Jedes Jahr ist der Belgien-GP für die Formel 1 der schwierigste Setup-Kompromiss der Saison. Der Circuit Spa-Francorchamps bietet lange Geraden und Vollgas-Kurven, aber zugleich im Mittelteil eine Serie an schwierigen Highspeed-Kurven. Wie viel Flügel baut man also auf das Auto? Während Oscar Piastri im McLaren recht konservativ zu einer dominanten Pole stürmt, riskiert Red Bull in Spa erneut die Gratwanderung.

Üblicherweise bauen Formel-1-Teams für die paar richtig schnellen Strecken im Kalender jedes Jahr einen eigenen Low-Downforce-Heckflügel. Wie viel kleiner der ist, das ist schon von außen zu erkennen. 2025 sind in Spa auch diese Flügel wieder im Einsatz. Optimiert sind sie aber für Monza, wo dieser Kompromiss mit Highspeed-Kurven nicht existiert.

Monza ist aber nur ein Rennen, und ein Extremfall. So gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wo man in Spa die meiste Zeit holen kann. Red Bull schert am Freitag hier relativ zu den anderen Spitzenteams schon auffällig aus, wie die Geschwindigkeits-Messwerte zeigen.

RaidillonKemmelCampus
HÜLKENBERG315,6 km/h348,2 km/h216,1 km/h
BEARMAN317,7 km/h346,4 km/h213,1 km/h
OCON318,9 km/h346,4 km/h216,2 km/h
TSUNODA319,9 km/h346,4 km/h214,3 km/h
VERSTAPPEN318,2 km/h345,3 km/h216,8 km/h
LAWSON315,0 km/h345,2 km/h215,8 km/h
ALONSO318,7 km/h345,0 km/h214,8 km/h
BORTOLETO316,4 km/h344,7 km/h215,9 km/h
STROLL316,3 km/h344,3 km/h214,8 km/h
LECLERC315,6 km/h343,1 km/h219,9 km/h
HAMILTON314,4 km/h343,0 km/h214,2 km/h
SAINZ316,1 km/h342,2 km/h216,5 km/h
RUSSELL319,4 km/h342,0 km/h221,5 km/h
PIASTRI318,2 km/h341,4 km/h219,6 km/h
NORRIS317,1 km/h340,2 km/h219,5 km/h
GASLY320,4 km/h339,9 km/h216,7 km/h
HADJAR315,9 km/h339,4 km/h214,8 km/h
ALBON313,7 km/h338,7 km/h216,6 km/h
COLAPINTO316,2 km/h337,9 km/h211,9 km/h

In der Tabelle sind drei interessante Messpunkte aufgeführt. Einmal das Ende der Kemmel-Geraden, die schnellste Stelle der Strecke. Dann der Messpunkt hinter Raidillon, also zu Beginn der Kemmel-Geraden (aber direkt nach der steilen Bergauf-Passage). Und als Gegenstück zu den Vollgas-Stellen der Messpunkt direkt nach dem mittelschnellen Rechtskick Campus.

Haas & Red Bull setzen in Spa auf Topspeed-Raketen

Nico Hülkenbergs Bestwert von über 348 Km/h kam durch einer gigantischen Windschatten-Runde zustande. Die faktischen Spitzenreiter sind die beiden Haas. Kein Team scheint in Belgien mit weniger Abtrieb zu fahren. In FP1 testete Esteban Ocon noch einen größeren Flügel, letztendlich wählten beide Fahrer den kleinen. Tatsächlich baute man noch einen Gurney-Flap - ein kleines Zusatz-Element - an die Oberkante, um ein bisschen mehr Abtrieb zu haben. Trotzdem ist der VF-25 unglaublich schnell.

Die Heckflügel von Aston Martin, Alpine, Haas, Racing Bulls, Sauber und Williams in Spa
Die Heckflügel des F1-Mittelfeldes, Foto: IMAGO / DeFodi Images / Beautiful Sports

So ist es kein Wunder, dass Ocon und Bearman die Schnellsten im ersten Sektor sind. Mit Haas in der Gruppe des Minimal-Abtriebs: Red Bull, Liam Lawson, Sauber und Aston Martin. Der Red Bull ist nur unwesentlich langsamer. Im Vorjahr hatte das Team noch keinen dezidierten Spezial-Flügel gebaut und das in Monza teuer bezahlt. Dieses Jahr fuhr Max Verstappen den Mini-Flügel sogar in Silverstone schon. Dort ging das Kalkül wegen Regen im Rennen nicht auf, doch im Trockenen versucht der RB21 so seine Stärken auszuspielen.

Das Auto ist fundamental sehr gut in schnellen Kurven und bietet selbst mit kleinem Flügel noch respektablen aerodynamischen Grip. Und natürlich spielt wohl Verstappens Können eine Rolle. Er ist der einzige Pilot aus der Mini-Flügel-Gruppe, der trotzdem durch Campus auf die dortige Benchmark Mercedes weniger als 5 Km/h verliert.

Beeindruckend ist auch Verstappens Durchfahrt der langen Links Pouhon, die heute gemeinhin als die anspruchsvollste Kurve der Strecke gilt. Ja, Verstappen muss vom Gas, aber weniger als die beiden McLaren. 0,05 Sekunden gewinnt er sogar auf Pole-Mann Oscar Piastri.

Red-Bull-Gegner McLaren & Ferrari: Kompromissbereit & konservativ

Doch insgesamt reicht es nicht für Verstappen. Je langsamer die langgezogenen Kurven im Mittelsektor werden, desto langsamer wird der Red Bull. Piastri kam mit 0,121 Sekunden Rückstand auf Verstappen am Ende der Kemmel-Geraden an. In den folgenden zwei Sektoren nahm er Verstappen aber dank eines mit mehr Abtrieb gesegneten McLaren 0,572 Sekunden ab.

Der McLaren fällt dafür in der Topspeed-Wertung bereits sichtlich ab, liegt am Ende einer Gruppe mit Ferrari und Mercedes. Doch irgendwo scheint es auch Piastri zu sein, und nicht nur der McLaren. Er nimmt Teamkollege Lando Norris in der schnellen Fagnes-Schikane fast zwei Zehntel ab, obwohl Norris auf der Geraden langsamer ist, was eigentlich auf mehr Abtrieb deuten würde. Kein Fahrer kann in Fagnes auch nur ansatzweise Piastris Tempo gehen.

Die Endabrechnung scheint McLaren Recht zu geben. Eine Gerade besteht schließlich nicht nur aus dem letzten Messpunkt. Wer besser beschleunigt, gewinnt davor schon Zeit. Und der McLaren kommt schnell auf seinen Topspeed. So verliert Piastri aufsummiert kaum mehr als ein Zehntel auf allen Geraden auf Verstappen. Erst im letzten Kemmel-Teil beginnt sich der McLaren-Verlust zu summieren. Ferraris Mehr an Abtrieb macht sich im Gegenzug nicht bezahlt. Charles Leclerc gewinnt nur unwesentlich in den Kurven, was er auf Verstappen auf den Geraden verliert.

Verstappens Topspeed-Gamble vs. McLaren: In Spa eine bessere Idee?

Das untermauert nur: Der McLaren ist ein fundamental besseres Auto als der Rest. Der Punkt des absoluten Topspeeds ist nun aber für den Start in den Sprint am Samstag schon ein wichtiger. Der Weg zur ersten Kurve ist kurz, dann aber hat Verstappen den Berg hoch eine halbe Ewigkeit Zeit, um den Topspeed-Vorteil auszuspielen und sich hin zu Les Combes Piastri zurechtzulegen.

Die Heckflügel von McLaren, Red Bull, Ferrari und Mercedes in Spa im Vergleich
Die Heckflügel der Top-Teams, Foto: IMAGO / DeFodi Images

Und dann? Mit dem fehlenden ultimativen Topspeed kann es selbst mit DRS schwer werden für Piastri und Norris, Verstappen wieder zu verdrängen. Aber die Gleichung hat noch viele Faktoren. Regnet es, wäre das wie in Silverstone wohl ein großer Nachteil für Verstappen. Und Reifenverschleiß kann entscheidend werden. Gehen Verstappen die Hinterreifen aus, so trifft das auch seinen Topspeed - weil er dann nicht mehr so gut aus der Haarnadel kommt. Dann wird er angreifbar.