Der erste Trainingstag der Formel-1-Saison 2023 endete heute mit einem Paukenschlag: Fernando Alonso sicherte sich in seinem Aston Martin die Tagesbestzeit. Schon beim Test machte der Spanier im AMR23 einen bärenstarken Eindruck, dass nun auch Red Bull in Reichweite scheint, überrascht allerdings. Hat Aston Martin in Bahrain wirklich Chancen, Red Bull zu schlagen? Wie sieht es dahinter aus? Die erste Trainingsanalyse des Jahres.

Dr. Helmut Marko marschierte nach dem 1. Training ratlos aus der Red-Bull-Garage. Sergio Perez hatte zwar soeben Bestzeit gefahren, doch Max Verstappen war meilenweit dahinter. Beim Weltmeister stimmte plötzlich gar nichts mehr - obwohl man das gleiche Chassis wie vor wenigen Tagen im Einsatz hatte und auch beim Setup keine Experimente einging.

Allerdings hatte sich die Strecke in den fünf Tagen zwischen Testende und Saisonauftakt erheblich verändert. An Tag 1 nach dem Test regnete es in der Wüste, am nächsten Tag fegte der Wind mit bis zu 70 Stundenkilometer durch den kleinen Inselstaat. Der Bahrain International Circuit war plötzlich wieder komplett grün.

Zur Abendsession hatte sich die Strecke wieder erholt. Satte zwei Sekunden waren die Piloten bei repräsentativen Bedingungen schneller. Und dann funktionierte der RB19 von Verstappen auch wieder einigermaßen. Trotzdem war nichts von der Überlegenheit des Tests zu spüren.

Vor allem Untersteuern machte sich breit. Ein Grund, weshalb Perez auf Verstappen-Niveau fuhr. Der Niederländer hasst Untersteuern. In den langsamen Kurven verlor er deshalb besonders viel Zeit. Bis der Weltmeister das Vertrauen in den RB19 wieder fand, brauchte es seine Zeit.

Der ein oder andere im Fahrerlager erklärte die abfallende Bullen-Form mit mehr Bodenfreiheit. Angeblich musste der Rennstall die Boliden nach dem Test etwas höher abstimmen, um die Bodenplatte zu schonen. "Das ist nicht das Entscheidende", beruhigt Red Bulls Motorsportchef Dr. Helmut Marko.

War es nur eine Show-Runde von Alonso? Möglicherweise hatte der Aston Martin etwas weniger Benzin an Bord als der Red Bull, trotzdem zeigte man sich auch bei der Konkurrenz von den Zeiten des Routiniers beeindruckt.

Noch mehr Eindruck machte aber der Dauerlauf Alonsos. Schon beim Test war der Asturier mit einer sensationellen Rennsimulation aufgefallen. Tatsächlich hatte Alonso auch im Longrun am Freitagabend die Nase vorne. Im Schnitt fuhr er 0,069 Sekunden schneller als Verstappen.

SoftReifen-AlterStint-LängeZeitRückstand
Alonso17101:37,151
Verstappen18121:37,2200,069
Perez20141:37,6910,540
Leclerc13141:37,9770,827
Sainz1481:38,1480,997
Norris12111:38,2391,088
Gasly17101:38,2881,137
Russell1191:38,3631,212
Sainz861:38,5081,357
Ocon19101:38,5171,366
Hamilton13111:38,5661,415
Bottas1781:38,6501,499
Hülkenberg751:38,6581,507
Tsunoda19101:38,8251,674
Sargeant19111:39,0221,871
Piastri21131:39,0411,890
De Vries1191:39,0961,945
MediumReifen-AlterStint-LängeZeitRückstand
Stroll20101:38,377
Hülkenberg1571:39,0330,656
Zhou1981:39,3490,972
Magnussen1241:40,3701,994
HardReifen-AlterStint-LängeZeit
Albon15151:38,040

Allerdings begann Alonso seinen Longrun mit 1:36,2 Minuten und landete am Ende bei 1:37,9 Minuten. Verstappen begann mit 1:37,6 und endete bei 1:37,5 Minuten. Der Weltmeister streichelte seine Soft-Pneus von Anfang an, sodass keinerlei Abbau zu erkennen war. Der Red Bull hat hier sicherlich noch mehr Reserven als der Aston Martin.

Wobei das nur auf Verstappen zutrifft. Perez begann seinen Dauerlauf schneller, allerdings bauten bei ihm die Pirelli-Reifen ab. So war der Mexikaner im Schnitt rund eine halbe Sekunde langsamer. Zumindest für Perez dürfte Alonso kein Selbstläufer werden.

Und was tut sich hinter dem Überraschung-Duell an der Spitze? Ferrari und Mercedes enttäuschten teilweise maßlos. Bei Ferrari war immerhin die Garagenseite von Charles Leclerc einigermaßen zufrieden. Mit Platz vier konnte der Monegasse leben, auch wenn der Versuch mit einem neuen Heckflügel im 1. Training erneut misslang. Der Flügel auf einer Stelze à la Red Bull bewegte sich wie Wackelpudding hin und her.

Ferrari glaubt in Bahrain nicht an einen Kampf um die Pole Position, Foto: LAT Images
Ferrari glaubt in Bahrain nicht an einen Kampf um die Pole Position, Foto: LAT Images

Als man auf die Standard-Spezifikation zurückbaute, lief es bei Leclerc. Bei Sainz hingegen weniger. Im 1. Training kreiselte er sich spektakulär von der Piste, nachdem seine Rote Göttin in Kurve neun zum bockigen Pferd wurde. Die Hinterachse wirkte beim Spanier den gesamten Trainingstag über instabil. Platz 14 in der Zeitenliste spricht eine eindeutige Sprache.

Immerhin bei den Longruns war Sainz am Teamkollegen dran. Dem Ferrari-Duo fehlte allerdings schon fast eine Sekunde auf die Zeiten von Alonso und Verstappen. Der Reifenverschleiß bleibt die Achillesferse der Scuderia.

Umgekehrtes Bild bei den schwarzen Silberpfeilen: Bei Mercedes sieht es im Dauerlauf immerhin etwas besser aus als auf eine Runde. Lewis Hamilton beendet das 2. Freie Training auf Rang acht, Teamkollege George Russell nur auf P13. "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir wussten, dass wir bei den Tests hinter einigen unserer Konkurrenten lagen, und heute haben wir festgestellt, dass wir weit zurückliegen", so Hamilton.

In den mittelschnellen Ecken funktioniert der F1 W14 - aber nur dort. Auf allen anderen Abschnitten verlieren Hamilton und Russell konstant. Sechs Zehntelsekunden Rückstand erscheinen nach der letzten Saison nicht katastrophal, allerdings ist das gesamte Feld deutlich enger zusammengerückt. Die ersten 13 liegen in weniger als einer Sekunde. Mercedes findet sich deshalb mitten im Mittelfeld wieder.

Fazit: Der Testeindruck von Aston Martin war stark, der Trainingseindruck ist noch stärker. Red Bull hat wohl ein bisschen mitgeholfen, aber Alonso im Aston Martin ist die große Überraschung. Für ganz vorne wird es wohl trotzdem nicht reichen, aber Ferrari und Mercedes scheinen schlagbar. Der Aston ist auf eine Runde und im Dauerlauf stark. Ferrari ist auf eine Runde okay, Mercedes im Longrun. In der jeweils anderen Disziplin schwächeln Ferrari und Mercedes aber.