Formel 1 und Brasilien - eine Kombination, die Action verspricht und auch 2022 diesbezüglich nicht enttäuscht hat. Schuld am turbulenten Rennen sind vor allem zwei Safety-Car-Phasen, die rennentscheidende Folgen hatten.
Zuerst räumte Max Verstappen Lewis Hamilton ab. Und nach dem zweiten, durch einen Defekt von Lando Norris ausgelöstem Safety Car wurde das Ergebnis noch einmal wild durcheinandergewürfelt. George Russell fuhr als Sieger vorne weg, dahinter ging es mit zwei Teamorder-Krisen und zahlreichen Positionsverschiebungen wild zu. In der Rennanalyse wird Ordnung ins Chaos gebracht, und die wichtigsten Fragen beantwortet.
War Verstappen schuld an Hamiltons Brasilien-Niederlage?
"Dann habe ich mir gesagt: Okay, wenn du mir keinen Platz lässt, dann kollidieren wir. Ich war ohnehin zu langsam und ihm hat es die Siegchance ruiniert." So nonchalant urteilte Max Verstappen über seinen Crash mit Lewis Hamilton nach dem ersten Safety Car. Damit hat er gar nicht einmal so unrecht.
Hamilton war in Brasilien schnell, musste sich nach schlechtem Qualifying aber im Sprint erst zurück nach vorne kämpfen. Als er dann beim ersten Restart in Runde sieben von Verstappen gerammt wurde, fiel er auf den achten Platz zurück und musste wieder eine Aufholjagd starten. Mit leicht angeschlagenem Auto verlor er aber gegenüber Russell trotzdem keine Zeit mehr.
Im Gegenteil - nachdem er sich wieder an die Spitze des Mittelfeldes gekämpft hatte, verlor er gegenüber Russell keine Zeit mehr. Dadurch konnte Hamilton seinen ersten Stopp um fünf Runden hinauszögern. 42 Runden vor Schluss wechselte er auf Medium. War das Fenster für eine Einstopp offen, die Siegchance noch da?
Tatsächlich verkürzte er seinen Rückstand im zweiten Stint von 14 auf zehn Sekunden. Wäre er durchgefahren, hätte Russell ungefähr zwölf Sekunden in 20 Runden gutmachen und ihn überholen müssen. Doch das Team ging kein Risiko ein. Hamiltons Rundenzeiten waren nach einem Zweikampf mit Sergio Perez um eine halbe Sekunde gefallen. Um den Status quo auf der Strecke zu garantieren, holte Mercedes Hamilton - dessen Funk-Beschwerden zum Trotz - sogar eine Runde vor Russell zum zweiten Stopp.
Damit wollte man sich gegen einen Undercut vom ebenfalls gerade gestoppten Sergio Perez schützen. Durch das zweite Safety Car kam Hamilton in der Schlussphase zwar wieder ran an Russell, aber so viel langsamer war der Führende auch nicht. Im direkten Fight kontrollierte er das Rennen bis ins Ziel. Überholen wäre Hamilton wohl auch ohne den Verstappen-Crash nicht leicht gefallen.
Teamorder-Drama bei Red Bull & Ferrari nur wegen Safety Car
Ging es bei den Silberpfeilen in Sachen Teamorder respektvoll zu, so löste das späte zweite Safety Car bei Red Bull und Ferrari Krisen unterschiedlichen Ausmaßes aus. Ausgelöst eigentlich von der Tatsache, dass beide Autos von diesem Safety Car strategisch profitierten, nachdem sie unverschuldet in der Frühphase zurückgefallen waren.
Bei Sainz war es Abfall im Bremskühlschacht, der ihn zu einem frühen Stopp zwang. Ferrari war bereit durchzufahren, hätte aber den zweiten Platz in der Schlussphase so wohl ohnehin gegen den heranstürmenden Hamilton verloren. Das zuerst ausgerufene Virtuelle Safety Car nutzte Sainz in Runde 53 daher zum dritten Stopp, um sich mit Soft-Reifen noch einmal für einen Angriff in Stellung zu bringen.
Beim Restart holte sich Sainz mit dem Reifenvorteil Sergio Perez, konnte aber Hamilton nicht noch einmal einholen. Größerer Profiteur der Unterbrechung war Teamkollege Charles Leclerc, der in der Startphase von Lando Norris in die Mauer gedreht worden war. Leclerc kam danach durch das Feld gepflügt, war aber vor dem zweiten Safety Car 35 Sekunden hinter Perez.
Diese Lücke wurde durch die Unterbrechung erodiert. Leclerc spielte beim Restart seinen Pace-Vorteil aus, bekam dann aber den ultimativen Preis - Sainz' dritten Platz - trotz Bitten am Funk nicht. Ferrari war vorsichtig: Gegen Sainz wurde kurz wegen einem möglichen Safety-Car-Vergehen ermittelt, und Fernando Alonso war nahe an Leclerc dran und hätte von einem Platztausch profitieren können. Im Hinblick auf die Konstrukteurs-WM entschied Ferrari lieber, die Plätze drei und vier so zu nehmen.
Perez-Desaster: Keine Reifen, kein Stopp, keine Teamorder
Sergio Perez stoppte beim zweiten Safety Car nicht und wurde zum großen Verlierer. Platz hätte er für einen Gratis-Stopp eigentlich gehabt: 26 Sekunden auf Alonso, 34 auf Leclerc, und den Platz gegen Sainz hätte er nicht verloren, da der mit den alten Reifen diese Stopp-Chance immer genützt hätte.
Um zu verstehen, warum Red Bull ihn auf den ausgekühlten Medium-Reifen draußen ließ und ihn so zur leichten Beute für Sainz, Leclerc, Alonso und Verstappen machte, muss man sich die Reifen ansehen, die das Team sich für das Rennen bei ihm aufgespart hatte. Perez hatte - als einer von nur drei Fahrern - nur mehr einen Satz Soft übrig. Den verheizte er im Start-Stint. Medium-Sätze hatte er sich nicht weniger als vier gespart, sowie zwei Hard-Sätze. Die waren im Rennen aber alle für die Tonne.
Mangels Optionen ließ Red Bull Perez draußen. Er bekam die Mediums nach dem Safety Car nicht mehr ins Arbeitsfenster und wurde durchgereicht. Teamkollege Max Verstappen hatte im Gegenzug noch drei Soft-Sätze für das Rennen aufgespart und fuhr am Schluss auch auf Soft. Durch das Safety Car waren seine 43 Sekunden Rückstand auf Perez hinfällig, und das Drama um die Red-Bull-Teamorder nahm seinen Lauf.
Alonso & Alpine cashen nach dem Debakel groß ab
Fernando Alonso gehörte zu den Fahrern, die Perez ziehen lassen musste. Der Spanier war einer der größten Profiteure des Safety Cars. Alpine hatte das ganze Wochenende schon starke Pace gehabt, aber indem Alonso und Ocon im Sprint crashten, mussten sie von den Plätzen 16 und 17 losfahren.
Alonso plante eine aggressive Dreistopp-Strategie mit drei Medium-Sätzen und einem Schluss-Sprint auf Soft. Das Safety Car hätte nicht besser fallen können, Alonso konnte seinen dritten Stopp zum Billig-Tarif absolvieren. Hätte er unter Grün stoppen müssen, so wäre er hinter Verstappen zurückgefallen.
Durch das Safety Car verschwanden auch noch die Lücken, wodurch Alonso sich mit dem Reifenvorteil zurück auf den fünften Platz kämpfen konnte. Teamkollege Esteban Ocon schaute in die Röhre. Er hatte die Zweistopp-Strategie bekommen und fünf Runden vor der Unterbrechung gewechselt. So lag er zwar direkt vor Alonso, bekam aber Zweikampf-Verbot, um dem Spanier die Aufholjagd zu ermöglichen. Ocon blieb nur Platz acht.
Safety Car ruiniert Gala-Vorstellungen von Vettel & Bottas
Für zwei von Alonsos Opfern war das Safety Car ein absolutes Desaster. Valtteri Bottas und Sebastian Vettel hatten sich lange um den Titel "Best of the Rest" duelliert. Beide hatten jedoch kurz vor dem Safety Car gestoppt und waren beim Restart gegen die Alpine hoffnungslos unterlegen. Bottas hatte immerhin noch Soft-Reifen am Auto und rettete Platz neun. Vettel wurde so eine Ehrenrettung auch vom Team verbaut.
Zum einen war Aston Martin mit nur einem Satz Soft-Reifen ins Rennen gestartet. Vettel hatte diesen Satz beim Start aufgezogen, um von einer guten Ausgansposition Gebrauch zu machen, und hatte sich damit auch an die Mittelfeld-Spitze gesetzt. Nun aber war Aston Martin in der Zwickmühle, denn der reifenschonende AMR22 schien, ähnlich wie der Red Bull, die Medium nicht zu mögen.
Nur waren das die einzigen Reifen, die Vettel noch in der Garage hatte. Das Team ließ sich daher erst dazu hinreißen, Vettel länger auf der Strecke zu lassen, was aber dem hinter ihm fahrenden Bottas einen zwei Runden früheren Stopp und einen erfolgreichen Undercut ermöglichte. Im Mittelstint musste Vettel dann auf Medium abreißen lassen.
Dann unterband Bottas mit einem rechtzeitigen zweiten Stopp die Gefahr eines Undercut-Konters von Vettel, der aber ohnehin nur wieder auf die schwachen Mediums wechseln konnte. Teamkollege Lance Stroll fuhr umgekehrt Medium-Medium-Soft und nahm Vettel am Schluss den letzten Punkt ab. "Den Punkt hättet ihr mir wenigstens noch geben können, am 'Kindness Day'", entgegnete Vettel auf der Cooldown-Runde. Im Sprint und im Rennen war er der schnellere Pilot gewesen, und obendrauf von Stroll am Samstag fast in die Leitplanke gedrückt worden.
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