Die Formel 1 hat noch nicht fertig. Das vorletzte Rennwochenende der Saison 2022 lieferte in Brasilien bisher einen Kracher nach dem anderen. Auf das Chaos-Qualifying mit Kevin Magnussens sensationeller Pole Position folgte ein Sprint-Thriller mit unbesiegbaren Silberpfeilen und einem strauchelnden Weltmeister. Der Grand Prix verspricht nach den jüngsten Geschehnissen der Höhepunkt der Party zu werden. Diese sieben Schlüsselfaktoren entscheiden heute über das Rennen.

1. - S wie Startaufstellung

Der Sprint hat in Brasilien wieder einmal gehalten, was er verspricht. Die Startaufstellung wurde durch das Qualifikationsrennen ordentlich durchgemischt und die Ausgangslage könnte für das Rennen kaum spannender sein. Mit George Russell und Lewis Hamilton in Startreihe eins darf sich Mercedes nach den starken Auftritten in Austin und Mexico City ein weiteres Mal berechtigte Hoffnungen auf den ersten Saisonsieg machen.

Für die perfekten silbernen Vorzeichen sorgte eine Strafe für Carlos Sainz. Er beendete den Sprint als Zweiter, muss wegen einem neuen Motor aber fünf Plätze weiter hinten Aufstellung nehmen. Schlecht für den Spanier, gut für die Show. Mit Max Verstappen und Sergio Perez in Reihe zwei steigt an der Spitze der Kampf Mercedes vs. Red Bull. Als bestplatzierter Ferrari-Pilot lauert Charles Leclerc gleich dahinter.

Das Verfolgerfeld hat wie üblich Zündstoff zu bieten. Allem voran das Duell von Esteban Ocon und Fernando Alonso. Im Sprint kam es zu einer erneuten Kollision der Alpine-Teamkollegen, bei der Letzterem endgültig der Kragen platzte. Im Grid stehen sie heute zusammen in der neunten Reihe. Für schöne deutsche Aussichten sorgen derweil Sebastian Vettel und Mick Schumacher auf den Startplätzen neun und zwölf.

2. - S wie Start

An kaum einem anderen Austragungsort ist die Startrunde derart umkämpft wie in Interlagos. Der Run von der Pole Position bis zum berüchtigten Senna-S ist nur 195 Meter lang und lädt durch die breite Strecke zu gewagten Manövern ein. Startkollisionen sind daher keine Seltenheit. Ist die erste Passage gemeistert, geht das Hauen und Stechen mindestens bis Kurve neun munter weiter.

Auf der Geraden hinunter zu Kurve vier gibt es Platz und jede Menge Windschatten. Die darauffolgende Highspeed-Sektion wurde von Verstappen und Russell im Sprint eindrucksvoll in ihr beinhartes Duell eingebunden und gibt auch in der Anfangsphase die Möglichkeit, Zweikämpfe bis in den Mittelsektor fortzusetzen. In diesem kommt es im Pulk gerne zu übermotivierten Manövern. Vor allem in Kurve zehn sehen die Fahrer gerne mal eine Lücke, die plötzlich verschwindet.

3. - S wie Strategie

Bei Red Bull rauchten nach dem Sprint die Köpfe. Max Verstappen war auf dem Medium-Reifen völlig chancenlos gegen die Konkurrenz. Die Weltmeister müssen sich etwas einfallen lassen, denn sonst wird es für sie der trostloseste Sonntag der Saison. "Ich bin mir nicht sicher, was wir für morgen tun können. Aber es kann kaum schlimmer als heute laufen", so der ratlose Verstappen.

Die von Pirelli ausgegebenen Strategien werden ihm wohl nicht gefallen. Der Reifenlieferant schlägt als schnellste Variante eine Zweistopp-Strategie vor. Entweder in der Reihenfolge Soft, Medium und Medium, oder alternativ mit Soft, Medium und Soft. Die Einstopp-Taktik ist laut den Italienern ebenfalls eine Option. Dabei ist der Start auf Soft oder Medium vorgesehen, gefolgt von einem langen zweiten Stint auf dem harten Compound. Dieser ist allerdings sieben Zehntelsekunden pro Runde langsamer als Medium, bzw. eine Sekunde langsamer als Soft.

Red Bull graut es vor einem weiteren Reifen-Horror, Foto: LAT Images
Red Bull graut es vor einem weiteren Reifen-Horror, Foto: LAT Images

4. - S wie Safety Car

Wo viel gehobelt wird, fliegen gerne auch mal die Carbonspähne. Die Traditionsrenntrecke von Sao Paulo hat in ihrer langen Formel-1-Geschichte schon jedes Safety Car gesehen - und tatsächlich auch den ersten offiziellen Einsatz eines solchen in der Königsklasse. 1993 wurde ein Fiat Tempra mit sagenhaften 125 PS als Führungsfahrzeug für Ayrton Senna und Co. eingesetzt. Bernd Mayländer hat es heute im Fall der Fälle deutlich leichter, die F1-Boliden im Zaum zu halten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der ehemalige Profirennfahrer im Mercedes-AMG GT Black Series ausrücken muss, liegt bei 80 Prozent. Seit 2016 gab es nur einen Brasilien GP, bei dem keine Neutralisierung notwendig war. Bei den anderen sorgten die Safety-Car-Phasen teilweise für irre Finishes. Im Jahr 2019 wurde der Grand Prix durch eine späte Gelbphase zu einem Sprint über zwei Runden.

5. - S wie Strecke

Das in seiner Form seit 1990 praktisch unveränderte Autódromo José Carlos Pace ist seit jeher ein Garant für spektakuläre Rennen. Häufig spielt das Klima in der brasilianischen Metropolregion von Sao Paulo dabei eine Rolle. Die vor dem Wochenende vorhergesagten Schauer haben sich mittlerweile allerdings erledigt, denn für den Sonntag wird von den Meteorologen eine Regenwahrscheinlichkeit von lediglich zehn Prozent prognostiziert.

Dafür sorgt die Rennstrecke mit ihrem Layout auch bei trockenen Bedingungen für ungefiltertes Racing. Auf einer Länge von 4,309 Kilometern gibt es zehn Links- und fünf Rechtskurven zu meistern. Der hohe Vollgasanteil von 74 Prozent gepaart mit den schnellen Passagen des Kurses ist für den Nacken des Fahrers eine enorme Belastung. Interlagos zählt auch ohne tropische Hitze zu den physischsten Rennen im Kalender.

Die Formel-1-Rennstrecke von Sao Paulo fordert Mensch und Maschine gnadenlos, Foto: LAT Images
Die Formel-1-Rennstrecke von Sao Paulo fordert Mensch und Maschine gnadenlos, Foto: LAT Images

6. - S wie Silberpfeil am Horizont

Die Dominatoren vergangener Tage sitzen seit 343 Tagen auf dem Trockenen. Lewis Hamiltons Triumph beim Saudi-Arabien GP 2021 war der bis dato letzte Erfolg von Mercedes in der Formel 1. So wie die Saison 2022 für das Team begann, war an einen Sieg nicht zu denken. Red Bulls einziger Gegner hieß Ferrari, doch acht Monate nach dem Saisonauftakt ist das Kräfteverhältnis ein anderes. In den USA und in Mexiko lief Mercedes der Scuderia den Rang ab.

Im Schlussspurt sind die Silberpfeile mit Lewis Hamilton und George Russell die zweite Kraft, und das bewiesen sie im Sprint von Brasilien noch eindrucksvoller als an den vorangegangenen Rennwochenenden. "Wir haben gesehen, wie heftig sie ihr Auto weiterentwickelt haben und immer näher gekommen sind. Es ist keine wirkliche Überraschung, dass sie solch eine Performance zeigen, bei so vielen Teilen, die sie gebracht haben", sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner.

Das Topspeed-Defizit von Mercedes dürfte sich beim Finale in Abu Dhabi wieder deutlicher bemerkbar machen. Alles spricht dafür, dass Interlagos die letzte Ausfahrt für einen Mercedes-Sieg im Jahr 2022 ist. Nach dem Sprint beteuerten die Fahrer maximales Teamwork auf der Jagd nach dem Sieg. "Wenn einer von uns auf Platz eins ist, sind wir beide glücklich", so Hamilton. Ob der Rekordchampion sich diesen Satz zu Herzen nimmt, wenn die Startampeln erlöschen, ist fraglich. In Mexiko machte er mit Russell kurzen Prozess.

7. - S wie Sieger und Sensationen

Mit Sebastian Vettel, Lewis Hamilton und Max Verstappen befinden sich drei Sieger des Brasilien GP im Grid. Letzterer war in Sao Paulo stets flott unterwegs, schaffte bisher aber nur ein Mal den Sprung auf die oberste Stufe des Treppchens. Vettel und Hamilton standen hingegen schon jeweils drei Mal ganz oben und könnten am Sonntag mit Michael Schumacher gleichziehen. Für einen Rekord würde das allerdings nicht reichen, denn den hält mit sechs Siegen die französische F1-Legende Alain Prost.

Inwiefern ein Vettel-Sieg realistisch ist, lässt sich leicht beantworten. Denn Interlagos hat nicht nur für einige der spannendsten Rennen der Formel-1-Geschichte gesorgt, sondern auch für sensationelle Momente. Im Jahr 2003 feierte Giancarlo Fisichella im Jordan einen der kuriosesten Underdog-Triumphe. Später war es Nico Hülkenberg, der 2012 im Force India um den Sieg kämpfte und bekanntermaßen grandios scheiterte. Kevin Magnussens Pole Position ist der jüngste Beweis dafür, dass in Interlagos alles möglich ist.