Mercedes leitete nach dem Formel-1-Auftakt in Bahrain gleich eine Krisensitzung ein. In der Pause bis zum Saudi-Arabien GP sorgte vor allem ein offener Brief an die Fans für Aufmerksamkeit. Das Team von Lewis Hamilton und George Russell entschuldigte sich für die Fehlleistung im ersten Rennen und gelobte Besserung. Die öffentliche Kritik von Hamilton am Konzept des F1 W14 sorgte zusätzlich für Aufsehen. Der Teamkollege nimmt vor dem Wochenende in Jeddah wie der Rekordweltmeister die Schärfe aus der Situation.

"Die Leute haben bei unseren Unterhaltungen akzeptiert, dass die Entscheidungen nicht die richtigen waren, aber niemand hat mit dem Finger auf sie gezeigt und sie beschuldigt, Entscheidungen mit den besten Absichten und auf Basis der Informationen, die wir hatten, getroffen zu haben", erklärt Russell das Krisenmanagement innerhalb des Rennstalls. Am Dienstag nach Bahrain steckte die Teamführung die Köpfe zusammen.

"Wir hatten eine gute und offene Unterhaltung, bei der viele Fragen beantwortet wurden, wie wir uns in diese Situation gebracht haben und was wir kurz- und langfristig machen können, um wieder herauszukommen und welchen Weg wir gehen wollen. Diese Änderungen sind schon verabschiedet und wir glauben, dass sie uns zurück zum Sieg führen werden", sagt er weiter.

Das offene Schreiben sei vor diesem Hintergrund für alle Seiten der richtige Weg gewesen: "Tatsache ist, dass es innerhalb des Teams von uns selbst eine gewisse Erwartungshaltung an Mercedes gibt, die auch von außerhalb aus Sicht der Fans besteht. Wir sind ganz klar nicht in der Position, in der wir sein wollen. Der Brief war dazu gedacht, intern und extern die Leute zu beruhigen und sie daran zu erinnern, dass wir wie verrückt daran arbeiten, um wieder dorthin zu kommen, wo Mercedes sein will."

Den zuweilen sehr direkten Ton Hamiltons ordnet er weniger drastisch ein. "Lewis wies auf etwas sehr spezifisches hin, das definitiv nicht die Hauptursache unserer Probleme ist", so der Brite. Diese sieht er im Irrweg, auf den Mercedes bereits 2022 geriet: "Beim W13 waren wir eindeutig zu aggressiv mit dem Design des Autos und das Bouncing war unsere Einschränkung. Zwölf Monate später wollten wir auf keinen Fall mehr in dieser Situation sein und haben es in die andere Richtung übertrieben."

Russell widerspricht Hamilton: Rückstand auf Red Bull keine Sekunde

Bei dem für 2023 geringfügig angepassten Reglement, in dem die Unterböden der Autos beschnitten wurden, gingen die Ingenieure zu konservativ an die Entwicklung. "Wir haben zu viel Performance und Anpressdruck geopfert, um das Bouncing zu verhindern und mussten dann feststellen, dass die von der FIA über den Winter verabschiedeten Regeländerungen den Großteil unserer Probleme bereits behoben hatten", sagt der 25-Jährige.

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Die Fehlkonstruktion schränkte Mercedes im Vorjahr massiv ein. Über mehrere Monate hinweg waren die Ingenieure auf Fehlersuche, anstatt sich auf Weiterentwicklungen konzentrieren zu können. "Wir brauchten sehr lange, um das in den Griff zu bekommen, während wir jetzt beim Blick auf den vergangenen Winter schon erkennen, dass wir falsche Entscheidungen getroffen haben. Wir akzeptieren das und verstehen, warum wir in dieser Position sind", so Russell weiter.

Hamilton bezifferte den Rückstand zu Red Bull vor dem Start ins Jeddah-Wochenende auf 1,5 Sekunden. Mit dieser Einschätzung stimmt Russell nicht überein. "Ist es eine Sekunde im Vergleich zu Red Bull? Nein, ist es nicht", stellt er klar. Was die Kritik am Konzept des Autos angeht, gibt er Hamilton wiederum Recht: "Denken wir, dass wir bei der Philosophie auf dem richtigen Weg sind? Wahrscheinlich nicht."

Mercedes wegen Budgetobergrenze in prekärer Lage

Als problematisch empfindet Russell in dieser Hinsicht die vor zwei Jahren eingeführte Budgetobergrenze. "Es ist anders, als vor drei oder vier Jahren. Da war praktisch alles möglich. Geld hat keine Rolle gespielt, also konntest du machen, was du willst. Wenn du ein komplett neues Auto entwickeln wolltest, konntest du das über Nacht machen", so der Grand-Prix-Sieger.

Wenn Mercedes den F1 W14 doch noch konkurrenzfähig machen will, muss jede Entscheidung ein Treffer sein: "Nun gibt es viele Einschränkungen und du musst den besten Kompromiss finden. Wir wollen viele Dinge am Auto ändern, aber wenn du mit der Budgetobergrenze arbeitest, ist es einfach nicht möglich und auch nicht produktiv, drastische Veränderungen vorzunehmen. In dieser Position müssen die Entscheidungen sehr vorsichtig und weise getroffen werden, denn wir müssen absolut sicher sein, dass es die richtigen sind."