"Für mich persönlich war es das schlimmste Wochenende in den 13 Jahren", sagte Mercedes Motorsportchef Toto Wolff nach dem Brasilien GP. Auch wenn dem Österreicher ein emotionaler Hang zur Übertreibung im Negativen nachgesagt wird, in Sao Paulo dürfte seine Stimmungslage so ziemlich im Einklang mit der Performance gestanden haben.

Lewis Hamilton schleppte seinen Silberpfeil auf Rang acht über die Ziellinie, George Russell musste mit Überhitzungsproblemen aufgeben. "Ich wusste, dass es ein schwieriger Tag werden würde", gab Hamilton nach dem Rennen zu. Schon am Samstag im Sprint hatte sich abgezeichnet, dass Mercedes im Renntrimm nicht auf der Höhe ist. Durch die Parc-Ferme-Regelung konnte Mercedes nichts mehr am Auto ändern.

Dabei gab es sogar die Überlegung, aus der Boxengasse zu starten, um doch noch am Setup schrauben zu können. "Aber wir wussten nicht, was wir fundamental hätten ändern sollen. Denn es gab ein viel größeres Problem", zeigte sich Wolff ratlos. Das Problem: Mercedes hatte auf viel Abtrieb gesetzt. Dadurch verlor man erwartungsgemäß Zeit auf den Geraden. Gleichzeitig machte man aber in den Kurven keine Zeit gut.

"Wir haben so viel Zeit auf den Geraden verloren und sind doch nur durch die Kurven gerutscht", berichtete Hamilton. Bei Teamkollege George Russell zeigte sich vor der Aufgabe das gleiche Problem: "Mehr Abtrieb bedeutet mehr Geschwindigkeit in den Kurven, man kann die Reifen besser unter Kontrolle halten. Aber das war nicht der Fall. Wir hatten nur den Nachteil auf den Geraden aber keinen Vorteil in den Kurven."

Deshalb wusste Mercedes nicht, wo man über Nacht den Hebel hätte ansetzen sollen. Man dachte über den Start aus der Boxengasse nach, hatte aber keine Lösung. "Da wir die Punktausbeute maximieren wollten, war es wahrscheinlich richtig, so zu starten", meint Wolff.

Hamilton und Russell fahren wieder gegeneinander

Das bedeutete die Startplätze fünf für Hamilton und acht für Russell. Der Youngster hatte eine Rückversetzung um zwei Plätze erhalten, weil er sich im Qualifying in der Boxenausfahrt falsch verhalten hatte. Einen Platz machten beide Mercedes-Piloten gut, weil Charles Leclerc schon auf der Formationsrunde ausfiel.

Nach dem Start fanden sich Hamilton und Russell sogar auf den Plätzen drei und sechs wieder. Beim Restart nach der Rennunterbrechung fiel Hamilton auf Position vier zurück und konnte den Anschluss an das Spitzen-Trio nicht halten. Schnell zeigte sich, dass der schwarze Silberpfeil auch am Rennsonntag äußerst stumpf war. Hamilton führte einen DRS-Train vor dem eigenen Teamkollegen an.

Deshalb kam es erneut zu kleineren internen Querelen. Schon in Suzuka kamen sich Hamilton und Russell in die Quere, in Katar verunfallten die beiden sogar. In Brasilien wollte Russell die Hilfe seines Teamkollegen in Form von DRS, um seinerseits Sergio Perez hinter sich halten zu können. Doch Hamilton zog davon. "Arbeiten wir zusammen oder fahren wir unser eigenes Rennen?", wollte Russell wissen.

Mercedes-Motor überhitzt: Russell zu aggressiv?

Perez ging schließlich an beiden Mercedes-Piloten ohne große Mühe vorbei - doch der Red-Bull-Pilot war nicht der Gegner der Silberpfeile. Auch gegen Lance Stroll und Carlos Sainz war kein Halten, später ging sogar noch Pierre Gasly im Alpine vorbei.

Möglicherweise waren die teaminternen Kämpfe sogar für die Aufgabe bei Russell verantwortlich. Das Überhitzungs-Problem deutete sich während des Rennens schon an. Der Brite fuhr offenbar zu lange im Überhol-Modus. In Runde 55 musste er seinen F1 W14 in der Garage abstellen.

Lewis Hamilton fährt beim Brasilien GP 2023 vor Mercedes-Teamkollege George Russell und Sergio Perez im Red Bull.
Überhitzte Russells Motor im Heck von Hamiltons Mercedes?, Foto: LAT Images

Doch die Kämpfe und Querelen zwischen Hamilton und Russell waren Wolff egal. Er knabbert an der Performance. "Das war total rätselhaft. Das war inakzeptabel für alle von uns. Wir haben eine ordentliche Struktur, ein solides Team und das sah heute nicht nach einem soliden Team aus", fand er deutliche Worte.

Mercedes steht vor drei Rätseln

Mercedes rätselt gleich dreifach: Einerseits geht die Rechnung zwischen Abtrieb und Grip nicht auf. Andererseits dachte man, mit dem Unterboden-Update in Austin einen weiteren Schritt gemacht zu haben. Zweimal war man zuletzt erster Verstappen-Jäger. Und plötzlich fährt man hinter. Und dann bleibt noch das Rätsel des Vorjahres: 2022 holte man Siege im Sprint und im Grand Prix. Wieso lief es 2023 ausgerechnet auf der letztjährigen Paradestrecke am schlechtesten?

Lag es womöglich an der Disqualifikation vor zwei Wochen in Austin? War Mercedes am nächsten Sprint-Wochenende zu konservativ bei der Bodenfreiheit und hat deshalb erheblich Performance eingebüßt, um nicht erneut eine Disqualifikation zu riskieren?

Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton
In Austin hatte sich die Bodenplanke zu stark abgenutzt - Mercedes ging in Brasilien auf Nummer Sicher, Foto: LAT Images

"So etwas nimmt man mit, wir sind das Auto viel zu hoch gefahren. Aber das war nicht der Hauptgrund für diese Performance", meint Wolff. "Es muss etwas mechanisch fundamental falsch sein. Es ist nicht der Heckflügel und auch nicht etwas zu viel Bodenfreiheit, denn wir sprechen von ein oder zwei Millimetern. Das ist Performance, aber das ist nicht die Erklärung."

Immerhin lässt man sich vom diesjährigen Ergebnis nicht bei der Entwicklungsrichtung für 2024 in die Irre leiten. Nach dem Doppelsieg vor einem Jahr hielt man doch noch am Fahrzeugkonzept ohne Seitenkästen fest. Für 2024 sind die Weichen schon gestellt, Brasilien hat die Richtung noch einmal bestätigt: "Es wird sich vieles ändern. Es wird ein fundamental anderes Auto im nächsten Jahr. Heute hat das noch bestärkt, dass das der richtige Weg ist."