Nach einem turbulenten Kalenderjahr 2024 brach für das Audi-Projekt in der Formel 1 bei dem vergangenen GP in Monza ein neues Kapitel an. Wenige Wochen zuvor hatte der Autobauer aus Ingolstadt Sauber-CEO Andreas Seidl und seinen F1-Generalbevollmächtigten Oliver Hoffmann vor die Tür gesetzt und mit Jonathan Wheatley und Mattia Binotto die Management-Strukturen des zukünftigen Werksteams über den Haufen geworfen. Während Wheatley aktuell noch bei Red Bull am Kommandostand sitzt und somit noch nicht über seinen zukünftigen Arbeitgeber sprechen konnte, war Binotto in Monza das erste Mal in seiner Funktion als Saubers Chief Operating und Chief Technical Officer (COO und CTO) an der Strecke. Begleitet wurde der ehemalige Ferrari-Teamchef von seinem Vorgesetzten, Audi-CEO Gernot Döllner.

Audi-Boss gibt zu: Mussten unsere Ziele in der Formel 1 anpassen

Es war einer der seltenen öffentlichen Auftritte Döllners, der für gewöhnlich lieber im Hintergrund agiert. Umso mehr wollte Motorsport-Magazin.com die Gelegenheit nutzen, das VW-Vorstandsmitglied nach den Turbulenzen rund um das Formel-1-Projekt von Audi zu befragen. Vor allem im Bezug auf einen potenziellen Nicht-Einstieg, der trotz aller Hintergrundgeräusche und entgegen der Medienberichterstattung nie ein Thema war, hakten wir in Monza nach.

Dass man bei Audi das ambitionierte Projekt Formel 1 nach der Entlassung von Marcus Duesmann als Vorstandsvorsitzenden auf den Prüfstand stellte, bestätigte sein Nachfolger daraufhin endgültig. "Nachdem ich im September des letzten Jahres zu Audi gekommen bin, haben wir das Projekt neu bewertet", so Döllner.

Das Resultat der Bestandsaufnahme: Das ursprünglich ausgerufene Ziel von ersten Siegen nach drei Jahren in der Königsklasse muss angepasst werden. "Wir mussten den Zeitraum etwas realistischer rekalibrieren", erklärte Döllner. Was genau das bedeutet, darauf wollten sich er und Binotto allerdings nicht festlegen. Der Italiener bewegte sich in seinem ersten öffentlichen Auftritt als Koordinator zwischen der Motorenabteilung in Neuburg und dem Chassis-Werk in Hinwil noch in unkonkreten Gefilden, sprach lediglich von "mehreren Jahren", die es für den Erfolg in der Formel 1 brauche.

Döllner beteuert: F1-Einstieg jederzeit außer Frage, aber...

Dass der Einstieg an sich auf der Kippe stand, bestritt Döllner allerdings weiterhin. "Das stand immer außer Frage", beteuerte der 55-jährige. "Die Formel 1 ist eine großartige Motorsport-Plattform. Es ist die Königsklasse des weltweiten Motorsports."

Lediglich bei den Strukturen rund um den Einstieg bedurfte es einer neuen Bewertung. "Wir haben nur neu evaluiert, ob unsere Aufstellung die richtige ist, und wie Sie wissen, haben wir dann früher als erwartet die komplette Verantwortung für das Sauber-Team übernommen und in einem zweiten Schritt nun eine zukunftsorientierte Managementstruktur aufgebaut. Das [Rückzug vom Einstieg; d. Red.] war also nicht unsere Frage. Es ging mehr darum, wie man sich organisiert und wie man weitermacht."

Ein nicht unerheblicher Anteil an der erforderlichen Neubeurteilung sollen unter anderem die für Autohersteller in Deutschland stark angezogenen Kosten gewesen sein. Bereits im vergangenen Jahr soll Döllner nach Informationen von Motorsport-Magazin.com alarmierende Geschäftszahlen in einer ersten Bestandsaufnahme vorgelegt haben.

Längst hat Audi den kompletten Rückzug aus allen anderen Rennserien abgesehen von der Formel 1 angekündigt, wohl auch, um Ausgaben einzusparen. Die Audi-Fabrik in Brüssel soll aktuell kurz vor der Schließung stehen. Es sind auch abseits des Rennsports unruhige Zeiten für den VW-Tochterkonzern.

Dennoch bezeichnete Döllner den Zeitpunkt für den kostenintensiven Einstieg als "definitiv den richtigen". Zumindest in diesem Punkt attestierte der CEO seinen Vorgängern und dem Aufsichtsrat ausreichend Kompetenz. "Die Entscheidung war vor zweieinhalb Jahren sehr gut vorbereitet. Letztes Jahr haben wir es neu evaluiert und wir glauben, dass die Formel 1 und Audi perfekt zusammenpassen. Wir sind glücklich darüber, dieses Projekt zu haben und wissen, dass es ambitioniert ist und seine Zeit braucht."

Bis es allerdings so weit ist, hat das Team für die kommende Saison noch ein Cockpit zu besetzen. Die Möglichkeiten scheinen mager zu sein, allerdings hat Valtteri Bottas offiziell sein Interesse beim Team ohne Punkte kundgetan. Doch die Vertragsverlängerung zieht sich. Woran das liegt, könnt ihr hier lesen: