren Bikes und durch die Einführung der Sprints seit 2023 auch ein Plus an Rennaction auf der Strecke - da lässt es sich nur schwer für eine Wachablösung argumentieren. Der Titelverteidiger bleibt König!

Dieser Artikel wurde ursprünglich in Ausgabe 90 unseres Print-Magazins veröffentlicht. Auf den Geschmack gekommen? Hier kannst du dir unser neuestes Heft sichern!