Crash am Freitag, Pole Position am Samstag – George Russell und Singapur sind jedes Jahr aufs Neue eine unberechenbare Mischung. Mit einer spektakulären Runde sicherte sich Russell souverän den ersten Startplatz vor Max Verstappen und Oscar Piastri für das Formel-1-Rennen auf dem Marina Bay Street Circuit. Es ist die zweite Pole Position der Saison für den Briten, der bisher kein einfaches Wochenende im südostasiatischen Stadtstaat hatte.
"Ich habe mich im Auto nicht wohl gefühlt, auch nicht in meiner eigenen Haut. Das Wochenende war seltsam, denn der Grip vom Asphalt war hoch, aber trotzdem ist das Auto hin- und hergerutscht. Ich hatte nicht viel Selbstvertrauen und der Crash am Freitag hat mich noch einmal zurückgeworfen", beschrieb Russell, der seit Baku auch gesundheitlich zu kämpfen hat.
Doch diese Probleme ließ er am Samstag hinter sich: Schon seine erste Runde im dritten Qualifying hätte zur Pole Position gereicht. Doch Russell legte noch einmal 0,007 Sekunden drauf und stellte mit einer Zeit von 1:29.158 Minuten sogar einen neuen Streckenrekord auf dem fast fünf Kilometer langen Straßenkurs auf. "Meine letzte Runde in Q2 war meine erste gute Runde am ganzen Wochenende, da habe ich mich zum ersten Mal irgendwie gut gefühlt. Ich wusste, dass da noch mehr drinnen ist und im Q3 ist dann alles zusammengekommen", freute sich Russell über seine siebte Karriere-Pole.
Russell holt trotz "Wandknutscher" Pole Position
Dabei wäre Russells Pole-Jagd fast zur Tragödie geworden: Auf seiner ersten schnellen Runde berührte er die Mauer am Ausgang von Kurve 17 mit dem rechten Hinterrad. Nur ein kleiner Wandkuss war es nicht, wie Russell selbst sagte: "Ich würde es eher einen Wandknutscher nennen. Aber es war nicht allzu schlimm. Du wirst danach aber etwas vorsichtig in der nächsten Kurve, weil du nicht weißt, ob du einen Reifenschaden hast oder ob das Auto sich plötzlich unter dir wegdreht." Dazu kam es nicht, Russells W16 konnte unbeschädigt weiterfahren.
Eine Mercedes-Pole-Position in Singapur hatte niemand wirklich erwartet, denn der W16 fühlte sich bisher in kalten Temperaturen am wohlsten. Doch für Mercedes-Kommunikationschef Bradley Lord war es keine Überraschung: "Das hängt mit den 90-Grad-Kurven und den Bodenwellen zusammen. Wir haben auch viel an der Reifenkühlung verbessert, damit die Reifen weniger überhitzen. Wir glauben, dass wir damit einen Schritt nach vorne gemacht haben. Ob es wirklich so ist, werden wir erst im Rennen sehen", verriet er im Interview mit ServusTV.
Eine Besorgnis des Teams und von Russell selbst ist, dass er in den Freien Trainings keine bedeutsamen Longrun-Simulationen fuhr. Nur im FP1 war er mehrere Runden auf den Medium- und Hard-Reifen unterwegs, die äußeren Bedingungen beim Nachtrennen unterscheiden sich aber sehr von den dortigen. Die zweite Trainingssession beendete Russell schon nach 18 Minuten, im FP3 absolvierte er Qualifying-Simulationen.
"Ich weiß noch nicht, was mich morgen erwartet. Ich bin der einzige Fahrer, der keine Longruns gemacht hat, das spricht nicht für mich", gab Russell ehrlich zu. Doch zwischen den engen Wänden sind Überholmanöver ein schwieriges Unterfangen. Auch strategisch war der Singapur Grand Prix bisher ein geradliniges Ein-Stopp-Rennen, nur die erhöhte Geschwindigkeit in der Boxengasse - von 60 km/h auf 80 km/h - könnte einige zu zwei Stopps verleiten.
Russell von Singapur-Vergangenheit nicht eingeschüchtert
Für den Großen Preis von Singapur ist die Zielsetzung also klar. Die Statistik spricht für einen Russell-Sieg: 10 der letzten 15 Grands Prix im Stadtstaat wurden von der Pole Position aus gewonnen. Russells persönliche Bilanz erzählt jedoch eine andere Geschichte. 2023 crashte er in der letzten Runde nach einer nervenaufreibenden Jagd um den Sieg, auch letztes Jahr fand er im FP2 die Wand.
Auf dem engen Marina Bay Street Circuit entscheiden wenige Zentimeter zwischen einer guten Rennlinie und einem Crash, weiß Russell: "Du kannst es dir in keiner Kurve erlauben, nur zu 99 Prozent konzentriert zu sein. Mein Fehler von 2023 war kein großer. Ich habe mich um fünf Zentimeter verschätzt, aber die Konsequenz war riesig."
Von alten Geistern lässt sich Russell aber nicht einschüchtern: "Ich bin heute ein sehr anderer Fahrer als vor ein paar Jahren. Mein Crash [im FP2, Anm. d. Red.] war mein erster in über einem Jahr. Aber in dieser Saison bin ich mehr bei mir selbst. Ich kenne meine Limits besser."



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