2025 konnte die Formel 1 in Spa kein sportliches Highlight liefern. Nach dem Sprint war auch das Rennen eine Prozession, deren entscheidender Moment das Umstecken von Intermediates auf Slicks in einem drei Runden kleinen Zeitfenster war. Beinahe ging das für Lando Norris katastrophal schief. Wurden Charles Leclerc und Max Verstappen von Haas um Positionen gebracht?
Wie immer ist es rückblickend einfach zu sagen, wann die Strecke trocken genug für Slicks war: Runde 11. Lewis Hamilton, Pierre Gasly, Nico Hülkenberg und Fernando Alonso haben es demonstriert. Hamilton sprang so von P13 auf P7 vor, gewann auf seiner Outlap mehrere Sekunden, und brachte in Runde 12 daraufhin fast alle anderen an die Box. Bis auf vier Ausnahmen. Eine davon landete direkt - und zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt - vor Leclerc. Was zu einer spektakulären Szene mit drei Autos nebeneinander in Blanchimont führte, aber die wirklichen Auswirkungen scheinen ganz andere.
Vorsichtige McLaren-Strategen exponieren Lando Norris in Spa
Norris' verspäteter Stopp war naheliegend. Er hatte beim fliegenden Start des Rennens mit kleinen Fehlern und womöglich etwas ungünstigem Batteriemanagement die Führung an Oscar Piastri verloren. Dann waren die beiden McLaren im Formationsflug 10 Sekunden vom Feld weggefahren. Mit diesem Puffer war das Team nicht für Risiko bereit.
Das Problem, so analysiert etwa später Ferrari-Teamchef Fred Vasseur, war nämlich: Eigentlich war man noch gar nicht am Crossover-Punkt, also an jenem Punkt, an dem ein neuer Slick schneller war als ein neuer Intermediate. Doch die Start-Intermediates waren zu dem Punkt schon so massiv verschlissen, dass man mit einem Slick auf der teils noch feuchten Strecke sofort schneller war: "Mit einem neuen Inter wärst du auch sechs, sieben Sekunden schneller gewesen. Der Verschleiß war sehr aggressiv."
McLaren reagierte erst auf Hamiltons gute Zeit im Mittelsektor. Aber nur mit Piastri. "Wir haben an einen Doppel-Stopp gedacht", bestätigt Teamchef Andrea Stella. Norris war aber unter zwei Sekunden an Piastri dran. Er hätte hinter seinem Teamkollegen warten müssen. So erhielt er nur einen "Box-to-Overtake"-Call. Im McLaren-Jargon bedeutet das: Mach das Gegenteil von dem, was der Fahrer vor dir macht. Piastri bog ab, Norris blieb gemäß der Anweisung draußen. Das öffnete plötzlich eine Tür für Charles Leclerc und Max Verstappen.
Strategie-Fiasko katapultiert Haas in den Podiumskampf
Die auf den Plätzen 3 und 4 liegenden Leclerc und Verstappen holten wie fast alle in Runde 12 Slicks. Als Leclerc aber wieder aus der Box kam, zog gerade ein Haas vorbei. Es war Esteban Ocon. Mit seinem auf Topspeed getrimmten VF-25 hatte er auf dem auftrocknenden Asphalt seine Start-Intermediates bereits komplett zerstört. Doch die Haas-Strategen hatten alle Zeichen verschlafen.
Zuerst einmal hatte Ocon ewig seinen Teamkollegen Oliver Bearman aufgehalten, obwohl Bearman mit dem High-Downforce-Paket für die Bedingungen am Start viel besser ausgerüstet war. Irgendwann ergriff Ocon die Initiative und fuhr freiwillig zur Seite. Für ihn ist die Strategie klar: Bearman war mit dem High-Downforce-Paket für einen Stopp in Runde 11 prädestiniert gewesen. Ocon hätte in Runde 12 stoppen können: "Sie haben ihn eine und mich zwei Runden zu spät reingeholt."
Die schlafenden Haas-Strategen hatten Ocon in Runde 13 auf einen (nutzlosen) fünften Platz gebracht. Mit toten Intermediates. Sofort hatte er Leclerc und Verstappen im Genick. Aber es war nur eine Linie trocken. Ein Desaster für die beiden, die nicht überholen und ihren Slick-Vorteil im ganzen kurvigen Mittelsektor nicht ausspielen konnten, während Norris vorne auf Intermediates nun massiv in Schieflage geriet.
Wie viel Zeit hat Charles Leclerc hinter Esteban Ocon verloren?
Leclerc zwängte sich erst in Stavelot an Ocon vorbei. Da war Norris schon in der Boxengasse, und er blieb trotz eines schlechten Stopps klar vor Leclerc und Verstappen. Leclerc aber hatte trotz der Ocon-Blockade den Rückstand von 8,7 auf kurz sogar 5,7 Sekunden verkürzt. Es mutet wie eine vertane Chance an für ihn, der dank seines topspeedstarken Ferrari im Rennen für seine direkten Konkurrenten praktisch nicht zu überholen war.
Wie viel hat Leclerc also verloren? Als Benchmark dient der Führende Piastri, der in der gleichen Runde stoppte, dann aber freie Fahrt hatte. Piastri gewann relativ zu Norris 0,67 Sekunden beim Reifenwechsel, und fast 5 Sekunden draußen auf der Strecke in den entscheidenden vier Sektoren. Macht in Summe knappe 5,4 Sekunden. Leclerc hatte sogar einen noch schnelleren Reifenwechsel, verlor aber auf seiner Outlap sogar Zeit. Isoliert man nur die vier entscheidenden Sektoren, ist Leclerc über diese hinweg drei Zehntel langsamer als Norris.
Anhand Piastris Zeiten lässt sich also ein ungefähres Ideal-Szenario errechnen. Doch das reicht nicht ganz. Leclerc hatte in den letzten zwei Runden vor seinem Boxenstopp viel zu viel Zeit verloren, als ihm die Intermediates eingebrochen waren. Selbst im Idealfall wäre er noch immer 3 Sekunden hinter Norris gewesen, hätte eventuell in den folgenden Kurven mit wärmeren Reifen die Lücke noch zufahren können - mehr aber scheint unwahrscheinlich.
Was gewinnt Leclerc mit der Strategie von Lewis Hamilton?
Leclercs Einbruch auf den Intermediates gibt nun aber einer anderen Strategie-Option Nährboden. Warum stoppte Ferrari ihn nicht schon - wie Lewis Hamilton - in Runde 11? Hamilton machte durch zusätzliche Slick-Runden einen gigantischen Satz. Zwei Runden mehr als Norris bedeutete, dass er insgesamt 12 Sekunden auf den McLaren gutmachte.
12 Sekunden hätten Leclerc locker gereicht, um nicht nur an Norris vorbeizugehen, sondern sogar bis ans Heck von Piastri zu kommen. Doch die Theorie hat einen Haken, hält Fred Vasseur fest: "Wir waren nah dran, es mit Charles zu machen, aber er wäre im Verkehr gelandet."
Als Spitzenfahrer kann man nicht prognostizieren, wann das Mittelfeld stoppt. Leclerc wäre in Runde 11 ebenfalls hinter Ocon auf die Strecke gekommen, womöglich sogar noch hinter Franco Colapintos Alpine. Runde 12 schien mangels Erfahrungswerte sicherer. Ferrari konnte nicht ahnen, dass Haas Ocon sowieso noch eine Runde länger draußen lassen würde. Rückblickend hätte ein Stopp in Runde 11 eine realistische Chance hergegeben, aber Rückblicke sind immer einfach.



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