Vor dem Saisonfinale der Formel 1 weitet sich am Donnerstag in Abu Dhabi der Streit zwischen Max Verstappen und George Russell aus. Der Mercedes-Pilot reagiert auf die jüngsten Kommentare seines Konkurrenten in einer fast beispiellosen Presserunde mit einem rücksichtslosen Rundumschlag - und erhebt dabei schwere Vorwürfe gegen Verstappen.

Der Red-Bull-Pilot hatte nur eine Stunde davor in der Pressekonferenz eine weitere Attacke gegen Russell geritten und ihn explizit des Lügens in der Stewards-Anhörung bezichtigt, infolge welcher Verstappen in Katar nach dem Qualifying einen Strafplatz kassiert und damit die Pole verloren hatte. Für Verstappen ein beispielloses und inakzeptables Verhalten in einer Anhörung. Mehr zu seinen Äußerungen gibt es hier:

Laut Russell lief die Angelegenheit im Stewards-Büro völlig anders ab: "Bevor ich überhaupt ein Wort sagte, ist er fluchend die Stewards angegangen. Er war so wütend. Bevor ich überhaupt was gesagt habe! Letztendlich gibt es nichts, worüber man lügen müsste. Fakten sind Fakten. Er war langsam. Er war auf der Ideallinie. In einer schnellen Kurve. Ich wollte ihm auf der Strecke überhaupt keine Strafe anhängen."

Russell will Wahrheit ans Licht bringen: Verstappen drohte mir mit Crash

Wohl empfahl er eine Strafe in der Stewards-Anhörung, das will Russell nicht bestreiten. Nichts an seiner Fürsprache erschien ihm jedoch unverhältnismäßig, schließlich ging es um die Pole: "Du kämpfst hart auf der Strecke, du kämpfst hart im Stewards-Büro. Max hat am nächsten Tag sein Team gebeten, zu checken, ob Lando [Norris] für einen Gelb-Verstoß bestraft werden sollte. Das ist Racing."

Verstappen sah das anders. Sein Ärger fokussierte sich schnell auf Russell: "Und er sagte zu mir, er würde mir absichtlich reinfahren, würde mich kopfüber in die Wand schieben." Russell stempelte das erst als Aussage in der Hitze des Gefechts ab: "Ich bin zurück zum Team, wir haben darüber gelacht. Ich bin am nächsten Tag aufgewacht und dachte, wir würden darüber lachen." Dann traf er Verstappen mit zwei Fahrerkollegen vor der Fahrerparade: "Wir haben ein paar Späße gemacht. Und dann sah ich in seinen Augen, dass er es ernst meinte."

Für Russell war die Angelegenheit dennoch abgeschlossen. In der ersten Kurve von Katar passierte nichts. Ohne Kollision ging Verstappen vorbei in Führung. Dann aber folgte eine persönliche verbale Attacke nach dem Rennen in der Pressekonferenz. Die kann Russell nicht stehenlassen: "Ich fordere keine Konsequenzen. Ich will mich nur verteidigen gegen einen Typen, der meine persönliche Integrität hinterfragt. Jeder darf eine Meinung haben. Aber für mich hat er eine Linie überschritten."

Russell revanchiert sich: Verstappen hat sich nicht unter Kontrolle

Zwar versichert Russell, er wolle die Angelegenheit nicht persönlich machen. Hat aber einiges am Zündstoff in petto, als sich am Donnerstag die Chance in einem mit Journalisten vollgepackten Mercedes-Motorhome bietet. Wie brenzlig die Angelegenheit für Mercedes ist, zeigte sich erst recht, als Teamchef Toto Wolff zur Hälfte der 15-minütigen Session an Russells Seite auftauchte. Ein beispielloser Vorgang in der Presserunde eines Fahrers.

"Ich weiß nicht, warum die Angelegenheit ihn so wütend machte", so Russell. Hat aber so seine Ahnungen: "Das ist nicht das erste Mal, dass ich Max so gesehen habe. Ich habe ihn als 14-Jährigen in einem Kart-Fahrerlager so gesehen." 2023 kollidierten die beiden in Baku auch schon einmal auf einer F1-Strecke. Bei der im Parc Ferme folgenden Konfrontation reagierte Verstappen darauf mit "Kriegst du zurück, Volltrottel."

"Er kann nicht mit Widrigkeiten umgehen", glaubt Russell. "Er hatte zweieinhalb Jahre lang das dominanteste Auto aller Zeiten. Und ich zweifle nicht an seinen fahrerischen Fähigkeiten. Aber sobald er nicht das schnellste Auto hat - nehmt Budapest als Beispiel."

In dem Rennen hatte Verstappen in einem unterlegenen Red Bull keine Chance, attackierte seine Strategen am Funk, und kollidierte schließlich im Kampf um den letzten Podiumsplatz mit Lewis Hamilton. Kompletter Kontrollverlust, so Russell, der behauptet: "Direkt nach dem Rennen haben 25 Prozent seiner Ingenieure ihre Lebensläufe zu Mercedes, zu McLaren, zu Aston Martin geschickt, weil sie meinten, sie können es mit so einem Typen nicht aushalten."

Russell bemüht Abu Dhabi 2021: Weltmeister sollen wie Lewis Hamilton sein

"Ich glaube, er fühlt sich dazu imstande, weil sich ihm niemand entgegenstellt", lautet Russells Urteil. "Lewis hat das 2021 getan. Und Lewis hat den Titel auf unfaire Art und Weise verloren. Könnt ihr euch vorstellen, wenn Max die WM so verloren hätte? [Ex-Rennleiter Michael] Masi hätte um sein Leben fürchten müssen!"

Verstappen vs. Russell - Danner: Die geben sich 2025 Saures! (30:13 Min.)

"Wisst ihr, er ist ein vierfacher Weltmeister, und wenn ich sein Verhalten mit Lewis vergleiche - Lewis ist die Art von Weltmeister, die ich sein möchte", meint Russell. "Wie er 2021 gegen Max gekämpft hat war sehr hart, fair, nie über der Linie. Und wir haben als Fahrer eine Pflicht - ich habe einen achtjährigen Neffen, der gerade im Kart anfängt. Der schaut alle Rennen, schaut YouTube, schaut TikTok. Wenn ein vierfacher Weltmeister ankommt und sagt, er würde jemandem reinfahren und umdrehen, dann ist das nicht die Art von Vorbild, die wir sein sollten."

Das ist von Russells Seite übrigens keine Kritik an der Handhabung durch die FIA-Stewards: "Für die jüngsten Zwischenfälle wurde er bestraft. Und er bestraft sich selbst. Mexiko mit rücksichtslosen Manövern. Budapest mit einem rücksichtslosen Manöver. In der Vergangenheit hatte er einfach ein so dominantes Auto, dass er nicht in solchen Positionen war. Aber die FIA ist da jetzt denke ich dran, und aus diesem Blickwinkel muss sich nicht viel ändern."

Wird Russell also eine Aussprache mit Verstappen suchen? "Ich muss nicht mit ihm sprechen. Überhaupt nicht. Von meiner Seite gibt es nichts zu sagen." Er glaubt nicht, dass es persönliche Animositäten zwischen ihnen geben muss: "Es hätte jeder da im Stewards-Büro sein können, und Max hätte gleich reagiert."