Aston Martin ist das Team der Stunde. Nach dem Saisonauftakt 2023 in Bahrain belegt der Rennstall Rang zwei in der Konstrukteurswertung. Fernando Alonso sorgte mit Platz drei für Furore. "Schön, drei Red Bull auf dem Podium zu sehen", scherzte Sergio Perez nach dem Rennen. Sein Teamchef Christian Horner legte sogar noch nach: "Nachahmung ist der beste Weg, um zu schmeicheln. Schön zu sehen, dass das alte Auto so gut geht."

2022 sorgte Aston Martin mit einem Update für großes Aufsehen. Nachdem man katastrophal in die Saison gestartet war, brachte man beim Spanien GP ein komplett neues Auto - das Red Bulls RB18 zum Verwechseln ähnlich sah. Es dauerte aber, bis die Performance des AMR22 ansehnlich wurde. Von Red Bull war man auch am Saisonende ein ganzes Stück weit entfernt. Deshalb störte man sich nicht weiter an der verblüffenden Ähnlichkeit.

Beim Saisonstart 2023 war Aston Martin mit dem AMR23 erster Red-Bull-Verfolger. Und plötzlich ist 'Dasselbe in Grün' wieder ein Thema. Doch wie viel Red Bull steckt wirklich im Aston Martin? Motorsport-Magazin.com hat den Überraschungs-Boliden genauer unter die Lupe genommen.

Red Bull und Mercedes verlieren Ingenieure an Aston Martin

Red Bulls Aussagen kamen nicht von ungefähr. Man verlor in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Ingenieure an Aston Martin. In der Geschichte von Team Silverstone gab es nur eine Konstante: Egal ob Jordan, Spyker, Midland oder Force India - Geld war immer Mangelware. Mit dem von Lawrence Stroll angeführten Konsortium kam nicht nur ein eigenwilliger Führungsstil, sondern auch endlich die erhofften finanziellen Mittel.

Neben einer neuen Fabrik, die demnächst bezogen werden soll, kamen auch zahlreiche neue Mitarbeiter. Die Top-Teams wurden bei aggressiven Abwerbungsversuchen von Aston Martin zum personellen Aderlass gezwungen. Auch hochranginge Ingenieure wechselten die Fronten. Red Bulls ehemaliger Aerodynamik-Chef Dan Fallows ist nun Technischer Direktor bei Aston Martin. Sein Stellvertreter Eric Blandin war zuvor Chef-Aerodynamiker bei Mercedes.

Viele führen die Red-Bull-Ähnlichkeit auf Fallows zurück. Doch tatsächlich sehen sich AMR23 und RB19 gar nicht so ähnlich. "95 Prozent unseres Autos sind neu", verriet Aston Martin schon vor der Präsentation. Bei Red Bull hingegen blieb man sich treu, der RB19 ist eine dezente Evolutionsstufe des RB18.

Bis auf Ferrari, Haas und Mercedes haben alle Teams die prinzipielle Aero-Philosophie adaptiert. Allerdings kam Red Bull zu Beginn der neuen Formel-1-Ära nicht als einziger Rennstall auf diese Idee. Auch Alpine fuhr von Anfang an mit Seitenkästen, die die Luft über eine lange Rampe nach unten führten. Red Bull war nur deutlich konkurrenzfähiger, weshalb man vom Red-Bull-Konzept spricht.

Teilweise hat Aston Martin 2023 weitere Elemente von Red Bull übernommen, teilweise hat man andere Wege beschritten. Bei Nase und Frontflügel hat man sich definitiv nicht von Red Bull inspirieren lassen. Der Aston Martin zieht die Nase vor bis zum vordersten Flügel-Element. Der gesamte Frontflügel ist anders geformt.

Aston Martin spendierte dem AMR23 eine neue Nase, Foto: LAT Images
Aston Martin spendierte dem AMR23 eine neue Nase, Foto: LAT Images
Bei Red Bull hat man Nase und Frontflügel aber nicht kopiert, Foto: MSM
Bei Red Bull hat man Nase und Frontflügel aber nicht kopiert, Foto: MSM

An der Vorderachse folgte man dem allgemeinen Trend und verfrachtete die Spurstange aus aerodynamischen Gründen eine Etage tiefer zum unteren Querlenker. Red Bull fährt schon seit 2022 damit. Auch bei den oberen Querlenkern folgte man den Bullen: Der vordere Anlenkpunkt am Chassis extrem hoch, der hintere extrem tief. Aber auch diese Lösung hatte Red Bull nicht exklusiv. Es ist ein allgemeiner Trend.

Einen Trend kann man die Pullrod-Vorderradaufhängung nicht nennen. Nur Red Bull und McLaren setzen auf Zugstreben an der Vorderachse. Hauptsächlich - wie so oft - aus aerodynamischen Gründen. Über den Winter hätte Aston Martin nachziehen können, blieb aber bei Pushrods.

Aston Martin kopiert Seitenkasten-Einlässe von Red Bull

Bei den Öffnungen der Seitenkästen ist der Bullen-Einschlag nicht zu leugnen. Die Unterkante ist weit nach vorne gezogen, die Oberkante befindet sich weit dahinter. Außerdem hat man - wie fast alle anderen Teams auch - Red Bulls Kühl-Konzept kopiert. Kühler wanderten vom Seitenkasten hinter den Motor. Dadurch entsteht ein größerer Luftauslass rund um den Beamwing.

Hier die alten Lufteinlässe des AMR22, Foto: LAT Images
Hier die alten Lufteinlässe des AMR22, Foto: LAT Images
Hier die neuen Lufteinlässe am AMR23, Foto: LAT Images
Hier die neuen Lufteinlässe am AMR23, Foto: LAT Images
Und hier das Original, zu sehen am Red Bull RB19, Foto: Motorsport-Magazin.com
Und hier das Original, zu sehen am Red Bull RB19, Foto: Motorsport-Magazin.com

Ansonsten hat man sich aber deutlich vom Weltmeister-Boliden entfernt. Die Seitenkästen leiten die Luft weiterhin nach unten, die charakteristische Sicke nach außen, die so extrem nach Red Bull roch, gehört aber der Vergangenheit an.

Stattdessen hat man die Alpine-Philosophie auf die Spitze getrieben. Die Seitenkästen fallen in der Mitte extrem ab. Eine Art Rutsche entsteht zwischen Motor und Seitenkastenrand. Im Vergleich zum Alpine ist die Rutsche steiler und extremer. Bei den Seitenkästen hat sich Aston Martin stark vom Red Bull emanzipiert.

Aston Martin schneidet den Seitenkasten radikal ein, Foto: LAT Images
Aston Martin schneidet den Seitenkasten radikal ein, Foto: LAT Images
Alpine begann mit dieser Richtung, Foto: LAT Images
Alpine begann mit dieser Richtung, Foto: LAT Images

Dahinter das gleiche Bild. Das Getriebe samt Gehäuse kauft Aston Martin von Mercedes. Dazu gibt es die Hinterradaufhängung vom einstigen Dauerweltmeister. Red Bull wechselte mit der neuen Ära 2022 an der Hinterachse auf Pushrods. McLaren und Alfa-Sauber entschieden sich ebenfalls im ersten Jahr des Reglements dazu, Alpine zog über den Winter nach. Einerseits, um Gewicht zu sparen, andererseits aus aerodynamischen Gründen.

Aston Martin hatte hier aufgrund der Zukaufteile nicht einmal die Chance, Red Bull zu kopieren. "Wir sind aber sehr zufrieden mit dem, was wir von Mercedes bekommen", stellt Technik-Chef Dan Fallows gegenüber Motorsport-Magazin.com klar.

Motor, Getriebe, Getriebegehäuse und Hinterachse bekommt Aston Martin von Mercedes, Foto: Motorsport-Magazin.com
Motor, Getriebe, Getriebegehäuse und Hinterachse bekommt Aston Martin von Mercedes, Foto: Motorsport-Magazin.com

Motor, Getriebe, Getriebegehäuse und Hinterradaufhängung kommen aus Brackley und Brixworth. Mechanisch gesehen ist der Aston Martin hinter dem Monocoque ein Mercedes. Dazu wird die Aerodynamik im Mercedes-Windkanal entwickelt. Mercedes Motorsportchef Toto Wolff bezeichnete den Aston Martin deshalb als 'halben Mercedes'.

Fazit: 2022 sah Aston Martins AMR22 mit dem Barcelona-Update Red Bulls RB18 zum Verwechseln ähnlich. 2023 adaptierte man ein paar Ideen des Weltmeisters, beschritt aber auch eigene Wege. Viele - auch entscheidende - Mercedes-Teile sorgen ohnehin dafür, dass der AMR23 keine Bullen-Kopie sein kann.