Für jeden, der den Start des Saudi-Arabien-GP sah, schien der Fall wahrscheinlich klar: Der McLaren Lando Norris rollte an, bevor roten Lichter der Startampel ausgingen. Doch es dauerte über 25 Minuten, bis die Stewards überhaupt eine Untersuchung gegen diesen vermeintlichen Frühstart einleiteten. Nur um Norris fast sofort freizusprechen. Es liegt am Reglement.

"Ich bin losgefahren, dann stehen geblieben", hält Norris fest, dass er sowieso keinen Vorteil hatte. "In Wahrheit habe ich was verloren." Nach seinem Zucken wollte er das Desaster noch verhindern und stoppte das Auto, just als die Lichter ausgingen. Während alle anderen starteten, musste er noch einmal anfahren, und rettete nur mit Mühe seinen sechsten Platz vor George Russells Mercedes.

Norris nächster Profiteur von Formel-1-Frühstartregel

Der Grund für den Freispruch ist die Formulierung im Sportlichen Reglement. Präzedenzfälle gibt es mehrere: Etwa Sebastian Vettel 2019 in Japan oder Valtteri Bottas 2020 in Ungarn. Beide Fälle sind fast identisch zu Norris: Angerollt, stehengeblieben, losgefahren, nicht bestraft. Das Entscheidende ist dabei nicht das Stehenbleiben.

Denn um die menschliche Komponente bei einem womöglich schwer einzuschätzenden Start ganz zu entfernen, überträgt Paragraf 48.1 a) des Reglements explizit der Technik die alleinige Verantwortung. Der Transponder im Auto muss den Frühstart melden. Dieser stellt das in Koordination mit einem Sensor in einem Loch in der Startbox fest. Hier gibt es auch eine Toleranz. Also durchaus möglich, dass nicht ausgelöst wird.

Das Sensor-Loch in einer Startbox, Foto: Motorsport-Magazin.com
Das Sensor-Loch in einer Startbox, Foto: Motorsport-Magazin.com

Die Stewards bestätigen nach dem Rennen: "Das Video scheint zu zeigen, dass Auto 4 vor dem Startsignal anfuhr. Aber der von der FIA zertifizierte und gelieferte Transponder im Auto zeigte keinen Frühstart an." Zwar gäbe es mit 48.1 c) eine Möglichkeit, auch ohne Sensormeldung zu bestrafen. Aber nur, wenn ersichtlich ist, dass ein Teil der Auflagefläche eines Reifens außerhalb der weißen Linien der Startbox ist. Im Fall Norris ist das von der Onboard aus unmöglich zu erkennen.

Norris Opfer vom Safety-Car-Poker: Nachher ist man klüger

Aus Norris' sechsten Platz wurde auch ohne Strafe im Rennverlauf jedoch ein achter. Weil er beim frühen Safety Car ein Risiko einging und anders als die Mehrheit des Feldes nicht zum Reifenwechsel kam. Auf dem verschleißarmen Jeddah Corniche Circuit war ein Wechsel auf Hard nach Runde sieben für die Konkurrenz schon früh genug, um ohne Probleme ins Ziel zu kommen.

Norris pokerte also auf eine weitere Unterbrechung. Kurz war er beim Restart sogar in Führung. Doch weder eine rote Flagge noch ein weiteres Safety Car oder Virtuelles Safety Car kamen. Norris musste schließlich in Runde 38 von 50 unter grüner Flagge wechseln. Damit schenkte McLaren ultimativ George Russell und Oliver Bearman je eine Position.

Deshalb ist Norris zwar frustriert, aber er gibt niemandem Schuld: "Natürlich war es falsch, aber das sagt sich hinterher leicht. Es hätte funktionieren können." Die Entscheidung trafen er und die Box gemeinsam.

In den letzten 12 Runden versuchte er mit Soft-Reifen sich zumindest Platz sieben von Bearman zurückzuerobern, kam aber nur bis auf drei Sekunden an den Ferrari-Ersatzmann heran. Zugleich konnte er immerhin Lewis Hamilton hinter sich halten. Das beweist für ihn das eingefrorene Kräfteverhältnis: "Das Auto ist genau gleich wie letztes Wochenende. Abgesehen davon war es ein gutes Rennen, die Strecke passte uns besser. Aber die Lücke zu Red Bull ist die gleiche."