Der Russland Grand Prix findet dieses Wochenende nicht statt, dafür könnte ein russischer Fahrer bald wieder auf dem Formel-1-Grid zu finden sein. Wer gedacht hat, die Silly Season könnte nicht noch verrückter werden, irrt sich. Wie von den Toten auferstanden, machte Daniil Kvyat einen Abstecher zum Monza-Paddock, tratscht dort im Alpine-Motorhome mit Otmar Szafnauer und heizt Gerüchte um eine mögliche Rückkehr in die Königsklasse an. Problematisch dabei: Seine russische Staatsbürgerschaft.

Russland-Sanktionen durchkreuzen Kvyats-Fahrplan

Gemäß der FIA dürfen russische und weißrussische Fahrer internationale Rennen bestreiten, aber nur zu bestimmten Konditionen. Anfang März kostete genau das Daniil Kvyat seinen Job. Kvyats Boss und G-Drive-Teambesitzer Roman Rusinov weigerte sich, den erforderlichen Vertrag der FIA zu unterschreiben. "Für meine Fans, für meine Stallgefährten und zur Ehre meines Landes fahre ich lieber gar nicht, als dieses Dokument zu unterzeichnen", so Rusinovs Rechtfertigung.

Verboten waren etwa das Starten unter russischer Flagge, das Mitsingen der Nationalhymne sowie jegliche Aktivitäten, die Russland in irgendeiner Form Unterstützung zeigen. Kvyat äußerte sich damals nicht, dafür aber jetzt: "Sag niemals nie", meinte er gegenüber den Kollegen von Autosport. Der Russe hält eine Rückkehr in die Formel 1 nicht für ausgeschlossen. "Gerade ist vermutlich das Timing nicht ideal, aber vielleicht eines Tages."

Auferstehung in Amerika

Daniil Kvyat fährt zurzeit für drei Rennen in der amerikanischen NASCAR-Serie. "Hier bin ich willkommen!" Im nächsten Jahr plane er dort weiterzufahren. "Ich bin glücklich hier. NASCAR wollte ich schon immer ausprobieren, da geht ein kleiner Traum von mir in Erfüllung." Kvyat fährt derzeit (unter russischer Flagge) beim Team Hezeberg in der NASCAR Cup Series .

Daniil Kvyat fährt in der NASCAR Cup Series mit der gleichen Startnummer wie damals in der Formel 1, Foto: LAT Images
Daniil Kvyat fährt in der NASCAR Cup Series mit der gleichen Startnummer wie damals in der Formel 1, Foto: LAT Images

Zwei Einsätze in Indianapolis und Watkins Glen, zwei Punkte. Ausbaufähig, aber: "Um wirklich an die Spitze zu kommen, dauert es sicher eine Zeit", übt sich Daniil Kvyat in Geduld. "In der NASCAR kannst du, wenn du es richtig angehst, eine lange Karriere haben. Ich wäre gespannt, wie weit es für mich gehen könnte!" Am 8. Oktober hat Kvyat seinen dritten und in dieser Saison letzten Einsatz auf dem Charlotte Roval.

Kvyat gibt Formel-1-Traum nicht ganz auf

"Natürlich wird die Formel 1 immer einen ganz speziellen Platz in meinem Herzen einnehmen", sagt Daniil Kvyat über seine alte Liebe. "Wer weiß. Vielleicht, oder sagen wir: Hoffentlich können wir irgendwann wieder darüber reden. Ich bin ja noch jung." Sogar 13 Jahre jünger als Fernando Alonso, der sich mit seinen 41 Jahren noch immer frisch wie ein Rookie fühlt. 2021 war Kvyat noch als Ersatzfahrer bei Alpine tätig. Das Team aus Enstone dementierte allerdings mögliche Gerüchte um Kvyat als Alonso-Ersatz.

Trotzdem will der ehemalige Red-Bull-Pilot eine mögliche Rückkehr in die Königsklasse nicht ausschließen. "Es gibt einige Beispiele, wo Fahrer nach einer kleinen Pause zurückkommen, und noch immer gute Leistungen zeigen", schöpft Daniil Kvyat Hoffnung. Bei einer möglichen Rückkehr sollte seine Staatsbürgerschaft kein Problem sein: "Ich bin da offen. In den USA darf ich überall starten, das sollte hier in Europa auch möglich sein."

Geheime Teambesprechung zwischen Mekies, Kvyat und Manager Todt?, Foto: LAT Images
Geheime Teambesprechung zwischen Mekies, Kvyat und Manager Todt?, Foto: LAT Images

Unter zwar unter neutraler, statt russischer Flagge. Daniil Kvyat schließt auch ein Antreten unter italienischer Flagge nicht aus. Der 28-Jährige hat während seiner Kartsport-Zeit und als Pilot bei AlphaTauri insgesamt fast zehn Jahre in Italien gelebt. "Natürlich bleibe ich Russe, aber wenn ich hier bin, rede ich wie die Einheimischen. Wie wenn ich in Italien aufgewachsen wäre." Mit Ferrari (2018 als Entwicklungsfahrer) und Toro Rosso/AlphaTauri (2014-2020) war Max Verstappens Vorgänger sogar bei zwei italienischen Rennställen angestellt.

Kvyat tauscht jederzeit Anzug gegen Rennoverall

"Eine Zeit lang war natürlich alles sehr angespannt, jetzt ist es etwas besser", schätzt Daniil Kvyat die aktuelle Lage für sich und russische Kollegen ein. "Das hat leider unsere Verhandlungen etwas zurückgeworfen." Die Frage bleibt, inwiefern Formel-1-Teams zurzeit einen russischen Piloten haben wollen. Er sei jedenfalls offen für Angebote. "Die Leute haben meine Nummer und wissen, wo sie mich finden können", macht Kvyat Werbung für sich. Und scherzt: "Jetzt trage ich Anzug. Ich kann ihn aber jederzeit gegen einen Rennoverall tauschen."

Ein wichtiger Genosse ist dabei Daniil Kvyats Manager, Nicolas Todt. Der Franzose ist neben Kvyat auch für Charles Leclerc zuständig. "Ihn an meiner Seite zu haben hilft sicherlich", streut der 28-Jährige Rosen für Todt. "Ich habe allerdings auch meine eigenen Kontakte." Das Entscheidende sei aber das Timing. Für die anderen, denn: "Ich bin jederzeit bereit, wieder in ein Formel-1-Cockpit zu steigen. Das ist das Einfachste für mich!" Die Umstellung auf NASCAR sei anfangs viel schwieriger gewesen.

Robert Shwartzman: Vom Russen zum Israeli

Ebenfalls für Ferrari fährt ein anderer (Halb-)Russe: Robert Shwartzman. Der Formel-2-Vizemeister hat die israelische und russische Staatsbürgerschaft und ist aktuell Testfahrer der Scuderia. Shwartzman wird in Austin und (voraussichtlich) Abu Dhabi für das 1. Freie Training ins Cockpit des F1-75 springen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wechselte der 23-Jährige von der russischen zur israelischen Flagge.

"Robert in Israel geboren", ist Mattia Binottos klare Meinung dazu. "Er hat einen israelischen Pass und was die Lizenz betrifft, hat er gar keine russische. Jegliche Vereinbarung mit russischen Unternehmen wurde unterbrochen." Zuvor wurde Shwartzman von SMP Racing gesponsert, einer russischen Motorsportorganisation.

Mazepin: Würde Russland nie für die Formel 1 aufgeben!

All das käme für Nikita Mazepin nie in Frage. Nach den Testfahrten in Bahrain trennte sich Haas als Konsequenz des Überfalls Russlands auf die Ukraine vom 23-Jährigen Russen, dessen Vater Dmitry und dessen Sponsorfirma Urukali. Inzwischen hat Familie Mazepin Haas verklagt und Sohn Nikita eine Stiftung zur Unterstützung russischer Athleten gegründet. "Wenn man sich die ganze Situation ansieht, ist es ein Fall von Cancel Culture, der gegen Athleten aus meinem Land gerichtet ist", verurteilt er die Sanktionen.

Nikita Mazepin und sein Vater befinden sich noch immer auf der erweiterten Sanktionsliste der Europäischen Union. Trotzdem gibt er sich optimistisch: "Ich bin zuversichtlich, dass eine Formel-1-Rückkehr in Zukunft möglich ist." Aber: Wie Robert Shwartzman unter einer anderen Flagge zu fahren, kommt für Mazepin überhaupt nicht in Frage.

"Ob man sein Land dem Sport zuliebe aufgeben will, kann jeder für sich selbst entscheiden", verkündet Nikita Mazepin bei Ria Novosti. "Aber ich werde das nicht tun!" Er verurteile Shwartzman zwar nicht dafür, kann es aber nicht verstehen. "Wir sind Athleten und jeder muss seine eigene Wahl treffen", führt Mazepin aus. "Das muss man respektieren."

Der ehemalige Haas-Pilot macht sich ebenfalls stark für eine Rückkehr seines Heimrennens: "Ich erinnere mich an das fantastische Gefühl, als ich in Russland auf dem Podium stand. Schade, dass Fahrer und Zuschauer jetzt darauf verzichten müssen", meint der Russe. 2020 wurde Mazepin beim Formel-2-Sprintrennen in Sotschi Zweiter hinter Guanyu Zhou.

Wenn es mit dem Cockpit in der Königsklasse für Nikita Mazepin wider Erwarten doch nichts wird, eben in einer anderen Position: "Ich denke, eines Tages werde ich als Geschäftsmann dabei sein. Aber das eilt nicht." Drei Piloten, drei Schicksale, unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Fortsetzung folgt.