Es war eine seiner einfachsten und zugleich eine seiner schwierigsten Pressekonferenzen zugleich: Teamchef Andrea Stella durfte nach dem Ungarn-GP Fragen zum McLaren-Doppelsieg beantworten, musste aber auch Stellung zur umstrittenen Stallregie nehmen, die Oscar Piastri schließlich seinen ersten Formel-1-Sieg einbrachte.
Nachdem Stella die versammelte Journaille mangels intakter Hospitality 20 Minuten in der prallen Sonne warten ließ, verlegte er nach seiner Ankunft die Medienrunde spontan ins Reifenlager des Teams. Der Italiener stellte sich auf eine Treppe und beantwortete nun die Fragen. Schon vor seiner ersten Antwort war es das erste Statement des McLaren-Teamchefs: Ich habe die Kontrolle über die Situation.
Entsprechend präsentierte sich Stella schließlich auch. Hatte er Zweifel daran, dass Lando Norris seinem Teamkollegen Oscar Piastri Platz eins überlässt? Schließlich ließ Norris das Team und Piastri 20 Runden lang zappeln. "Nein", räumte Stella schnell jegliche Zweifel aus dem Weg. "Ich kenne Lando gut genug."
Norris hatte die Führung beim Ungarn GP schon auf den ersten Metern verloren. Mit einem besseren Start ging Piastri von Platz zwei am Pole-Setter vorbei. Bis zum zweiten Boxenstopp verharrten die McLaren-Piloten in dieser Reihenfolge, dann aber bekam Norris die bessere Strategie: Der Brite durfte zwei Runden früher Reifen wechseln und ging so in Führung.
Das Team instruierte ihn umgehend, die Position wieder an Piastri zurückzugeben. Norris aber zögerte und fuhr seinem Teamkollegen davon. Erst drei Runden vor Rennende kam es nach unzähligen Funksprüchen zum Platztausch.
"Im Umgang mit einem Rennfahrer muss man manchmal an alle Aspekte des Fahrers appellieren, die es bei so einem Fahrer gibt", weiß Stella. "Ich kenne Lando gut genug, um zu wissen, dass Lando sowohl Rennfahrer als auch Teamplayer ist."
Vorwürfe für den späten Platztausch macht der Teamchef seinem teuersten Angestellten deshalb nicht, ganz im Gegenteil: "Zeigt mir einen Rennfahrer, der es nicht so gemacht hätte? Wahrscheinlich könntet ihr mir eher Rennfahrer zeigen, die es bis Runde 70 nicht gemacht hätten. Und ich wäre auch sehr besorgt, wenn es nicht so wäre. Diesen Ethos braucht man. Man muss hart kämpfen. So muss man kämpfen, wenn man mit Kalibern wie Max Verstappen, Lewis Hamilton - oder auch mit Oscar - im Kampf ist. Er hat den Geist eines Rennfahrers gezeigt. Es wäre aber unfair, nicht auch über die Auflösung der Situation zu sprechen, die genau nach unserem Plan erfolgt ist."
Hätte Norris die Order ignoriert, hätte er sich aber wohl auf einen Einlauf gefasst machen können. "Es ist einfach: Die Interessen des Teams kommen zuerst. Wenn du des vermasselst, dann kannst du nicht Teil des McLaren Formel-1-Teams sein. Das ist das Prinzip."

2 Gründe für die Ungarn-Stallorder
Aber warum brachte McLaren seine beiden Piloten überhaupt in diese unangenehme Situation? Schließlich hätte man Piastri schlichtweg als Ersten zum Stopp holen können. "Wir sind auf dem Hungaroring und es war so heiß. Deshalb gab es zwei Variablen, die wir richtig hinbekommen wollten. Zunächst einmal wollten wir den Boxenstopp so weit nach hinten schieben wie möglich, damit uns am Ende die Reifen nicht ausgehen", so Stella.
Deshalb wollte man nicht direkt nach Lewis Hamilton stoppen, der zu diesem Zeitpunkt schon auf Platz drei lag. Man hatte genügend Vorsprung auf den Mercedes-Piloten, noch ein paar Runden mit den eigenen Stopps zu warten, ohne Gefahr zu laufen, von Hamilton überholt zu werden.
Hamilton war in Runde 40 zum Stopp gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zehn Sekunden Rückstand auf Piastri und neun Sekunden Rückstand auf Norris. Eine sofortige Reaktion war also nicht notwendig, deshalb verlängerte man lieber den zweiten Stint, um im dritten Stint bessere Reifen zu haben.
In Runde 45 holte McLaren schließlich Norris zum Reifenwechsel, weil bei ihm die Undercut-Gefahr größer war - schließlich lag er hinter Piastri. Beim Australier wartete man bekanntlich zwei Runden länger.
Aber war die Gefahr des Hamilton-Undercuts bei Norris wirklich so groß? Schließlich kam Norris fünf Sekunden vor seinem Landsmann zurück auf die Strecke. "Man kann aber ein Problem beim Boxenstopp haben", verteidigt Stella. "Man muss auf Nummer Sicher gehen. Wenn man einen Drei-Sekunden-Stopp braucht, wäre der ganze Druck auf der Boxencrew. Da habe lieber ich an der Pitwall die Verantwortung dafür."
Dazu kam, dass man aus Verstappens Situation gelernt hatte. Der Niederländer verlor Platz drei an Hamilton durch einen Undercut. Trotz der offensichtlich besseren Pace kam er nicht am Mercedes-Piloten vorbei. "Unter keinen Umständen - wie zum Beispiel einem Problem beim Stopp - durften wir hinter Hamilton und die Ferraris fallen", stellt Stella klar.
McLaren-Teamchef: Norris und Piastri gleich schnell
Hat mit Piastri schlussendlich der falsche McLaren-Fahrer gewonnen? "Beide sahen heute ziemlich ähnlich aus", meint der Teamchef. "Es war einfach nur fair, was wir gemacht haben. Ich will, dass das auch das gesamte Team versteht und hoffentlich auch die Fans."
Was auf den Rennverlauf zutreffen mag, gilt aber möglicherweise nicht für die Weltmeisterschaft. Norris belegt Platz zwei in der WM, Piastri Platz fünf. Wenn jemand noch Chancen hat, Verstappen einzuholen, dann ist es eher der Brite. Eine klare Nummer 1 gibt es bei McLaren nicht. "Wenn es die letzten Rennen sind und es eine gute WM-Chance gibt, dann könnte es die geben. Aber ich erwarte, dass [wenn nur noch einer Weltmeister werden kann] der andere zu mir kommt und mir seine Hilfe anbietet. Man baut diesen Ethos auf, indem man Tage wie heute in einer fairen Weise managt - wie wir das gemacht haben."
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