Zwei Zentimeter lagen in Singapur zwischen Hero und Zero: Anstatt zu siegen, verunfallte George Russell in der letzten Runde des Großen Preises von Singapur. Vier Tage nach dem Rennen bereut der Mercedes-Pilot nichts. Podien und Punkte sind nicht mehr genug - der Sieg muss her. Auch, wenn er dafür manchmal in der Mauer landet.
Bewältigungs-Therapie von und mit George Russell
"Das ist nicht das erste schwere Moment. In jeder Karriere hast du diese Höhen und Tiefen", hat sich George Russell mittlerweile von seinem Schock erholt. "Ich brauchte ungefähr 24 bis 36 Stunden, um darüber hinwegzukommen." Ein emotional-aufbauender Anruf von Trackside Engineering Director Andrew Shovlin half dabei.
"Shov hat mich angerufen und gesagt: 'Wir waren nur in der Position, um den Sieg mitzukämpfen, weil du so unglaublich gefahren bist das ganze Wochenende hinweg. Du hast uns das Gefühl zurückgegeben, wie es ist, wieder um den Sieg zu kämpfen'. Das nehme ich aus dem Wochenende mit, nicht das Ende", erzählt George Russell.
Russell: Der Zweite ist der erste Verlierer
Das Rennen war physisch und mental für ihn ein Ritt auf der Rasierklinge, beinahe jede Runde schrammte der 25-Jährige haarscharf an der Streckenbegrenzung vorbei. "Es war nur eine Frage der Zeit. Natürlich war es sehr nervig, dass es in der letzten Runde passiert ist. Aber ich hatte voll gepusht, um den Sieg einzufahren. Wir sind Rennfahrer, wir geben uns nicht mit P2 zufrieden."
"Ich lasse mir von einem Fehler von zwei Zentimeter nicht das gesamte Wochenende ruinieren. So ist es mir lieber, als wie wenn wir keine Pace, und nur mit viel Glück ein gutes Resultat erzielt hätten", merkt Russell an. "Der Grund für all das: Ich pushte einfach das Limit. Vermutlich darüber hinaus: Ich versuchte mehr herauszuholen, als möglich war."
Natürlich ärgere er sich über seinen Fehler und den Unfall. Aber: "Ich wusste, dass ich mir in den Hintern treten würde, wenn ich es auf der letzten Runde relaxter angegangen wäre und Lewis mich dann überholt hätte." Aufstehen, Krone richten, weitermachen. "Du kannst dich von solchen Rückschlägen begraben lassen, es überdenken und es dich auffressen lassen. Aber das bringt nichts."
"Du musst morgens aufstehen, deine Kleidung und deine Schuhe anziehen und wieder loslegen", so der Brite. Ähnliche Erfahrungen mit harten Rückschlägen hat er nicht nur in dieser Saison, sondern schon 2020 in Imola, als er auf dem Weg zu Williams-Punkte hinter dem Safety-Car verunfallte, gesammelt.
Vom Risiko- zum Sicherheits-Russell in einer Sekunde
In den Nachwuchsserien bis hin zu seinem ersten Jahr bei Mercedes sei das noch anders gewesen. "Ich behielt immer das große Ganze im Blick und fuhr Ergebnisse ein", so der junge Brite. Das hätte sich immer ausgezahlt. Bis 2023. "Dieses Jahr riskieren wir ein bisschen mehr und gehen wirklich auf das Ganze."
Das gehe wie in Zandvoort oder Singapur manchmal schief. Insgesamt 60 Punkte verlor George Russell laut seinen Berechnungen bereits 2023. Problem: Entweder er selbst, oder die Technik: "In Australien hätte ich aufs Podium kommen können, in Zandvoort mit dem Regen war ein weiteres weg, letzte Woche war es ein Fahrfehler von mir, in Kanada ebenfalls."
"Im Gegensatz zum letzten Jahr: Da waren wir in 19 von 20 Rennen in den Top-5 und haben beständig Punkte gesammelt", sieht sich Russell fahrerisch noch nie so stark wie in dieser Saison. "Du fährst gegen die besten der Welt und willst dich testen. Ich bin nicht mehr zufrieden, mit P2 oder P3 nachhause zu gehen. Ich will immer mehr."
Der Mindset-Shift kann aber genauso schnell wieder rückgängig gemacht werden. "Es war von Beginn an ziemlich klar, dass wir in diesem Jahr nicht um die Weltmeisterschaft kämpfen werden", erklärt George Russell. "Falls wir wieder um die WM kämpfen können, wäre ich sofort wieder darauf eingestellt." Und Risiko-Russell Geschichte.
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