Max Verstappen feierte am vergangenen Wochenende einen der wohl eindrucksvollsten Rennsiege seiner Formel-1-Karriere. Mit seinem Belgien-Triumph in der Tasche und hunderttausenden frenetischen Oranje-Fans im Rücken könnte doch beim Formel-1-GP in Zandvoort nichts schief gehen... Oder etwa doch? Denn am Trainingstag in den Niederlanden muss der Red-Bull-Weltmeister ordentlich einstecken.

Zuerst erwischte Verstappen im ersten Training ein Defekt am Getriebe. Dennoch zeigte man sich bei den Bullen bis dahin optimistisch, da die ersten Runden auf dem Hard-Reifen vielversprechend aussahen. "Mit dem harten Reifen waren wir vorne und dachten, dass wir eigentlich gut aufgestellt sind", vermeldete Dr. Helmut Marko. In FP2 dann das böse Erwachen. "Wir haben die Aussagekraft der harten Reifen drastisch überschätzt", erkannte Marko. Den ganzen Qualifying-Tag der Formel 1 heute in Zandvoort gibt es hier im Liveticker.

Red Bull verzockt sich am Setup

"Wir gingen von der Performance aus, die wir mit dem harten Reifen hatten und wie es aussieht wird dieser Reifen gar nicht zum Einsatz kommen", erklärte der Österreicher. Denn die Performance des weiß markierten Reifens scheint den alternativen Mischungen klar unterlegen zu sein. Auf den weicheren Reifensätzen passte anschließend die Balance nicht und der RB18 konnte auch nicht ausreichend Grip auf der Streckenoberfläche entwickeln, was zu überhitzenden Pneus führte.

Auf eine Runde kam somit Max Verstappen nicht über Rang 8 hinaus, Perez wurde sogar nur Zwölfter. Der in den letzten Monaten sehr deutliche Unterschied zwischen Perez und Verstappen war übrigens auch dafür verantwortlich, dass sich die Bullen bei ihrer Analyse nach FP1 so verschätzten.

Denn im Lager der Mannschaft aus Milton Keynes ging man davon aus, dass die Probleme des Mexikaners, der das erste Training auf P7 beendete, nur seine persönlichen seien. "Wir dachten, dass ist auf seine Freitagsperformance zurückzuführen", sagte Marko, der nach FP1 beim ORF-Interview noch erklärt hatte, dass Perez am Freitag meist eine Sekunde hinter seinem Teamkollegen sei.

Aber wer ist überhaupt der Hauptgegner der Bullen am Rennsonntag: Mercedes oder Ferrari? Die Silberpfeile hatte sowohl in Ungarn als auch in Belgien nach den Trainings kaum jemand auf der Rechnung, doch wenn es darauf ankam, waren sie dann jeweils mindestens ebenbürtig mit der Scuderia.

Mercedes vs. Ferrari: Wer ist der Favorit?

In Zandvoort waren George Russell und Lewis Hamilton bereits im ersten Training voll bei der Musik dabei. Nicht nur das, Mercedes gab in FP1 den Ton an und sicherte sich P1 (Russell) und P2 (Hamilton). In der aussagekräftigeren zweiten Session holte sich Ferrari wieder seinen Platz an der Sonne zurück - wenn auch nur knapp.

Während Charles Leclerc vier Tausendstel vor Carlos Sainz die Bestzeit setzte, fehlten Hamilton nur 0,072 Sekunden. Die Mercedes-Piloten waren selbst davon überrascht, wie nah man auf einer Runde an Ferrari herankam und trauten dem Braten nicht ganz. "Wir wissen, dass das Qualifying unser Schwachpunkt ist, und das Rennen uns entgegenkommen wird", behauptete Russell dennoch.

Auch Technikchef Andrew Shovlin stimmte dieser Analyse zu. "Uns fehlt noch ein bisschen Pace auf einer Runde und auf Long Runs, aber die Abstände sind viel besser als vor einer Woche", lautete sein Fazit. Ein Grund dafür lässt sich schnell ausmachen: Die Strecke in Zandvoort kommt dem Mercedes eher entgegen als der Circuit de Spa-Francorchamps vor einer Woche. Shovlin fügte noch hinzu: "Das Auto ließ sich viel besser ausbalancieren als in Spa".

Kleinigkeiten gäbe es jedoch immer noch zu verbessern. Shvolin beschrieb: "Am Nachmittag hatten wir an einigen Stellen Untersteuern und an anderen fehlte es an Stabilität. Das sind keine großen Probleme, aber wir müssen sie über Nacht beheben, wenn wir Red Bull und Ferrari morgen Probleme bereiten wollen."

Bei Ferrari hielt man sich hingegen bedeckt, was die Erwartungen für das weitere Wochenende angeht. Leclerc verriet jedoch über FP2: "Wir waren bei der Wagen-Balance nicht ganz dort, wo wir hinwollen, wir haben also noch Arbeit vor uns." Außerdem fürchtet der Monegasse, dass Red Bull nach dem verpatzten Freitag spätestens bis zum Qualifying seine Probleme in den Griff bekommt.

Mercedes mit weniger Reifenverschleiß?

Die Longrun-Zeiten deuten auf den ersten Blick auf einen Dreikampf zwischen Red Bull, Ferrari und Mercedes hin. Sainz komplettierte auf einem zehn Runden andauernden Run auf den Soft-Reifen mit einer Durchschnittszeit von 1:17,0 den schnellsten Longrun, Verstappen verlor auf einem deutlich kürzeren Run zwei Zehntel. Aufgrund eines Datenfehlers liegen uns allerdings keine Informationen zum Reifenalter vor, weshalb die reinen Durchschnittszeiten mit Vorsicht zu genießen sind.

Red Bull klagte auf dem Longrun über hohen Reifenverschleiß. "Über die einzelne Runde waren wir im Longrun nicht schlecht, da waren bereits Änderungen (am Setup) angesetzt. Aber der Reifenverschleiß war zu hoch", analysierte Marko. Die Gründe für den erhöhten Reifenabbau seien allerdings bekannt und könnten demnach bis zum Qualifying gelöst werden.

Auch bei Sainz machte sich der Reifenabbau auf seinem Softrun klar bemerkbar, die Zeiten des Spaniers wurden verglichen mit dem Beginn seines Runs um etwa eine Sekunde langsamer. Bei Mercedes konnte aufgrund der roten Flagge acht Minuten vor Trainingsende nur George Russell einen nennenswerten Longrun abspulen. Diesen drehte er jedoch auf den Mediums.

Longruns auf Soft

PFahrerZeitStintlänge
1Sainz101:17,045
2Stroll61:17,245
3Verstappen61:17,254
4Norris41:17.657
5Vettel61:18,299
6Albon61:18,671

Die Durchschnittszeit des Briten wirkt mit 1:17,499 zwar nicht beeindruckend, er konnte aber bis zum Ende seines Runs noch Zeiten auf einem ähnlich hohen Niveau abspulen. Die siebte Runde des Ex-Williams-Fahrers war beispielsweise eine 1:17,224. Bei anderen Piloten sah man auch auf dem gelb markierten Reifen (bei weniger absolvierten Runden) einen langsamen Leistungsabfall.

Longruns auf Medium

PFahrer
1Leclerc1:17,3843
2Russell1:17,4998
3Perez1:17,6424
4Alonso1:17,8065
5Ocon1:17,9605
6Zhou1:18,7635

Von den Toppiloten spulten abgesehen von Russell niemand einen Longrun auf dem Medium ab, deshalb ist es schwer zu vergleichen was der Run des ehemaligen Williams-Piloten wert ist. Die Konkurrenz ist jedoch spätestens seit Spa gewarnt, wo Mercedes nach schlechten Leistungen auf eine Runde im Rennen plötzlich auf Spitzenniveau war.

Dr. Helmut Marko war jedenfalls bereits nach FP1 von der Gefahr, die von Mercedes ausgeht, überzeugt. "Der Longrun von Russell sah beeindruckend aus", sagte der Grazer. Ob die Silberpfeile auch am Sonntag von dieser Stärke profitieren können, wird zu großen Teilen auch vom Qualifying abhängen. Zandvoort gilt als überholfeindliche Strecke, vor allem wenn man - wie Mercedes - nicht den stärksten Motor im Heck hat.

Longruns: Reifensatz unbekannt

Aufgrund eines Fehlers in der Datenübertragung in Zandvoort in der Zeitnehmung - der zeitweise auch die Teams betraf - war es nach dem Training bei einigen Piloten nicht mehr nachvollziehbar, welche Reifen die folgenden Piloten während ihres Stints verwendet hatten. Der Vollständigkeit halber sind hier auch diese Longruns aufgelistet.

PFahrerZeitStintlänge
1Bottas1:17,9065
2Schumacher1:18,8196
3Magnussen1:19,5104