Die Leistung des Fahrers und das Potential des Autos sind die zwei wichtigsten Faktoren für ein gutes Ergebnis in der Formel 1, doch es gibt auch noch einen dritten: Die Strategie. Mit einer guten Strategie kann auch ein langsameres Team einen Erfolg feiern oder ein schnelles Auto mit einer schlechten Strategie auf die Nase fallen. Motorsport-magazin.com erklärt, worauf es bei Strategien in der Königsklasse des Motorsports ankommt.

Was bedeutet Strategie in der Formel 1?

Die Strategie der Formel 1 findet in der Boxengasse statt. Hier werden die Reifen bei einem Boxenstopp gewechselt, aber hier sitzen auch die Strategen der Teams am Kommandostand und beraten in Kommunikation mit den Fahrern sowie der Datenanalysten daheim in der Fabrik ihr vorgehen. Die Frage für die Strategen ist, wie man unter Einbezug aller Umstände zum besten Ergebnis nach der etwa 305 Kilometer langen Grand-Prix-Distanz kommt. Dabei gibt es per Reglement nur eine Regel zu beachten: Ein Fahrer muss in einem trockenen Rennen mindesten zwei verschiedene der drei von Pirelli angebotenen Reifenmischungen fahren. Alles andere, d.h. Anzahl der Stopps und Wahl der Reifenmischung, ist dem Team freigestellt. Die zurückgelegte Distanz auf einem Reifensatz wird in der Fachsprache 'Stint' genannt. In einem Einstopp-Rennen gäbe es demnach zwei Stints. Wir blicken nun darauf, welche Faktoren die strategischen Entscheidungen beeinflussen.

Am Kommandostand wird über die richtige Strategie nachgedacht, Foto: Motorsport-Magazin.com
Am Kommandostand wird über die richtige Strategie nachgedacht, Foto: Motorsport-Magazin.com

Formel-1-Strategie-Faktor 1: Reifen

Da in der Formel 1 seit 2010 nicht mehr nachgetankt wird, dreht sich die Strategie zumeist um ein entscheidendes Thema: Die Reifen. In den Trainings werden sogenannte Longruns gefahren, um das Verhalten der drei Reifenmischungen zu erforschen. Hierbei gilt zumeist: Je weicher der Reifen, desto schneller, aber auch, desto größer der Verschleiß. Ein weiterer Faktor ist das Gewicht: Die mit Benzin vollgefüllten Autos zu Rennbeginn nehmen die Reifen härter ran als die leergefahrenen gegen Rennende. Außerdem wird mehr Grip auf die Strecke gefahren, was ebenfalls zu weniger Reifenverschleiß im Verlauf der Zeit führt.

Daneben stellt sich noch die Frage der Temperaturen. Besonders bei Abend-/Nachtrennen wie in Bahrain oder Abu Dhabi ist dies bedeutsam, da hier die Temperaturen im Verlauf des Rennens absinken. Höhere Temperaturen sind prinzipiell kritischer in Sachen Reifenverschleiß. Dazu sind die Strecken je nach Asphaltbeschaffenheit und Layout härter oder sanfter zu den Reifen. Bahrain hat beispielsweise einen sehr rauen Asphalt und gilt als reifenmordend.

In Sachen Strategie geht es meist um die Reifen, Foto: LAT Images
In Sachen Strategie geht es meist um die Reifen, Foto: LAT Images

Sind alle diese Faktoren mit einbezogen, so stellt sich die Frage, wie oft ein Pilot zum Reifenwechsel an die Box kommen sollte. Je nach Strecke verlieren die Fahrer beim Durchfahren der Box und dem Wechseln der Reifen etwa 20 bis 28 Sekunden. Eine Strategie mit mehr als einem Stopp muss diesen Zeitverlust durch den Vorteil der frischeren Reifen also wieder wettmachen. Außerdem sind die frischen Reifen im Rennen je nach Typ und Laufleistung in Training und Qualifying begrenzt. Manchmal sind die Teams auch gezwungen, gebrauchte Reifen aufzuschnallen, da sonst keine mehr übrig sind.

Formel-1-Strategie-Faktor 2: Zweikämpfe, Verkehr und Track Position

Die Überlegung des Reifenverschleißes bezieht zunächst nur die eigene Leistung mit ein, doch beeinflussen auch die anderen Fahrzeuge auf der Strecke das eigene Rennen. Zweikämpfe und das Hinterherfahren in der verwirbelten Luft des Vordermannes kosten Zeit und erhöhen den Reifenverschleiß. Deswegen versuchen Strategen immer, ihren Piloten in einem Fenster an die Box zu holen, das danach freie Fahrt und keine Zweikämpfe verspricht. Die zuverlässige Arbeit der Boxenmannshaft ist hier essenziell. Sollte beim Stopp etwas schiefgehen und er bspw. sechs statt der geplanten drei Sekunden dauern, kann eine Strategie schon komplett über den Haufen geworfen werden, weil man hinter einen Konkurrenten gefallen ist.

Dieser hat dann die sogenannte 'Track Position'. Das bedeutet der Fahrer befindet sich auf der Strecke vor dem Konkurrenten und das unabhängig von der strategischen Gesamtsituation. Wenn es sich nicht um eine Überrundung handelt, hat er das Recht, sich zu verteidigen. Besonders auf überholfeindlichen Strecken ist dies wichtig. In Monaco kann bspw. quasi gar nicht überholt werden. Dort achten die Strategen nur darauf, die 'Track Position' zu erlangen. Die schnellstmögliche Strategie ist dort nicht unbedingt relevant, sondern man sollte in Führung liegen.

In Monaco zählt Track Position, Foto: LAT Images
In Monaco zählt Track Position, Foto: LAT Images

Auf Strecken, auf denen Überholen gut möglich ist, spricht man hingegen mehr vom 'Verkehr'. Dieser Begriff inkludiert auch überrundete Fahrzeuge. Fahrer mit frischeren Reifen können an anderen vorbeigehen, doch auch dies kostet Zeit. Dennoch wird dies oft in Kauf genommen, besonders wenn die Reifen an einem Boliden vorher regelrecht 'einbrechen'. In diesen Situationen sind frische Reifen oft um mehrere Sekunden pro Runde schneller, was den Nachteil des zusätzlichen Boxenstopps schnell aufwiegt.

Formel-1-Strategie-Faktor 3: Safety-Cars und Rote Flaggen

Gewaltigen Einfluss auf die Strategie kann auch die Rennleitung nehmen: Durch das Safety-Car, Virtual-Safety-Car und den Rennabbruch durch rote Flaggen. Im Falle des Safety-Cars gilt es zwei Dinge zu beachten. Zum einen verliert man bei einem Stopp deutlich weniger Zeit, da die Fahrzeuge auf der Strecke langsamer unterwegs sind. Zum anderen wird das Feld wieder zusammengeschoben. Beim Besuch der Box 'spart' man sich also den Zeitverlust und verliert auch nicht so viele Position wie unter Renntempo.

Vor allem gegen Rennende wird unter SC daher meist auf den weichsten Reifen gewechselt, da dieser nicht mehr lange halten muss. Ein frühes Safety-Car hingegen gibt die Möglichkeit eines Pokers auf härtere Reifen zu wechseln, in der Hoffnung die Reifen halten lange durch. Des Weiteren ist ein Safety-Car oft ein strategischer Neuanfang für abgeschlagene Autos, da ein Zurückrunden in den aller meisten Fällen durch die Rennleitung erlaubt wird.

Das Safety-Car ist ein großer Strategiefaktor, Foto: LAT Images
Das Safety-Car ist ein großer Strategiefaktor, Foto: LAT Images

Das Virtual-Safety-Car hingegen bringt nur einen Vorteil mit sich: Die verkürzte Zeit des Boxenaufenthalts. Das VSC ist also besonders nützlich, um durch einen Stopp Track Position zu erlangen oder zu verteidigen. Das komplette Feld strategisch durcheinanderwirbeln kann ein VSC aber kaum.

Im Falle eines Rennabbruchs mit Neustart gibt es auch einen Neustart der Strategien, denn es dürfen Reifen gewechselt werden. Hierbei gilt aber immer noch die Regel, mindestens zwei Reifenmischungen im gesamten Rennen verwenden zu müssen. Einen frischen Satz der bereits zuvor genutzten Reifenmischung aufzuziehen, kann also ein Fehler sein, denn andere Piloten müssen vielleicht gar nicht mehr an die Box kommen. Die Reifenwahl beim Neustart hängt natürlich auch davon ab, wie viele Runden noch zu fahren sind. Auch hier gilt die Faustregel: Je weniger Runden, desto weicher die Reifenwahl.

Formel-1-Strategie-Faktor 4: Regen

Regnerisches Wetter kann alle zuvor genannten Überlegungen über den Haufen werfen und stellt daher einen Sonderfall der Strategien dar. Im Falle eines von der Rennleitung als 'nass' deklarierten Rennens fällt auch die Pflicht zu zwei verschiedenen Reifenmischungen weg. Für Regenbedingungen stehen zwei Reifen zur Verfügung: Der Intermediate für leichten Regenfall und der Full-Wet für viel Wasser auf der Strecke. Unter Regenbedingungen gibt es die größte Möglichkeit für Strategiepoker, da die Ereignisse noch viel schwerer Vorherzusehen sind als im Trockenen. Konstanter Regenfall ist noch am einfachsten zu bewältigen, doch handelt es sich zumeist um eine von zwei schwierigeren Situationen. Erstens: Die Strecke ist bereits nass, aber sie trocknet im Verlauf der Zeit ab. Zweitens: Die Strecke ist trocken oder leicht feucht und der Regen beginnt bzw. er wird stärker.

Regen verändert alle strategischen Überlegungen, Foto: Red Bull Content Pool
Regen verändert alle strategischen Überlegungen, Foto: Red Bull Content Pool

Im Falle der abtrocknenden Strecke kommt es zu immer höherem Verschleiß und Überhitzen der Regenreifen bzw. Intermediates. Die Fahrer suchen deswegen häufig nassere Stellen, um ihre Pneus abzukühlen. Ein Wechsel lohnt sich am sogenannten 'Crossover'-Punkt, an dem der Intermediate bzw. der Trockenreifen sicher zu benutzen ist. Dieser wird zumeist durch die nasseste Stelle der Strecke bestimmt. Ein Kurs kann fast komplett reif für Trockenreifen sein, doch nützt dies nichts, wenn in einer Kurve noch zu viel Wasser steht. Das Risiko eines Unfalles an dieser Stelle ist groß. Die Einschätzung des richtigen Zeitpunktes für einen Wechsel ist also die große Kunst. Zwischen genialer und katastrophaler Entscheidung liegen oft nur ein oder zwei Runden.

Bei stärker werdendem Regen ist der Effekt andersherum. Slicks oder Intermediates bieten keine Haftung mehr und die Piloten müssen das Auto vorsichtig um den Kurs tragen, um einen Unfall zu vermeiden. Daher werden hier die Regenreifen aufgezogen. Der Poker läuft oft schon im Vorfeld. Wenn man im richtigen Zeitpunkt bereits Regenreifen aufzieht und es kurz danach die Himmelspforten öffnet, kommt dies einem strategischen Jackpot gleich. Sollte der Wetterbericht allerdings falsch sein und der Regen ausbleiben bzw. nur schwach sein, so kann ein Rennen komplett ruiniert werden. Zum Zeitverlust auf den falschen Reifen gesellt sich dann auch noch der des Zurückwechselns beim erneuten Stopp.

Undercut und Overcut

Sollte im direkten Duell mit einem Konkurrenten kein Überholmanöver gelingen, so gibt es zwei Möglichkeiten strategisch an ihm vorbeizukommen: Undercut und Overcut. Die bei weitem häufiger angewandte Strategie ist der Undercut. Dies bedeutet, vor seinem Konkurrenten an die Box zu gehen und sich mit schnellen Runden auf frischen Reifen einen Vorteil zu verschaffen. Selbst wenn der andere Pilot nur eine Runde später reinkommt, kann er schon hinter seinen Konkurrenten zurückgefallen sein. Ein erfolgreicher Undercut benötigt jedoch drei Dinge: 1. Muss der Reifenwechsel im erwarteten Zeitfenster passieren. 2. Müssen die frischen Reifen schnell funktionieren. 3. Darf der Pilot nicht in den Verkehr entlassen werden.

In Situationen, in denen das Aufwärmen neuer Reifen problematisch ist, kommt es zumeist zum Overcut. Das heißt, es wird nicht sofort auf den Stopp des Konkurrenten reagiert, sondern man bleibt noch deutlich länger draußen. Die Theorie ist mit warmen alten Reifen trotzdem schneller zu sein als der jeweils andere auf frischen, aber kalten, Pneus. Außerdem könnte der andere Pilot zu früh reingekommen sein und es wird erwartet, dass seine Reifen gegen Ende einbrechen werden. Ein weiterer Grund für den Overcut kann auch der Verkehr sein, falls dieser größeren Zeitverlust verspricht als der Gewinn durch frische Reifen.