Es ist die wohl größte Sensation der Formel-1-Geschichte: Ross Brawn übernimmt nach Hondas Ausstieg das Team der Japaner und holt damit 2009 unter dem Namen Brawn GP beide Titel, ehe das Werk in Brackley ein Jahr später zur Heimat des heutigen Mercedes-Teams wird. Einer, der damals hautnah dabei war, ist der heutige Williams-Teamchef James Vowles. Der Brite war seit 2001 im Rennstall, der damals noch BAR hieß. Er erinnert sich noch heute gerne an die unglaubliche Geschichte, als Brawn bei den ersten Testfahrten der Saison 2009 die gesamte F1-Elite alt aussehen ließ.
Dabei begann das Märchen alles andere als sensationell. Die Mitarbeiter des Teams bangten im Winter allesamt um ihre Zukunft und hielten Teamchef Brawn dennoch die Treue. "Es war eine interessante emotionale Reise, denn wir alle haben im Dezember 2008 unseren Job verloren. Alle sind in der Fabrik geblieben, jeder Einzelne, um das Auto zu bauen, das der Brawn GP Wagen war", erinnert sich Vowles. Er war damals schon der Chefstrategie des Teams. Eine Rolle, die ihn später bei Mercedes einem Millionenpublikum bekannt machte. Stichwort: 'Valtteri, it's James'.
Brawn hatte nicht einmal Plätze für die Mercedes-Mitarbeiter
Doch der Grund für die Erfolge Brawns war nicht die Strategie, sondern die technische Überlegenheit des Wagens zu Saisonbeginn. Der mit Doppeldiffusor ausgestattete Wagen gewann sechs der ersten sieben Rennen. Doch wussten die eigentlich arbeitslosen Ingenieure schon im Winter, welche Rakete sie da gebaut hatten? Laut Vowles gab es eine gewisse Vorahnung: "Dieses Auto wurde in drei separaten Windkanälen entwickelt. Wenn Sie mich also gefragt hätten, ob es schnell sein wird, hätte ich Ihnen gesagt: Ja."
Die Ressourcen für die Entwicklung des BGP 001 kamen noch von Honda. Teamchef Ross Brawn hatte sich früh im Jahr 2008 auf die neuen Regeln des Jahrgangs 2009 konzentriert. Nach dem Rückzug der Japaner hatte das Team aber nichts mehr, nicht einmal Garagen-Plätze für den neuen Motorenpartner: "Das erste Mal, dass es tatsächlich auf die Strecke ging, war auf dem Stowe Circuit in Silverstone. Ich erinnere mich, dass wir damals mit einem Sattelschlepper arbeiteten, das war alles, und HPP [High Performance Powertrains, also Mercedes, Anm. d. Red.] auf der Seite des Antriebsaggregats tauchte auf und fragte sich, wo sie ihre Laptops aufstellen sollten, und wir dachten: Wo immer ihr wollt, der Boden ist hier. Wir hatten nichts."
Der Test-Schock in Barcelona: Andere Autos ein Jahr zurück
Die Fahrt in Silverstone war nur ein kleiner Funktionstest. Die üblichen Testfahrten vor der Saison fanden traditionell in Spanien statt und dort kam es zur großen Überraschung: "Das Auto drehte 50 Runden auf diesen Reifen, wir packten es zurück in den Truck, dann ging es nach Barcelona, wo alle anderen eine Zeit lang getestet hatten. Als die Autos rausgelassen wurden, sahen wir sie an und dachten: Das ist seltsam, so sah unser Auto vor einem Jahr oder vor sechs Monaten aus." Die Formel-1-Großmächte von Ferrari und McLaren waren lange mit dem Titelkampf von 2008 beschäftigt gewesen und andere hatten nicht die zündende Idee des Doppeldiffusors. Plötzlich stand Brawn nicht einfach nur gut, sondern teamintern in der Favoritenrolle da.
Dennoch war der spätere Weltmeister Jenson Button alles andere als begeistert von seinem neuen Auto: "Ich will nicht sagen, dass es eine Überraschung war, als wir auftauchten, aber bei den ersten Runden, die wir drehten, ging Jenson raus - es waren übrigens dieselben Reifen, die wir in Stowe hatten - er ging raus, kam wieder rein und ich erinnere mich noch genau an die Nachbesprechung. Er sagte: Es tut mir leid, die Balance des Autos ist einfach schrecklich. Es fühlt sich überhaupt nicht gut an."
Button unzufrieden mit der Balance, aber nicht mit der Zeitentafel
"Wir nahmen einige Anpassungen vor, schickten ihn wieder raus, er kam wieder rein und sagte: "Nein, die Balance des Autos ist nicht da." Auch nach den Setup-Optimierungen war Button also noch nicht überzeugt. Es ist eine alte Weisheit im Rennsport, dass ein Fahrer nie mit seinem Auto zufrieden ist. Eines konnte den Briten aber dann doch umstimmen, wie Vowles mit etwas Humor verriet: "Er ging zur Zeitmessung, wo er dreieinhalb Sekunden pro Runde schneller war als alle anderen. Merkwürdigerweise war die Fahrzeugbalance danach wieder in Ordnung."
Wollten viele Beobachter während den Testfahrten noch an Showruns des Teams ohne Sponsoren glauben, so belehrte Brawn gleich zu Saisonbeginn in Melbourne mit der ersten Startreihe und einem Doppelsieg alle eines Besseren. Teamintern wussten die Brawn-Ingenieure schon längst, was möglich war: "Ich könnte über jeden einzelnen Moment eine Geschichte schreiben, so wie viele meiner Kollegen, die mit mir dort waren. Es war wirklich wie ein Märchen, aber wir hatten eine Vorstellung davon, basierend auf dem, was wir von anderen Konkurrenten sehen konnten, und was wir von unserem Auto zu der Zeit wussten." Und so schrieben sie eine Geschichte für die Ewigkeit, an die bei den Testfahrten noch kaum ein F1-Experte so wirklich glauben wollte.
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