Die ersten beiden Trainings der Formel 1 in Baku scheinen genau das zu sein, was Red Bull nach Monaten der sich anhäufenden Probleme benötigt hat. Zwar holte Charles Leclerc im 2. Training die Tagesbestzeit, doch Sergio Perez fehlten nur sechs Tausendstel. Max Verstappen hatte in FP1 das Feld angeführt. Von den jüngsten Klagen über das unfahrbare Monster RB20 ist das weit weg.
Auch wenn angemerkt werden muss: Leicht tat sich wirklich nur Perez. Nicht Max Verstappen. Der WM-Führende belegte mit 0,545 Sekunden Rückstand in FP2 den sechsten Platz. Ausgerechnet jetzt, wo Red Bull mit einem schnellen Update gerade versucht, die bösen Handling-Eigenheiten zu exorzieren. Neben Verstappen ist auch McLaren in Baku weit weg. Ist das Ergebnis ein Trugschluss?
Bei Red Bull klingt jedenfalls verhaltene Freude über ein hier gebrachtes Unterboden-Flickwerk durch. Man will nach Monza passable Antworten gefunden haben, in welchem Bereich welche Spezifikation am besten funktioniert. Die daraus kreierte Konstruktion scheint zu funktionieren, zumindest in Baku. "Heute war positiv", so Verstappen. Perez stimmt zu: "Es geht in die richtige Richtung, wir bekommen das Auto mehr auf Schiene."
Max Verstappens Baku-Problem: Red Bull hat viel Flügel & wenig Power
Verstappens abgeschlagener sechster Platz hat mehrere Gründe. Vor allem in den Sektorzeiten und Geschwindigkeitsmessungen werden sie deutlich. Er hat absolut keinen Topspeed. Nach FP2 scheint es bei diesem Ausmaß geradezu offensichtlich, dass Red Bull ihm bislang um einiges weniger Leistung zur Verfügung stellt. Das wurde durch das Aero-Setup potenziert: Keiner aus der Spitzengruppe fährt mit einem so großen Heckflügel wie Verstappen und Perez.
Paart man Verstappens großen Flügel mit wenig Leistung, ergibt das einen äußerst langsamen letzten Sektor. Der besteht nämlich nur aus einer Kurve, gefolgt von einer langen Vollgas-Passage ohne DRS. Die Sektorzeiten sprechen eine deutliche Sprache. Verstappen verlor 0,076 Sekunden auf Pacesetter Leclerc im ersten Streckenteil, gewann sogar 0,154 im zweiten - und verlor dann 0,623 Sekunden im dritten.
Fahrer | S1 | S2 | S3 | Runde |
---|---|---|---|---|
Leclerc | 36,564 | 41,951 | 24,969 | 1:43,484 |
Perez | 36,580 | 41,847 | 25,063 | 1:43,490 |
Hamilton | 36,615 | 41,961 | 24,974 | 1:43,550 |
Sainz | 36,678 | 42,196 | 25,076 | 1:43,950 |
Piastri | 36,868 | 42,162 | 24,953 | 1:43,983 |
Verstappen | 36,640 | 41,797 | 25,592 | 1:44,029 |
Russell | 37,056 | 42,430 | 25,050 | 1:44,536 |
Norris | 36,680 | 41,948 | - | abgebrochen |
Bei Perez war der Verlust auf Ferrari trotz großem Flügel hintenraus vernachlässigbar. Mit gutem DRS-Effekt war sein Red Bull bis zur Ziellinie wieder gleich schnell wie der SF-24, und verlor über den ganzen Sektor hinweg nur eine knappe Zehntel. Das ist indikativ dafür, dass von Verstappen im Qualifying noch einiges kommen kann, sobald er den Motor aufdreht.
Aber Verstappen muss auch beim Setup nachbessern. Schließlich zeigt der Blick auf die Zeiten auch, dass er in den ersten beiden Sektoren unter dem Strich eine Hundertstel langsamer ist als Perez. In FP2 kippte Verstappen in den hier allgegenwärtigen langsamen 90-Grad-Kurven zu weit in das verhasste Untersteuern. Jede Kurve legte er daher anders an als Leclerc und Perez, jeder Scheitelpunkt war ein Krampf: "Wir müssen die Balance besser hinbekommen."
Ferrari führt in Baku in allen Wertungen - trotz verkorksten Trainings
Denn es ist ein Trugschluss, dass Red Bull wirklich so nahe an Ferrari dran ist. Die Scuderia startete als leichter Favorit ins Baku-Wochenende, denn kein Auto rotiert in diesen langsamen 90-Grad-Kurven so gut wie der SF-24. Das mündete zwar in eine Bestzeit, wurde aber kontrastiert durch einen wahrlich chaotischen Freitag:
Charles Leclerc verschätzte sich auf dem Staub vor Kurve 15 im 1. Training und machte seinen SF-24 kaputt. Im 2. Training ging dann am reparierten Auto anfangs die Lenkung nicht. Nur 31 Runden fuhr Leclerc insgesamt: "Wir haben auch noch einiges zu verbessern. Auf fahrerischer Seite, weil ich in FP2 noch immer meine Referenzen gesucht habe. Aber wir sind schnell. Das ist ein gutes Zeichen."
Carlos Sainz stieg in Baku mit steifem Nacken aus dem Bett und haderte in FP1 mit einem Bremsproblem. Als das Auto in FP2 aussortiert war, beendete er den Tag zumindest als Schnellster in den Medium-Longruns. Wieder vor Perez. Es wäre vermessen, davon auszugehen, dass dieser Tag das Optimum von Ferrari relativ zur Konkurrenz zeigte.
McLaren alarmiert: Haben Lando Norris & Oscar Piastri Probleme?
In der Longrun-Tabelle findet sich endlich auch das erste positive Signal aus der McLaren-Ecke, mit Oscar Piastri auf Platz drei, im Schnitt zwei Zehntel langsamer als Sainz. Piastri war auch im Qualifying-Trimm bester McLaren gewesen, auf P5 aber mit Respektabstand von 0,499 Sekunden. Es war bis zu einem gewissen Grad schon absehbar. Der MCL38 ist das effektive Gegenstück des SF-24. Lange, fließende mittelschnelle bis schnelle Kurvenkombinationen sind sein Revier. Davon gibt es in Baku null.
Lando Norris fühlte sich bemüßigt, erste Alarmsignale zu schicken: "Wir sind ziemlich weit weg. Ich muss viel zu hart pushen, um Rundenzeit zu finden." Dass er nur auf Platz 17 landete, lag aber an einem Auflaufen auf Pierre Gasly auf seiner einzigen Soft-Runde kurz vor Schluss. Diese Runde war davor richtig gut gewesen.
Geht man davon aus, dass Norris mit dem kleinen McLaren-Flügel (wie Piastri) bei Vollgas bis zur Ziellinie noch ordentlich Tempo gemacht hätte, dann würde ihm das sogar die Trainingsbestzeit einbringen. In der Theorie. So ist Piastri auch recht zufrieden: "Der Longrun sah recht wettbewerbsfähig aus." Norris aber glaubt auch, dass der geringe Grip in Baku dem McLaren nicht hilft.
Staubige Baku-Strecke stellt Formel 1 2024 vor Herausforderung
Genau dieser Grip war am Freitag großes Thema bei der Formel 1. Im Vorjahr war Baku größtenteils neu asphaltiert und der Asphalt danach per Hochdruck-Verfahren aufbereitet worden. Dieses Jahr nicht. Am Freitag fanden alle daher um ein Vielfaches weniger Grip vor als erwartet. Über drei Sekunden war die Pace in FP1 verglichen mit dem Vorjahr langsamer, selbst in FP2 war man immer noch nicht auf 2023-Niveau.
Das wird aber nicht so bleiben. Es ist kein Regen angekündigt, keine sonstigen Probleme sind am Horizont. Daher ist zu erwarten, dass die Strecke bis zum Rennen massiv an Grip zulegen wird. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch die Longruns vom Freitag argwöhnisch zu betrachten und mehr nur Richtlinien. Der geringe Grip sorgte für unverhältnismäßig hohe Hitzeprobleme bei den Hinterreifen.
Im Rennen sollte sich das auflösen. Reifenausrüster Pirelli rechnet überhaupt nicht mit Problemen. Wie schon im Vorjahr sollte die Angelegenheit mit einem Stopp locker zu absolvieren sein. Der harte Reifen, hier der C3, kann ewig halten, sobald die Strecke erst einmal Grip aufgebaut hat, und ist wenig anfällig für Graining und Überhitzung.
Trotzdem haben sich fast alle Teams noch zwei Sätze Hard-Reifen aufgespart. "Für den Fall eines Safety Cars, Virtuellen Safety Cars oder Abbruch", mutmaßt Pirelli-Chefingenieur Simone Berra. Sollte das etwa zur Rennmitte nach dem regulären Boxenstopp passieren, wäre es um einiges hilfreicher, noch einmal neue Hard-Reifen aufziehen zu können. Bereits angefahrene Hard wären da ein Problem.
Mercedes schert mit Trainings-Strategie in Baku aus
Aus der Spitzengruppe setzte daher nur Mercedes am Freitag einen der beiden Hard-Sätze bei beiden Fahrern im Longrun ein. Lewis Hamilton und George Russell waren damit im Schnitt mehrere Zehntel schneller als die Medium-Fahrer. Aber aufgrund der angesprochenen Bedingungen hat das keine sportliche Aussagekraft. Dafür hat Mercedes aber immerhin ein grobes Gefühl, wie sich der Reifen verhält.
Umgekehrt heißt das: Es ist nicht klar, was Mercedes kann. Das Team hat wie angekündigt auf den alten Unterboden zurückgerüstet und die Spa-Version zumindest für dieses Wochenende eingemottet. Russell wurde von einem Power-Unit-Wechsel und einem Sensorproblem unterminiert und bei seiner Setup-Suche gestört.
Hamilton sah auf eine Runde stark auf, war nur 66 Tausendstel langsamer als Leclerc: "Endlich einmal hatte ich das Gefühl, dass wir an keinem Punkt ein paar Schritte zurückgehen mussten. Wir haben permanent nachgelegt." Unter dem Strich bleibt das Fazit: Ferrari hat einen leichten Vorteil. Aber wirklich nur einen leichten. Gerade im Qualifying haben wohl wieder alle acht Spitzenfahrer die Chance auf Pole, denn in Baku können ein Windschatten auf der langen Geraden oder eine vermurkste Aufwärmrunde mehrere Zehntel ausmachen.
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