Christian Menath: Platz 15 mit zehn Punkten, das hört sich nicht gut an. Wie bewerten sie das? Wie viel davon liegt an ihrer eigenen Leistung, wie viel liegt am Auto?
Valtteri Bottas: Ich würde sagen in diesem engen Feld liegt recht viel davon an der Leistungsfähigkeit des Autos. Du brauchst einfach das Auto. Ich weiß, wenn das Auto bereit ist, dann werde ich die Punkte holen, aber wir waren in dieser Saison nicht in dieser Lage. Punkte waren für uns bei fast allen Rennen außer Reichweite. Wir haben dieses Jahr definitiv unsere Ziele verfehlt.

Wenn man Auto und ihre Leistung voneinander trennt, sind sie dann glücklich mir ihrer Leistung?
Ja, ich fühle mich so, als hätte ich gute Leistungen erbracht. Es gibt immer ein paar Rennen, in denen ich etwas anders gemacht hätte, aber ich bin zufrieden mit meiner Leistung.

Sie wissen, dass es von außen sehr schwer zu beurteilen ist. Wenn man nicht in einem Siegerauto ist, dann gibt es nur den Teamkollegen als Vergleichsmaßstab. Es ist wirklich schwer, die Leistungen im Mittelfeld zu bewerten, weil es so eng zugeht und man nicht so viel davon zu sehen bekommt.
Das ist absolut der Fall. Wenn du nicht in den Top 10 bist, dann hast du Probleme zu zeigen, was du kannst und wie deine Leistung aussieht. In der Tat gibt es nur deinen Teamkollegen, mit dem du dich vergleichst. Er hat im Vergleich zum Vorjahr definitiv einen guten Schritt gemacht. Es war dieses Jahr etwas ausgeglichener.

Wenn sie sich die beiden Jahre als Ganzes ansehen. Dieses Team war nur zu Beginn dieser Ära konkurrenzfähig, als das Team einen Vorteil - ich würde es nicht einen Gewichtsvorteil nennen, denn daran hatten sie ja gearbeitet - hatte. Aber sie sehen, dass es Dinge gibt, die einfach nicht funktionieren: Die Aerodynamik, da liegt ihr zurück. Die Weiterentwicklung läuft nicht, wie geplant. Was fehlt diesem Team?
Es fehlt an Manpower, es braucht mehr Leute im ganzen Team und in der Fabrik. Das ist ein Thema, das Andreas bewusst ist und er arbeitet hart daran. Es wird eine ganze Menge an Verpflichtungen geben. Im Moment gibt es auch so etwas wie eine Neustrukturierung des Teams. Es gibt zum Beispiel einen neuen technischen Direktor. Andreas kam anstelle von Fred. Das wird etwas Zeit brauchen, um zu sehen, wie das das Team in Zukunft beeinflussen wird. Für mich fehlt es also noch ein bisschen an den Ressourcen. Über den Winter haben wir einfach nicht den Fortschritt im Windkanal gefunden, den manche andere Teams erreicht haben.

Wenn sie sagen Ressourcen und Leute: Vorher haben wir in der Medienrunde über den Simulator gesprochen, da haben andere Team vor 15 Jahren damit angefangen. Ihr kommt nicht so gut vorbereitet wie andere Teams an die Strecke und macht auch nicht den großen Schritt von Freitag auf Samstag. Wie groß ist ihrer Meinung nach der Einfluss des Simulators?
Ich persönlich glaube, dass der Level unseres Simulators mittlerweile kein großes Defizit mehr ist. Es ist ein nützliches Werkzeug. Ich erinnere mich, als ich bei Mercedes war, da gab es Fälle, wo das Setup nicht mit dem übereinstimmte, was wir im Simulator vorfanden. Du musst immer noch alles mit einer Prise Salz - wenn sie wissen was ich meine - vom Simulator an die Strecke mitnehmen. Und dann musst du basierend auf der Erfahrung der Vorjahre und der vorherigen Rennen agieren. Außerdem funktioniert das Auto seit dem Update in Singapur in recht anderen Bodenfreiheiten. Das ist ein weiteres Element, das manchmal sehr schwierig im Simulator nachzustellen ist.

Bottas über Alfa Romeo: „Müssen aggressiver sein

Sie haben vorher auch erwähnt, dass sie freitags zumeist etwas zu konservativ in Sachen Bodenfreiheit sind. Warum ist das der Fall? Am Ende sitzen alle im selben Boot: Alle haben Probleme mit der Bodenfreiheit und der Abnutzung der Planke. Warum seid ihr da besonders konservativ?
Ich bin immer derjenige, der fordert, so tief und hart wie möglich zu gehen. Aber dann gibt es andere Limitierungen. Porpoising kann davon ein Teil sein. Wenn es da ein Problem im ersten Training gibt, dann würden wir Laufleistung verlieren. Aber ich glaube diese Grundhaltung ändert sich jetzt gerade. Wir haben da gelernt. Jetzt an einem Sprint-Wochenende beginnen wir definitiv mit dem Setup, das uns den meisten Abtrieb liefert.

Alfa Romeo-Fahrer Valtteri Bottas
Noch keine Traum-Ehe: Valtteri Bottas im Alfa Romeo Sauber, Foto: LAT Images

Also andersherum?
Exakt, diese Denkweise hat sich im Team glücklicherweise verändert. Wir müssen aggressiver sein, wir können es uns nicht leisten, beim Zugang zum Wochenende auf Nummer sicher zu gehen.

Als sie den Vertrag mit Alfa-Sauber unterzeichneten, da wussten sie, dass es kein Mercedes sein wird. Aber sind sie nach fast zwei Jahren etwas enttäuscht?
Es wäre etwas hart, von einer Enttäuschung zu sprechen. Von diesem Jahr hatte ich mehr erwartet, kein Zweifel. Das gilt für alle im Team. Wir hatten einen Fortschritt und keinen Rückschritt erwartet. Aus dieser Sichtweise, ja. Diese Saison war enttäuschend, aber es ist wie es ist. Wir stecken da gemeinsam drin. Jetzt zählt die Zukunft und ich bin mit vollem Einsatz dabei, meinen Teil dazu beizutragen, dass wir aus dieser Lage rauskommen.

Ich erinnere mich noch gut, als Fred hier das Sagen hatten und sie überredete, sich dem Team anzuschließen. Würden sie sagen, dass die Versprechungen an sie eingehalten wurden?
Das nächste Jahr wird das zeigen. Er hatte große Hoffnungen in einen Dreijahresplan. Nächstes Jahr kann ich das beantworten. Was diese Saison angeht, ist es vermutlich nicht der Fall. Wie ich schon zuvor gesagt habe: Du erwartest immer einen Trend der Verbesserung und nicht einen Abstieg. Es war ein herausforderndes Jahr.

Bottas lobt neue Formel 1: "Lücken kleiner als jemals zuvor"

Gehen wir ein bisschen weg vom Team und blicken auf den Sport als Ganzes. 2022 startete eine neue Ära: Neue Autos, das Budgetcap von 2021 zeigte für 2022 seine Wirkung, es gibt Restriktionen bei den Aerotests usw. Glauben sie, dass die neue Ära funktioniert?
Ich denke, es funktioniert. Wenn man sich die Lücken zwischen den Teams ansieht, dann sind sie kleiner als je zuvor in der Formel 1. Und das Reglement mit den Restriktionen wird daran weiterhin schleifen. Nächstes Jahr werden wir noch mehr Einschränkungen für gewisse Teams, bei denen es gut läuft, und mehr Vorteile für uns bei den Stunden im Windkanal sehen. Ich denke, auf lange Sicht wird es noch mehr Auswirkungen haben. Ich bin persönlich mit dem neuen Reglement zufrieden.

Red Bull hat mit der Strafe die wenigste Windkanalzeit, die man nur haben kann, aber sie gewinnen dennoch alles.
Ja, sie sind so etwas wie ein Ausreißer in der Meisterschaft.

Und die kleinen Teams sind immer noch klein und liegen zurück? Oder braucht das einfach Zeit?
Ich denke, es wird noch mehr Zeit brauchen. Aber in der Formel 1 ist es immer noch so: Wenn du ein größeres und mächtigeres Team bist - ein Hersteller oder eine große Energy-Drink-Firma - dann wirst du immer einen Vorteil haben, auch mit den Leuten, die du haben wirst. Die Leute wollen Teil eines Erfolgsteams sein. Es wird immer Unterschiede in diesem Sport geben.

Valtteri Bottas vermisst das Formel-1-Podium

Sie haben vorher erwähnt, dass sie für ein Dreijahresprogramm unterschrieben haben. Es ist das erste Mal, dass sie einen langfristigen Vertrag erhalten haben. Sonst waren es immer Einjahresverträge. Sie sagten, sie freuten sich sehr darauf. Wie fühlt sich das jetzt an?
Ich genieße es, aber natürlich würde es mir besser gefallen, wenn wir bessere Ergebnisse hätten. Dieser Sport macht immer viel mehr Spaß, wenn du in der Lage bist, deine Ziele zu erreichen und Fortschritte zu machen. In diesem Sinne war es ein schwieriges Jahr und definitiv eine größere Herausforderung. Aber mir gefällt die Idee im nächsten Jahr mit einem neuen Auto eine neue Chance zu haben. Es gab ein paar Änderungen im Team, es passiert ein Wandel. Außerdem sieht die Zukunft des Teams in den kommenden Jahren aufregend aus, also fühle ich mich immer noch so, als wäre ich am richtigen Ort.

Valtteri Bottas will zurück auf das Formel-1-Podium, Foto: LAT Images
Valtteri Bottas will zurück auf das Formel-1-Podium, Foto: LAT Images

Verstehen sie mich nicht falsch, aber gibt es ein Risiko bei einem Dreijahresvertrag, wenn man um P10 kämpft, zu entspannt zu werden und zu sehr in einer Komfortzone zu sein?
Nein, denn ich vermisse die guten Ergebnisse sehr. Ich vermisse die Punkte und auf dem Podest zu stehen. Das ist meine Motivation. Also gibt es da kein Problem für mich.

Von außen ist es einfach schwer zu beurteilen, wenn du nicht in einem Spitzenauto und damit auch nicht im Rampenlicht bist. Und es gibt dann auch nicht die Gespräche am Teamradio mit...
Exakt! Mit Sicherheit ist es schwer zu beurteilen, aber vertrauen sie mir: Das ist kein Problem.

Am Ende des nächsten Jahres wird ihr Dreijahresvertrag auslaufen. Haben sie bereits Pläne für die Zeit danach?
Das ist etwas, das wir mit dem Team besprechen müssen. Natürlich weiß jeder, dass Audi 2026 offiziell übernehmen wird. Natürlich ist das ein aufregendes Projekt und wäre eine Fortsetzung zu diesem Projekt für mich. Aber von der Seite des Teams gibt es noch keine Entscheidung, wie die Fahrerpaarung nach dem nächsten Jahr aussehen soll. Ich denke diese Diskussionen werden dann nächstes Jahr geführt werden. Jetzt ist alles noch ziemlich offen.

Denken sie, dass sie in einem Mittelfeldteam genug zeigen können, um einen Hersteller wie Audi von sich zu überzeugen?
Das hoffe ich. Ich hoffe, dass wir ein bisschen mehr Pace finden und ich ein Auto bekomme, mit dem ich auch etwas machen kann. Auf diese Weise will ich ihnen zeigen, dass mein Speed und meine Erfahrung wertvoll für sie wären.

Das macht Bottas abseits der Formel 1

Sie haben auch außerhalb der Formel 1 ein sehr interessantes Leben. Sie haben vorher erwähnt, dass die Formel 1 immer ihre höchste Priorität ist und sie nicht zum Radfahren oder ähnlichem wechseln werden, aber soweit ich das weiß, interessieren sie sich für: Mode, Gin, Radfahren, Kaffee...und was habe ich noch vergessen?
Mein Eishockey-Team! Das sind die hauptsächlichen Dinge. Ich habe da einige Investments.

Was ist außerhalb der Formel 1 ihr Lieblingsprojekt?
Mit der Formel 1 außen vor würde ich den Gin nennen, denn das ist ein Projekt, das ich mit meiner Freundin mache.

Und weil es Alkohol ist und sie Finne sind?
Das vermutlich auch. Der Teil des Geschmackstests macht Spaß (lacht). Es ist ein schönes Projekt und eine Leidenschaft. Wenn ich so etwas mache, dann fühle ich mich so, als gäbe es mir Energie, anstatt sie zu verschwenden.

Würden sie sagen, dass die Ähnlichkeit mit diesen anderen Dingen ist: Um Perfekt zu sein, geht es um Nuancen, um kleine Details. Gilt das auch für die Hobbys neben der Formel 1?
Vermutlich schon. In diesem Sport musst du dich wirklich in die Details knien. Alles muss so präzise sein. Es ist das gleiche, mit allem, was ich mache. Wenn ich bei etwas involviert bin, dann will ich das auch ordentlich machen. Wo immer ich auch mitmache, möchte ich aber eine Leidenschaft dafür haben, ansonsten macht es keinen Sinn.

Zahlt es sich schon finanziell aus?
Noch nicht. Als Firma sind wir noch nicht profitabel. Natürlich brauchte es ein Startkapital. Aber hoffentlich ändert sich das um Neujahr herum, dass wir etwa auf Null kommen. Dann werden wir sehen, was die Zukunft bringt.

Reden sie jetzt nur vom Gin?
Ja, das ist nur der Gin. Manche andere Dinge werfen bereits Profit ab.

Valtteri Bottas zusammen mit seiner Freundin Tiffany Cromwell, Foto: LAT Images
Valtteri Bottas zusammen mit seiner Freundin Tiffany Cromwell, Foto: LAT Images

Der Kaffee? Ist das ihre eigene Firma?
Ich besitze 20% der Rösterei. Das ist profitabel und wächst. Beim Eishockey-Team sind es 10% und letztes Jahr waren wir zweiter in der finnischen Liga. Das war ein gewinnbringendes Jahr, es war gut. Bei den anderen Dingen hängt es auch vom Jahr ab. Natürlich war Covid nicht gerade gut für viele Dinge. Seitdem gab es aber Fortschritte.

Und dann haben sie immer noch den AMG One als Geschäftsfahrzeug.
Ja, das wird hoffentlich ein gutes Investment sein.

Valtteri Bottas: “An einem guten Tag, kann ich jeden schlagen“

Früher im Jahr haben sie über 2021 gesprochen. Da ging es um den Moment bzw. die Saison, in der sie realisiert haben, dass Lewis schneller war. Hat das bis heute in ihnen etwas verändert oder war das nur eine Momentaufnahme? Denken sie, dass sie heute jeden hier im Zirkus schlagen könnten?
Darüber denke ich nicht wirklich nach. Es war nur in diesem Moment, als ich es akzeptieren musste. Es war das letzte gemeinsame Jahr mit Lewis. In jedem der fünf Jahre konnte ich im Durchschnitt nicht vor ihm landen. Ich denke es war seine Hochzeit, da hatte er großartige Leistungen. Für heute glaube ich aber nicht, dass es irgendetwas verändert hat. Ich gehe immer noch mit gutem Selbstvertrauen zu den Rennen und fühle mich so, dass ich an einem guten Tag jeden schlagen kann.

Glauben sie, dass ein Formel-1-Fahrer immer so denken muss? Jeder hier muss denken, dass er momentan Max schlagen könnte?
Genau! Diese Einstellung musst du haben. Du kannst nicht in ein Rennwochenende gehen und dir selbst einreden, dass du ihn nicht schlagen kannst. Da hättest du bereits verloren. In diesem Sinne ist es ein Sport, in dem du immer gutes Selbstvertrauen haben und dich selbst überzeugen musst. Wenn du dieses Vertrauen nicht hast, dann gerätst du in eine schwierige Abwärtsspirale. Du kannst das auf der Stoppuhr und an der Konstanz sehen. Ich würde sagen, wenn ich mit ansehe was Checo gerade durchmacht, dann fehlt es im definitiv an etwas Vertrauen. Und das sieht man dann an den Resultaten.

Und das ist ähnlich zu ihrer Situation?
In manchen Situationen, ja.