Es klang zunächst wie ein Hirngespinst in einer ansonsten eher mauen Transfersaison. Jorge Lorenzo soll für 2020 mit Ducati und Pramac Racing verhandeln und so die Flucht bei Repsol Honda antreten. Mit Fortdauer des Rennwochenendes spricht aber immer mehr dafür, dass an den Gerüchten zu diesem sensationellen Wechsel tatsächlich etwas dran ist. Wir erklären, was dafür spricht und was dagegen.

Was für einen Lorenzo-Wechsel spricht

Die sportliche Komponente: Dass der Wechsel auf die Honda RC213V nicht leicht werden würde, war abzusehen. Dass ihm die Umstellung derart schwerfällt, konnte aber niemand ahnen. Ja, auch beim Wechsel von Ducati zu Yamaha brauchte Lorenzo Zeit, ehe er Spitzenergebnisse einfahren konnte. Er stand aber bereits im vierten Rennen mit der Desmosedici GP auf dem Podium und mischte zumindest in der Startphase regelmäßig im Spitzenfeld mit. Davon ist Lorenzo mit Honda meilenweit entfernt. Gut möglich, dass er hier selbst kein Licht mehr am Ende des Tunnels sieht. Bei einer Rückkehr zu Ducati wäre er wohl schnell wieder extrem konkurrenzfähig, so wie er es im Sommer 2018 war.

Die Achse Lorenzo-Dall'Igna: Lorenzo hat bei Ducati einen Fürsprecher in einer ganz entscheidenden Position. Technikguru Gigi Dall'Igna arbeitete bereits in den kleineren Klassen bei Aprilia mit Lorenzo zusammen und gilt als großer Fan des Mallorquiners. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Lorenzo vertraut Dall'Igna wie keinem anderen Ingenieur. Er ist überzeugt davon, dass ihm Dall'Igna das Motorrad bauen kann, dass er braucht, um erfolgreich zu sein. Auch Jack Miller, der seinen Pramac-Platz bei einem Lorenzo-Wechsel verlieren würde, spielte am Donnerstag auf diese Männerfreundschaft an: "Ich glaube, dass fast alle Leute bei Ducati mich wollen. Aber gewisse Personen haben eben sehr schöne Erinnerungen an Jorge."

Ducatis Versteckspiel: Wäre an den Gerüchten absolut nichts dran, wäre es für Ducati ein Leichtes, diese einfach zu dementieren. Das ist bislang aber nicht der Fall. Stattdessen weicht man jeglichen Fragen geschickt aus. Teamchef Davide Tardozzi meinte am Donnerstag, er sei in eine derartige Entscheidung nicht involviert, diese müsse von den oberen Management-Positionen kommen. Am Freitag erklärte er im Interview mit MotoGP-Pitlane-Reporter Simon Crafar: "Es gibt im Moment viele Spekulationen zu diesem Thema, wir wollen diese aber nicht kommentieren." Motorsportchef Paolo Ciabatti, ansonsten stets für ein Gespräch in der Boxengasse verfügbar, war im 1. Training wie vom Erdboden verschluckt. Gigi Dall'Igna hätte am Freitag für Ducati in der 'Tech Talk Press Conference' sitzen sollen. Er wurde kurzfristig durch Davide Barana ersetzt. Und von Pramac hört man bei Anfragen zum Thema nur: "Da müsst ihr Ducati fragen."

Die Ducati-Spitze bezieht zum Lorenzo-Gerücht kaum Stellung, Foto: gp-photo.de/Ronny Lekl
Die Ducati-Spitze bezieht zum Lorenzo-Gerücht kaum Stellung, Foto: gp-photo.de/Ronny Lekl

Die Vertragssituation: Nur zwei MotoGP-Fahrer sind für 2020 noch ohne Vertrag: Jack Miller und Takaaki Nakagami. Eigentlich gibt es keinen Grund für Pramac und Ducati, Miller so lange auf die Folter zu spannen. Seinen Aussagen zu Folge hat man sich in allen Bereichen, wie einer aktuellen Maschine für nächstes Jahr, geeinigt. Die Materialfrage schien auch bei Nakagami der Grund für die ausbleibende LCR-Vertragsverlängerung. Gut möglich aber, dass man sich bei Honda Nakagami als möglichen Lorenzo-Ersatz im Werksteam freihalten will. Lorenzo hat freilich noch einen Vertrag mit HRC für 2020. Wenn er weg will, hat es aber sicherlich keinen Sinn, ihn zum Verbleib zu zwingen.

Was gegen einen Lorenzo-Wechsel spricht

Pramac spricht Miller das Vertrauen aus: Jack Miller erklärte bereits am Freitag, dass ihm der Platz für 2020 mündlich zugesichert wurde. Auch Pramac-Teamchef Francesco Guidotti wischte die Lorenzo-Gerüchte am Freitag vom Tisch: "Es stimmt, dass sich Jacks Vertragsverlängerung verzögert, aber das hat nichts mit Lorenzo zu tun. Das sind zwei völlig unterschiedliche Themen."

Die finanzielle Seite: Pramac ist ein Privatteam. Das bedeutet, dass nur ein Bruchteil der Budgets der großen Werks-Rennställe zur Verfügung steht. Für 2020 steht man ohnehin bereits unter finanziellem Druck, da man zwei GP20 einsetzen wird und nicht wie bisher eine aktuelle und eine Vorjahresmaschine. Schon dafür werden zusätzliche Gelder nötig sein. Wo sollen da noch die finanziellen Mittel für die Gage eines Superstars wie Jorge Lorenzo herkommen? Das wäre nur möglich, wenn Ducati Pramac unter die Arme greift und zusätzlich zum Gehalt von Andrea Dovizioso und Danilo Petrucci zumindest einen sehr großen Teil von Lorenzos Entlohnung übernimmt.

Lorenzo würde sich mit einem Gehalt wie Bagnaia oder Miller kaum begnügen, Foto: Pramac Racing
Lorenzo würde sich mit einem Gehalt wie Bagnaia oder Miller kaum begnügen, Foto: Pramac Racing

Lorenzos Stolz: Jorge Lorenzo ist einer der besten MotoGP-Piloten. Das weiß er selbst und scheut sich auch nicht, das offen auszusprechen. Man erinnere sich nur an seine Reaktion, als ihn Ducati-CEO Claudio Domenicalli im Vorjahr als 'great rider' bezeichnete. Er sei nicht nur ein 'great rider', sondern ein Champion, meinte Lorenzo daraufhin. Dass dieser Mann bei Repsol Honda die Flucht vor dem übermächtigen Marc Marquez antritt und bei einem bescheidenen Privatteam wie Pramac andockt, scheint fast unmöglich.