Red Bull hat in der Formel-1-Saison 2022 schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Trotzdem will kein Team mit zwei Pleiten in die Winterpause gehen. Und nach dem letzten Wochenende in Brasilien ist sich die Truppe um Weltmeister Max Verstappen dem sehr wohl bewusst.

Schafft Red Bull jetzt die Revanche für Brasilien? Nach dem zweiten Training in Abu Dhabi sieht Verstappen wieder richtig stark aus. Brasilien, ein Einzelfall. Mercedes und Ferrari tun sich nach dem Freitag schwer, Red Bull noch etwas entgegenzusetzen. Aber sie haben noch viele Chancen, wie die Trainingsanalyse zeigt.

Vor einem zweiten Brasilien hat Red Bull keine Angst. "Wir sind dort mit dem falschen Setup gekommen", rechtfertigt Dr. Helmut Marko am Abend in Abu Dhabi. "Bei einem normalen Rennen hätten wir das aussortiert. Durch den Sprint haben wir die Gelegenheit nicht gehabt." Allerdings hatte Max Verstappen auch in Abu Dhabi nur ein Training.

Verstappen auch mit nur einem Training dominant

Er musste nämlich Junior Liam Lawson in FP1 ins Cockpit lassen, damit Red Bull den zweiten verpflichtenden Rookie-Test des Jahres absolvieren konnte. Lawson bekam dafür aber nach FP2 ein Lob vom Weltmeister für seine Arbeit, und Verstappen war in FP2 praktisch sofort am Limit. Nur die erste Runde habe er gebraucht, so Marko zu Motorsport-Magazin.

Dann ging es ab, mit 0,341 Sekunden auf den zweitplatzierten Mercedes von George Russell und mit 0,453 auf den besten Ferrari von Charles Leclerc enteilte Verstappen deutlich. Aber diese Lücken sind verzerrt. Zum einen fuhr Verstappen nämlich ungewöhnlicherweise zwei Qualifying-Simulationen und verheizte dafür zwei neue Soft-Sätze. "Das macht es schwer vergleichbar, weil sich die Strecke bei diesen Bedingungen stark verbessert, besonders wenn die Nacht kommt", schränkt Konkurrent Leclerc ein.

Verstappen war der einzige Fahrer, der diesen Ansatz verfolgte. "Weil das morgige Training für nichts ist", argumentiert Helmut Marko. FP3 findet in der Nachmittagshitze statt, ein frischer Reifensatz für eine zusätzliche Qualifying-Simulation dort sei unnötig. In Abu Dhabi zählt nur, was bei und nach Sonnenuntergang gefahren wird.

Zur besseren Vergleichbarkeit kann Verstappens erster Soft-Versuch herangezogen werden. Auf dem fuhr er ein ähnliches Programm wie die Konkurrenz, und die beste Zeit - 1:25,335 - hätte noch immer für den ersten Platz gereicht. Allerdings wäre der Vorsprung zu Russell auf eineinhalb Zehntel geschmolzen. Bei einem bei weitem nicht sauberen Mercedes-Tag.

Mercedes macht in Abu Dhabi Schritt zurück

Im zweiten Training waren Russell und Lewis Hamilton mit dem Mercedes nicht zufrieden. In der Mittagspause hatte das Team einiges umgebaut. Unter anderem wurde, wie schon oft in dieser Saison, die Abtriebs-Konfiguration gewechselt. Beide Fahrer bekamen einen kleineren Heckflügel. Waren sie in FP1 noch stark in den langsamen Kurven am Rundenende, so verpuffte dieser Vorteil.

Mercedes hatte im 2. Training von Abu Dhabi zu kämpfen, Foto: LAT Images
Mercedes hatte im 2. Training von Abu Dhabi zu kämpfen, Foto: LAT Images

Außerdem hatte Mercedes in FP1, wie auch Ferrari, ein Testprogramm für 2023 versucht unterzubringen. Ferrari hatte dafür sogar einen am Heck modifizierten Unterboden nach Abu Dhabi gebracht. Das kostete Zeit bei der Setup-Arbeit.

"In FP2 stimmte die Balance des Autos nicht ganz", beklagte sich Hamilton danach. Auch mit dem Reifenmanagement über eine Qualifying-Runde hatten die Fahrer in FP2 Probleme. Die Kombination von Mittagshitze und mehr Abtrieb bei einem reifenschonenden Auto war ihnen davor in FP1 noch entgegengekommen.

Dreikampf im Abu-Dhabi-Qualifying?

Als es am Abend abkühlte, und man den Abtrieb entfernte, wurde der Mercedes unberechenbarer. Beide Fahrer kämpften auf ihren ersten schnellen Runden mit dem Grip. Russell hatte im ersten Soft-Angriff seine Reifen überhaupt nicht bereit und ruderte wild durch die Haarnadel, ehe er die Runde abbrach. Seine beste Runde kam erst im zweiten Anlauf, und da auch mit Verkehr.

Hamilton kämpfte sich mit vielen Rutschern durch den ersten Versuch. Dann legte er zwei Auskühlrunden ein. Viel gaben Reifen und Auto danach im zweiten Anlauf nicht mehr her. "Es ist ein bisschen wie Roulette", urteilt Hamilton. "Das Reifenmanagement für das morgige Qualifying wird schwierig sein."

Verstappen war mit besseren Reifen bei besseren Bedingungen am Ende deutlich voran. Mercedes ging in der Schikane und dann in den langsamen Kurven am Rundenende mit dem kleineren Flügel die Luft aus. Sergio Perez, mit etwas mehr Flügel unterwegs als Verstappen, verlor trotzdem durch die Bank.

Ferrari war im Qualifying-Trimm vorne im Sechserpack dabei, was ein richtig enges Qualifying versprechen könnte. Mehr Abtrieb half Leclerc und Sainz auf eine Runde, und wohl hat die Scuderia auch den Motor noch nicht so stark aufgedreht.

Verstappen auch im Renntrimm in Abu Dhabi eine Macht

Die meisten Qualifying-Probleme sind für die Verstappen-Konkurrenz aber realistisch lösbar. Mehr Sorgen macht man sich um die Longrun-Zeiten des Niederländers. Besonders bei Ferrari griff diese Sorge schon während dem Training um sich, als die Fahrer am Ende informiert wurden.

Sainz rutschte auf einem geteilten Soft-Medium-Programm ab. Leclerc, der zwölf Runde auf gebrauchten Medium durchfuhr, rutschte noch weiter ab. Der Reifen hielt, wie so oft in den letzten Rennen, am Ferrari einfach die Distanz nicht durch.

Formel 1 Abu Dhabi - 2. Training: Longruns auf Soft

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Sainz1:30,613212
2Russell1:30,85648
3Bottas1:30,84719
4Alonso1:31,595613
5Norris1:31,761613
6Gasly1:31,885614
7Stroll1:32,486816
8Latifi1:32,905514

Formel 1 Abu Dhabi - 2. Training: Longruns auf Medium

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Verstappen1:30,477716
2Perez1:30,832817
3Russell1:30,839523
4Hamilton1:30,937516
5Sainz1:31,098719
6Alonso1:31,332116
7Leclerc1:31,5241123
8Gasly1:31,595315
9Ocon1:31,7641222
10Vettel1:32,028920
11Latifi1:32,301616
12Schumacher1:32,857920
13Zhou1:32,8891123

Formel 1 Abu Dhabi - 2. Training: Longruns auf Hard

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Norris1:31,398312
2Tsunoda1:31,819024
3Albon1:32,1671222
4Bottas1:32,2011020
5Magnussen1:33,037919

Doch auch Mercedes, wo man zuletzt oft im Renntrimm nah an Red Bull herankam, betrachtete die Verstappen-Zeiten mit Argwohn. "Ungewöhnlicherweise war der Reifenverschließ höher als bei unseren Konkurrenten", bemerkte Chefingenieur Andrew Shovlin. Weniger Abtrieb scheint dem Mercedes auch hier nicht geholfen zu haben. Für die Ingenieure beginnt jetzt das schwierige Berechnen eines Kompromisses.

Mercedes hat also noch ein hartes Stück Arbeit vor sich, um ein bockiges Auto für Samstag und Sonntag auszusortieren. Sonst kann Red Bull ein Grande Finale in der WM abliefern und sich nach Brasilien noch einmal rehabilitieren. Dr. Helmut Marko stellte schließlich am Freitag fest: Bei einem Doppelsieg braucht man auch keine Teamorder.

Abseits von der Spitze lohnt ein kurzer Blick ins Mittelfeld, wo Alpine die sehr starke Rennpace der letzten Wochen erneut untermauert. Dass der Rest des Mittelfeldes erst dahinter eng beieinander liegt sind keine guten Nachrichten für McLaren, wo man wohl ein Wunder braucht, um Platz vier in der WM noch zu holen.

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