1. Warum verlor Verstappen vor der Kollision so viel Zeit?
Zur Rennhalbzeit hatte Max Verstappen schon 8,3 Sekunden Vorsprung auf Lando Norris. Direkt vor dem geplanten letzten Boxenstopp waren es in Runde 50 noch 6,9 Sekunden Vorsprung. Vier Runden später war Norris bereits im DRS-Fenster. Einerseits verlor der Weltmeister durch einen langsamen Reifenwechsel Zeit. Während Norris in 2,90 Sekunden abgefertigt wurde, dauerte der Boxenstopp bei Verstappen 6,59 Sekunden. Erst musste der Mechaniker hinten links ein zweites Mal mit dem Schlagschrauber ansetzen, dann konnte man Verstappen nicht loslassen, weil Norris in der Fastlane war.
Andererseits verlor der Niederländer, weil er gebrauchte Medium-Reifen aufziehen musste. Norris hingegen hatte noch frische Medium-Pneus im Regal stehen. Grund für den Strategie-Fauxpas bei Red Bull war ein leicht irreführender Wetterbericht. Die Bullen hatten am Rennsonntag mit noch höheren Temperaturen gerechnet. Deshalb nutzte man im Training am Freitag lieber einen Satz Medium statt Hard. Man wollte sich unbedingt zwei Sätze der harten Reifen für das Rennen aufheben.
Je heißer es ist, desto größer ist der Vorteil der harten Reifen. Red Bull plante das Rennen mit Medium-Hard-Hard. Am Rennsonntag war es heiß, aber offenbar nicht heiß genug. Deshalb entpuppte sich der Medium als der bessere Rennreifen. Red Bull hatte aber für den Schlussstint nur noch einen angefahrenen Satz zur Verfügung. Verstappen hatte darauf eine schnelle Runde im SQ2 am Freitag absolviert. Den Performance-Nachteil nach dem zweiten Stopp führt Red Bull auf das Reifen-Offset gegen Norris zurück.
2. Warum wurde Norris bestraft?
In Runde 64 kollidierten Max Verstappen und Lando Norris. Der Ausgang ist bekannt, die 10-Sekunden-Strafe für Verstappen auch. Aber wofür erhielt Norris eigentlich eine 5-Sekunden-Strafe? Der Brite hatte vor dem Duell schon dreimal die Strecke verlassen. Rennleiter Niels Wittich zeigte ihm deshalb die schwarz/weiße Flagge als Verwarnung. In Runde 59 verschätzte sich Norris aber beim Überholversuch in Kurve drei und kam dort von der Strecke ab. Wittich ist auch in solchen Fällen rigoros: Obwohl es offensichtlich ein Fehler war, der keinen sportlichen Vorteil brachte, wurde der Track-Limit-Verstoß geahndet.
Weil die Stewards die Strafe recht schnell aussprachen, konnte Norris die fünf Sekunden noch in der Box absitzen. Als er nach der Kollision mit seinem beschädigten Auto an die Box kam, warteten die Mechaniker zunächst die Zeitstrafe ab, ehe sie mit Reifen- und Nasenwechsel begannen. Recht schnell war allerdings klar, dass die Beschädigung am McLaren zu stark und an ein Weiterfahren nicht mehr zu denken war. Hat er die Strafe nun offiziell abgesessen? Laut Klassement nicht, aber das ist egal: Denn Norris hat 64 Runden absolviert, was knapp mehr als 90 Prozent der Renndistanz entspricht. Dadurch geht er trotz Aufgabe in das Rennergebnis ein - die Strafe wurde aufgerechnet und wird nicht in eine Startplatzstrafe für Silverstone umgewandelt.
3. Wofür wurden Hamilton und Albon bestraft?
Lewis Hamilton und Alexander Albon bekamen ebenfalls Strafen aufgebrummt. Hamilton saß seine 5-Sekunden-Strafe beim zweiten Stopp ab, Albon wurde die Zeit auf das Rennergebnis angerechnet. Beide hatten die weiße Linie am Boxeneingang überfahren. Dabei ist 'überfahren' wie so oft eine Definitionssache. Bei den Boxenlinien muss nicht der gesamte Reifen über der Linie sein. Diese Regel gilt nur bei den Track Limits. Bei Boxeneinfahrt und Boxenausfahrt genügt es, wenn ein Teil des Reifens über der Linie ist. Gedanklich kann man sich eine Mauer vorstellen, die direkt hinter der weißen Linie steht. Kommt es zur imaginären Berührung, gibt es eine Strafe.
4. Warum hing Hülkenberg Verstappen im Getriebe?
Nico Hülkenberg fuhr mit Rang sechs ein geradezu sensationelles Ergebnis für Haas ein. Hülkenberg war stark, aber war er wirklich so stark, dass er rundenlang Verstappen im Getriebe hing? Das hatte tatsächlich mit der kurzen Rundenzeit und unterschiedlichen Strategien zu tun. Hülkenberg kam extrem früh zu seinen Reifenwechseln. Durch die kurze Rundenzeit wurde er deshalb früh von Verstappen überrundet. Mit frischen Reifen konnte Hülkenberg aber eigentlich schneller als Verstappen auf abgefahrenen Pneus. Der Haas-Pilot dachte sogar kurz darüber nach, sich zurück zu runden. Das Problem: Er hätte Verstappen dann direkt wegfahren müssen. Sonst hätte er direkt wieder blaue Flaggen gezeigt bekommen. Weil er mir der Aktion auch noch seine Reifen härter rangenommen hätte, fuhr er lieber etwas langsamer hinter Verstappen und profitierte so noch von Windschatten und DRS.
5. Warum war Perez so schlecht?
Max Verstappen erlebte ein desaströses Rennen. Der Weltmeister sprach selbst davon, dass man alles, was man falsch machen konnte, auch falsch machte. Dabei machte er keine Ausnahmen: Von der Strategie, über die Boxenstopps bis hin zum Zweikampf mit Norris. Durch den Unfall verlor er auf der Strecke viel Zeit, weil er mit einem Reifenschaden zurück an die Box musste. Nachträglich bekam er auch noch 10 Sekunden auf seine Rennzeit gerechnet - und trotzdem landete er auf Rang fünf, Sergio Perez aber nur auf Rang sieben.
Der Mexikaner fuhr einmal mehr ein schwaches Wochenende, ganz so schlimm wie auf den ersten Blick war es jedoch nicht. In der Startrunde kollidierte er leicht mit Oscar Piastri. Dabei wurde Perez' RB20 recht stark beschädigt, weshalb ihm im Vergleich zu Verstappen nicht nur Talent, sondern auch Abtrieb fehlte.
6. Warum war Hamilton so langsam?
Perez war nicht die einzige große Enttäuschung: Auch Lewis Hamilton musste sich deutlich unter Wert schlagen lassen. Während Teamkollege George Russell von der Kollision an der Spitze profitierte und den Sieg erbte, überquerte Hamilton die Ziellinie erst 23 Sekunden später. Der Formel-1-Rekordsieger musste nach einem Zweikampf mit Carlos Sainz die Position in der Anfangsphase zurück an den Spanier geben. Dann kassierte er noch eine Strafe für das Überfahren der weißen Linie und zu allem Überfluss hatte er - wie Leidensgenosse Perez - mit einem beschädigten Auto zu kämpfen. "Ich glaube, bei diesem Rennen wurden alle Unterböden beschädigt, Lewis hat es aber ganz besonders erwischt", verteidigte Mercedes Motorsportchef Toto Wolff seinen Schützling. Die Beschädigung soll zirka zweieinhalb Zehntelsekunden pro Runde gekostet haben.
7. Was lief bei Leclerc schief?
Ferrari war beim Österreich GP erneut neben der Spur. Neben schwacher Performance gab es noch zahlreiche andere Probleme. Im Sprint-Qualifying ging Leclercs Motor aus, sodass er im SQ3 nicht mehr rechtzeitig über die Linie kam, um seine Runde zu beginnen. Im Qualifying für den Grand Prix machte der Monegasse einen kleinen Abstecher ins Kies und startete deshalb nur von Platz sechs. Am Start kam er zwischen Oscar Piastri und Sergio Perez in die Zange und beschädigte dabei seinen Frontflügel.
Nach dem Nasenwechsel rechnete Ferrari eigentlich noch damit, dass Leclerc in die Punkte fahren könnte. Aber selbst mit dem Ausfall von Norris reichte es nicht. Den Ferrari-Piloten ereilte das gleiche Schicksal wie Nico Hülkenberg: Nach seinem Boxenstopp lief er - mit einer Runde Rückstand - auf Lando Norris auf. Leclerc konnte eigentlich deutlich schneller, musste aber hinter dem Briten bleiben. "Ich war einfach nur froh, als das Rennen zu Ende war", freute sich Leclerc nach Platz elf.
8. Was war wieder zwischen den Alpine-Fahrern los?
Neues Rennen, neuer Ärger zwischen den Alpine-Piloten. Im Grand Prix duellierten sich Pierre Gasly und Esteban Ocon einmal mehr. Gleich mehrmals wurde es zwischen den beiden Franzosen brenzlig. Während Ocon kein Problem mit dem Duell sah und es als 'gutes Racing' abstempelte, waren Gasly und Alpine-Teamchef Bruno Famin weniger begeistert. "Was war das verdammt nochmal? Habt ihr gesehen, dass er mich von der Strecke gedrängt hat?", funkte Gasly. Alpine will die Szenen nach dem Rennen analysieren, denn Gasly kam nur wenige Zehntelsekunden hinter Daniel Ricciardo und gut eine Sekunde hinter Kevin Magnussen ins Ziel. Ohne die Team-internen Querelen hätte es möglicherweise Platz acht statt Platz zehn für Gasly werden können. Ocon ging auf Platz zwölf leer aus.
9. Wie konnte Alonso die schnellste Rennrunde fahren?
Auf frischen Mediums fuhr Lando Norris in Runde 53 die bis dato schnellste Rennrunde. Unter normalen Umständen hätte er sich damit wohl den Extra-Punkt geholt, doch dann kam es zur Kollision. Weil Verstappen deshalb am Ende noch weiche Reifen aufzog, konnte er in Runde 68 doch noch schneller fahren. Allerdings machte ihm Fernando Alonso noch einen Strich durch die Rechnung: Der Aston-Martin-Pilot holte sich in Runde 68 frische Soft-Reifen und fuhr im letzten Umlauf 0,025 Sekunden schneller als Verstappen.
10. Warum wurde Verstappen für den Unsafe Release nicht bestraft?
Beim ersten Boxenstopp beschwerte sich Lando Norris über eine Behinderung durch Max Verstappen. Der Red-Bull-Pilot hatte seinen Reifenwechsel schon hinter sich, als der McLaren gerade zum Stopp kam. Verstappen wurde direkt vor Norris in die Fastlane geschickt. Die Stewards entschieden sich gegen eine Strafe, weil keine Gefährdung vorlag, die für einen Unsafe Release aber vorliegen muss. In einigen Rennserien genügt es, wenn der Pilot in der Fastlane leicht abbremsen muss - in der Formel 1 muss aber eine tatsächliche Gefährdung vorliegen. Außerdem ist sich Red-Bull-Teamchef Christian Horner sicher, dass Norris die Szene theatralischer aussehen hat lassen, als sie tatsächlich war: "Auf jeden Fall hat er das gemacht!"
11. Warum war Sargeant so weit hinten?
Dass Logan Sargeant kein Formel-1-Überflieger mehr wird, ist inzwischen selbst Williams-Teamchef James Vowles klar. Dass er aber als einziger Pilot beim Österreich GP gleich zweimal überrundet wurde, ist vor allem das Resultat einer kleinen Berührung in Runde eins. Sargeant beschädigte sich den Frontflügel bei einem Zusammenstoß mit Lance Stroll und musste anschließend - wie auch Leclerc - in Runde eins zum Nasenwechsel kommen. Von da an war ein Safety Car, das aber nie kam, die einzige Hoffnung des US-Amerikaners.
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