George Russell startet beim Singapur GP heute zum zweiten Mal in der Formel-1-Saison 2025 von Pole Position. In Kanada konnte er die Pole in einen Sieg umwandeln. Auch in Kanada startete Max Verstappen neben ihm und Oscar Piastri direkt hinter ihm. Sogar Startplatz vier ist mit Kimi Antonelli identisch besetzt. Wiederholt sich die Geschichte, kann Verstappen einen weiteren Schritt in Richtung WM-Comeback machen oder sorgt Piastri gar für die Vorentscheidung? Motorsport-Magazin.com macht den heißesten Favoritencheck des Jahres.
McLaren ging als großer Favorit in das Wochenende im Stadtstaat. Nach zwei durchwachsenen Rennen zuletzt in Monza und Baku lag die Hoffnung auf den Kurven. Kurven schmecken dem MCL39, doch davon gab es in Monza und in Bakus letztem Sektor zu wenig. Über Kurvenarmut kann McLaren in Singapur wahrlich nicht klagen. Nach dem Umbau vor zwei Jahren hat der Marina Bay Street Circuit noch immer 19 Richtungswechsel und ist einer der langsamsten Kurse im Rennkalender.
Trotzdem qualifizierten sich Oscar Piastri und Lando Norris nur auf den Positionen drei und fünf. "Wir waren alle ein wenig überrascht über ihre fehlende Pace an diesem Wochenende. Wir hatten wahrscheinlich alle erwartet, dass sie davonziehen würden", meint Polesetter Russell.
Zwar gibt es erneut Gründe, warum auch Singapur dem McLaren nicht zu 100 Prozent liegt, doch inzwischen erkennt auch Teamchef Andrea Stella einen Trend. Nämlich den Trend, dass die Konkurrenz aufgeholt hat, während sich McLaren schon verstärkt auf 2026 konzentriert.
McLaren muss lästigen Soft-Reifen nicht fahren
Mercedes und Red Bull brachten als einzige Teams neue Teile mit nach Singapur. Bei beiden stand ein neuer Frontflügel auf der FIA-Liste. Der hilft dabei, das lästige Untersteuern zu bekämpfen. Genau damit haderte McLaren im Qualifying so sehr.

"Jeder scheint an diesem Wochenende mit den Vorderreifen Probleme zu haben. Wir wissen, das ist manchmal auch eine Schwäche unseres Autos, und außerdem ist Untersteuern mein schlimmster Albtraum", meint Norris. Doch nun wird es interessant: Im Rennen könnten die Probleme des einstigen Dominators wie weggeblasen sein.
Die Probleme traten bei McLaren nur auf den Soft-Reifen auf. Anders als an Wochenenden, an denen Pirelli auch den C6 im Gepäck hat, ist die Qualifikation auf dem Medium in Singapur aber keine Option. Der C5 ist dem C4 auf eine Runde um acht bis neun Zehntelsekunden überlegen. Auf eine Runde.
Denn auf die Renndistanz sind C3 und C4 klar im Vorteil. Pirelli schließt nicht aus, dass einzelne Fahrer den C5 im Rennen am Start oder nach einer späten Safety-Car-Phase ausprobieren, aber eigentlich sollte der C5 im Grand Prix nicht zum Einsatz kommen. Vor allem nicht bei McLaren.
Heißes Singapur: Pro McLaren, Contra Mercedes
Dazu kommt, dass McLaren bei heißen Temperaturen besonders gut mit den Reifen umgehen kann. Bei den letzten beiden Rennen kam das kaum zum Tragen, weil in Monza und Baku Reifenabbau und Reifenverschleiß extrem niedrig waren. Gerade das Temperaturmanagement gilt als Paradedisziplin des Papaya-Renners. Auch wenn die Asphalttemperatur unter dem Flutlicht nicht astronomisch ist, beanspruchen viele Traktionszonen vor allem die Pneus auf der Hinterachse stark.
Genau hier liegt Mercedes' Achillesferse. "Wenn ich einen Pullover trage, ist es ein gutes Wochenende", beschrieb Teamchef Toto Wolff einst die Vorlieben seines divenhaften Boliden. Auf eine Runde konnte der F1 W16 die tropischen Temperaturen aber gut abhaben. Die nicht allzu hohe Streckentemperatur und die verhältnismäßig geringen lateralen Kräfte dürften dabei geholfen haben.
Aber der Renntrimm ist eine andere Disziplin. Russell fürchtet sich davor auch, weil ihm das Training dafür nach seinem Unfall im 2. Freien Training komplett versagt blieb. "Aber die Longruns waren für alle wegen der roten Flaggen ziemlich hart, und niemand ist wirklich viel gefahren", wirft Piastri ein. Im 2. Freien Training gab es zwei lange Rot-Unterbrechungen und praktisch keine Longruns.
Stellt sich die Frage, wofür die Daten überhaupt benötigt werden. Schließlich herrscht in Singapur praktisch Überholverbot. Durch den Umbau wurde das Verbot immerhin etwas gelockert. Die Mercedes-Statistiker zählten im vergangenen Jahr immerhin 29 Überholmanöver. Und das beim ersten Singapur GP der Geschichte, der ohne eine einzige Safety-Car-Phase auskam.
Wird Verstappen Russells DRS-Schild?
Vieles wird beim Rennen an Verstappen hängen. Er könnte für Russell sowohl Schutzschild als auch Albtraum sein. Mit dem Schutzschild kennt sich Russell aus: 2023 spendete der spätere Sieger Carlos Sainz Lando Norris Windschatten, damit Russell mit deutlich frischeren Reifen nicht am McLaren-Piloten vorbeikam. So schützte sich Sainz selbst.
Selbst wenn Piastri im Renntrimm deutlich schneller sein sollte, muss er erst einmal an Verstappen vorbei. Russell hat vorne wahrscheinlich ohnehin wenig Interesse daran, das Tempo hochzuhalten. Denn dann könnte sich ein Boxenstopp-Fenster öffnen. Das ist in diesem Jahr weiter geöffnet, weil das Geschwindigkeitslimit in der Boxengasse angehoben wurde.
Dass die Piloten nun die 405 Meter durch die Boxengasse mit 80 statt 60 Stundenkilometer durchfahren dürfen, kostet sie rund sechs Sekunden weniger Zeit. Trotzdem wird planmäßig wohl niemand zwei Stopps machen. Gibt es die Gelegenheit, ohne Positionsverlust zu stoppen, könnte es interessanter werden. Allerdings hat niemand mehr zwei frische Sätze Soft oder Medium.
Soft-Poker für Verstappen am Start?
Verstappen kann Russell also nach hinten abschirmen, er kann ihn aber auch in die Bredouille bringen. "Der Kerl zu meiner Linken ist ziemlich gut beim Start und wenn es darum geht, innen reinzustechen", sagt Russell über Verstappen. Der amtierende Weltmeister ist nach zwei Siegen in Folge heiß, er wittert in der WM Morgenluft. Er liegt aber noch satte 69 Punkte hinter Piastri. Ihm nutzen nur Big Points etwas. Für Russell geht es nur noch um Einzelerfolge. Die Crash-Gefahr ist gegeben.

Verstappen könnte einer der Kandidaten sein, die einen Start auf Soft riskieren. Red Bull ist bekannt dafür, aggressive Strategien zu wählen. Verstappen hat aber zwei Probleme am Start: Einerseits ist der Sprint von Pole bis zum ersten Bremspunkt lediglich 177 Meter kurz. Andererseits startet er von der falschen Seite. Auf Stadtkursen ist die Seite neben der Ideallinie meist deutlich schlechter, in Singapur klagten nach den Probestarts viele Piloten darüber.
Ist Russell fit genug für Singapur? F1-Klima hilft - aber nur ihm
Auch wenn sich weder am Start, noch strategisch Möglichkeiten für Verstappen und Co ergeben sollten, so gibt es dennoch Hoffnung: die Fehleranfälligkeit. Russell crashte im Training, Russell crashte 2023 in Singapur und warf in der letzten Runde ein sicheres Podium weg.
Russell will davon nichts wissen: "Ich bin heute ein sehr anderer Fahrer als vor ein paar Jahren. Mein Crash [im FP2, Anm. d. Red.] war mein erster in über einem Jahr. Aber in dieser Saison bin ich mehr bei mir selbst. Ich kenne meine Limits besser."
Nach seiner starken Erkältung in Baku ist der Brite wieder nahezu fit. Das physisch härteste Rennen der Formel-1-Saison wird in diesem Jahr außerdem durch den Einsatz der Klimaanlage etwas erleichtert. Alle Autos müssen mit einem solchen Gerät ausgestattet sein, den Fahrern bleibt es aber selbst überlassen, ob sie die Kühlweste anziehen.
Russell hat bereits viel Erfahrung mit der Technologie, er verwendete sie als einer von nur wenigen Piloten schon bei anderen Rennen freiwillig. Max Verstappen ist kein Fan der Weste, Oscar Piastri ist sich noch unschlüssig, ob er sie beim heißesten Rennen des Jahres nutzen soll.
Ferrari spielt in diesem Favoritencheck keine Rolle - warum eigentlich? Die Antworten gibt es hier:



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