Max Verstappen hat es wieder getan. In Silverstone schob er sich im Qualifying auf den letzten Drücker vor den Rest der Formel 1, angeführt von McLaren, und auf die Pole Position. Dank eines Setup-Kniffs. Bezahlt er den Preis dafür heute im Rennen? Der Favoritencheck von Motorsport-Magazin.com zweifelt daran. Nur könnte das Wetter in Silverstone alle Theorien einmal mehr zunichtemachen.

Das Wochenende hatte für Verstappen und Red Bull am Freitag schlecht begonnen. Zu viel Untersteuern in beiden Trainings, doch im weiteren Verlauf schaffte es das Team, den RB21 doch noch gut auszutarieren. Indem man eine mutige Aerodynamik-Entscheidung traf. Man baute den kleinsten verfügbaren Heckflügel auf das Auto.

Silverstone ist an und für sich eine Highspeed-Strecke, aber die schnellen Kurven sowie mehrere langgezogene mittelschnelle Passagen verlangen eigentlich schon nach Abtrieb. Doch der Red Bull ist das ganze Jahr über bekannt für seine generelle Highspeed-Stärke. So rechneten die Red-Bull-Ingenieure richtig: Selbst mit Mini-Heckflügel würde Verstappen genügend Grip haben, um in den schnellen Ecken zumindest ausreichend schnell zu sein.

Ist Max Verstappen im Trockenen auch mit Mini-Flügel im Rennen zu schnell?

"Es schien zu halten, also blieben wir dabei", so Verstappen selbst. Das Resultat war Pole vor Oscar Piastri und Lando Norris. Auch wenn McLaren (und besonders auch Ferrari) in vielen Kurven um einiges besser lagen. Die Frage ist jetzt, wie das im Rennen für Verstappen endet. Eine weit verbreitete F1-Weisheit ist: Je mehr Grip du per Aerodynamik erzeugst, desto weniger verlangst du im Rennen deinen Reifen ab, und desto einfacher machst du dir das Reifenschonen.

Die Heckflügel von Red Bull, McLaren, Ferrari und Mercedes in Silverstone
Die Heckflügel der vier Top-Teams in Silverstone im Vergleich, Foto: IMAGO / NurPhoto

"Das ist mit diesen ganzen schnellen Kurven schwierig", mahnt Verstappen. Es wird heute im Rennen eine wichtige Rolle spielen, wenn es trocken bleibt. Denn die Strecke hat Grip aufgebaut, die Temperaturen sind kühl, daher ist der Performance-Abbau der Reifen über die Distanz niedrig. Obwohl Pirelli 2025 eine Stufe weichere Reifen anliefert, ging die Tendenz am Samstagabend folglich zu einer Medium-Hard-Einstopp. Die soll zwei bis drei Sekunden über die Distanz schneller sein als zwei Stopps.

Doch die Weisheit von mehr Abtrieb gleich besserem Reifenmanagement muss nicht stimmen. Erklärt Andrea Stella, McLaren-Teamchef: "Du wirst auf den Geraden schnell sein, wodurch du in den Kurven tatsächlich weniger pushen musst." Der Topspeed-Vorteil kann Verstappen einen Puffer geben, den er für Management in den Kurven nutzen kann. Und der Topspeed-Vorteil ist immens. Mit offenem DRS betrug der Unterschied zwischen Red Bull und McLaren im Qualifying auf der Hangar-Geraden gut 8 Km/h. Damit kann Verstappen auch leicht überholen, wenn er zurückfällt.

Schlimmer noch: McLaren könnte gezwungen sein, in den Kurven permanent zu pushen, um mit der Red-Bull-Topspeedrakete mitzuhalten. "Dabei könntest du die Reifen noch mehr belasten", mahnt Stella. Im schlimmsten Fall verheizen Oscar Piastri und Lando Norris hinter Verstappen ihre Reifen, und können nicht einmal angreifen. "Wir scheinen mit DRS gerade einmal so schnell wie Max ohne", ist Norris besorgt. Überholen ist da schwierig.

Wie gut halten die Reifen in Silverstone heute im Rennen wirklich?

So stehen die Zeichen bislang gut für Verstappen. Der Red Bull scheint sowieso besonders gut darin, die hohe Energie von Highspeed-Kurven wegzustecken, ohne die Reifen dafür allzu hart ranzunehmen. In den Longruns fuhr Verstappen am Freitag schon mit dem kleinen Flügel. Und war auf Medium-Reifen schnellster Mann, knapp schneller als McLaren.

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Bis heute haben sich die Rahmenbedingungen allerdings verändert. Silverstone rechnet mit noch kühleren Bedingungen plus einem Regenschauer am Morgen. Für das Rennen sollte es trocken sein, doch das alles dürfte das Grip-Niveau deutlich senken. Das könnte ein Problem für den linken Vorderreifen darstellen, der von den Highspeed-Kurven hier brutal durch die Mangel gedreht wird.

"Wir wissen, dass das Verschleißleben der Vorderreifen hart an der Grenze ist", meint Pirelli-Sportchef Mario Isola bezüglich der Einstopp-Strategie. Das Problem: Graining ganz innen auf dem Vorderreifen schabt dort den Gummi ab. Wenn man einmal bis auf die Karkasse runter ist, steigt die Gefahr eines Reifenschadens massiv. Und je weniger Grip, desto größer ist das Risiko, dass das Auto über die Vorderachse rutscht und diesen Effekt verschlimmert. Die Teams könnten zu einer Medium-Hard-Hard-Zweistopp gezwungen werden.

Braucht Ferrari heute in Silverstone Chaos im Rennen?

Weder Verstappen noch McLaren berichteten zumindest am Freitag von übermäßigem Graining. Wenn sie sich am Start des Rennens bei niedrigen Grip-Verhältnissen hetzen, könnte sie das aber in Bedrängnis gegenüber Ferrari bringen. Die sind sicherlich stark. "Die Zeiten, die Ferrari im Training fahren konnten, waren beeindruckend", meint Andrea Stella. "Ein paar der Zeiten mit vollen Tanks hätten wir nicht gekonnt."

Aber Lewis Hamilton und Charles Leclerc stehen nur auf den Plätzen fünf und sechs. Noch hinter George Russells Mercedes. Sie bekamen das Qualifying nicht auf die Reihe, beide waren nach schlechten Runden sauer, denn erstmals seit Monaco war der SF-25 zu mehr in der Lage. "Von P6 zu starten macht es so schwer", stöhnt Leclerc. "Immer müssen wir uns zurückkämpfen. Wenn wir dann vorne sind, haben die Leute mit einem sauberen Rennen einfach einen Vorteil uns gegenüber."

Immerhin sind diesmal keine Mittelfeldler im Weg. Nur George Russell. Der betet, dass die Temperaturen heute in den Keller stürzen. Sein Mercedes war bislang auf genau einer einzigen Runde gut: der letzten in Q3. Selbst der kühle Samstag schien bei den hohen Querbelastungen der Highspeed-Kurven nicht ausreichend, um die Reifentemperaturen am Mercedes so tief zu halten, dass das Auto funktioniert. Russell hätte wohl gerne Frost. Oder Regen.

Ausgerechnet Regen als größte Gefahr für Regenmeister Verstappen in Silverstone?

Stand Samstagabend gehen die Wetterprognosen in Silverstone von einem trockenen Rennen aus. Der Regen soll am Vormittag kommen, die Wahrscheinlichkeit nimmt zum Start am Nachmittag deutlich ab und liegt unter 30 Prozent. Wenn, dann soll es in der Anfangsphase nieseln. Sollten aber tatsächlich schmierige Bedingungen herrschen, dann wäre das wohl die größte Gefahr für Verstappen.

Klar, er ist ein Ausnahmekönner im Nassen, aber hier steht fest: Mehr Abtrieb hilft definitiv. Ferrari hat von den Autos der Spitzengruppe den größten Flügel. Und der neunfache Silverstone-Sieger Lewis Hamilton weiß, wo es hier im Regen langgeht. Unabhängig davon, dass auch er zu den Großen im Nassen gehört.

Aber wenn es regnet, dann fliegen sowieso alle Prognosen aus dem Fenster. Man muss nur auf das letztjährige Rennen schauen. Wenn es regnet, tut es das hier sehr oft wechselhaft, und dann braucht es zum Sieg eine blitzschnelle Strategie- und Wetter-Crew, gepaart mit einem souveränen und immer cool bleibenden Fahrer. Deswegen gewann hier vor einem Jahr Hamilton vor Verstappen.