Das Rennen in Spa wird Mercedes noch länger beschäftigen. Lewis Hamiltons Ausfall durch Kollision mit Fernando Alonso war ein Rückschlag, doch Teamchef Toto Wolff bereitet vor allem die Unberechenbarkeit des W13 Kopfschmerzen: "Es ist sehr schwer mit diesen Schwankungen umzugehen. Wir hatten einen katastrophalen Samstag, es war komplett unterirdisch. Wir wurden von den Alpine geschlagen, Albon war sehr stark, Valtteri [Bottas, Anm. d. Red.] wäre dort gewesen und Norris vermutlich auch. Und dann im Rennen waren wir teilweise drei Sekunden pro Runde schneller als die. Es gibt große Fragezeichen, was bei uns passiert. Wir sind nicht da, wo wir im Sinne des Verstehens des Rennautos sein sollten, das gelingt uns nicht mit diesem Auto."
Das Wochenende in Belgien nagte sehr am Österreicher, da sich die Ziele der einstigen Dominatoren in Silber nicht geändert haben: "Wir haben immer noch das Ziel dieses Jahr Rennen zu gewinnen und ich denke, wenn ich das jemandem in Budapest gesagt hätte, dann hätte derjenige das für gut möglich gehalten. Wenn ich das heute sage, sehe ich aus wie ein Idiot, aber es gibt ein paar Strecken, die unserem Auto wesentlich besser liegen könnten. Hoffentlich bekommen wir es am Samstag hin, das muss die Ambition sein, während wir natürlich schon einen großen Fokus auf das nächste Jahr legen."
Wolff geht es dabei nicht so sehr um nackte Zahlen, sondern vielmehr um die Moral im Team: "Ob wir jetzt zweiter oder dritter werden, macht für mich keinen Unterschied. Nichtsdestotrotz will ich das bestmögliche Ergebnis an jedem einzelnen Rennwochenende, damit wir wieder Vertrauen in unser Tun gewinnen." Dieses Vertrauen ist dem Team in Belgien wieder ein Stückweit verloren gegangen.
Wolff verzweifelt mit dem Mercedes: Schwer zu akzeptieren
Mercedes verzweifelt immer mehr an seiner launischen Diva namens W13. Die Ingenieure werden aus den Daten einfach nicht schlau, wie Wolff zerknirscht zugeben muss: "Zur Zeit liegen wir falsch. Die Nicht-Korrelation in den verschiedenen Bereichen verursacht unsere mangelnde Leistungsfähigkeit. Vielleicht gibt es ja auch eine einzige Sache, die die anderen Dinge überschattet, und deswegen ist es gar nicht richtig, jeden Teil des Autos in Frage zu stellen. Es ist vielleicht etwas an den Reifen, das wir nicht verstehen, und der Rest ist eigentlich gut. Oder es ist die Aerodynamik, die die mechanische Balance stört. Es ist so schwer diesen Punkt auszumachen, aber wie gesagt: Man verliert nicht, sondern man lernt."
Der 50-Jährige kannte acht Jahre in Folge nur Erfolg, doch nun muss er sich der ersten Krise seiner sonst so perfekten Gewinnmaschinerie stellen: "Ich sage ihnen aber auch, dass es verdammt schwierig ist, wenn du in allen diesen netten Instagram-Posts auftauchst und es darum geht wie wir mit allem, worüber wir in acht Jahren gesprochen haben, jetzt auf einmal das akzeptieren sollen, wenn du unten im Kerker hockst und zu deinen Prinzipien und Werten stehen willst, die Moral hochhalten willst und gnadenlos weitermachen musst, um besser zu werden. In einem Buch könnte man mehr über dieses Jahr als über die letzten acht Jahre schreiben."
Weichen für den 2023er Mercedes müssen gestellt werden, doch wie?
Die mentale Bewältigung der aktuellen Situation ist das eine, doch bei Mercedes müssen jetzt wegweisende Entscheidungen für das nächstjährige Auto getroffen werden: "Es gibt einige Fristen im Bezug auf die verschiedenen Teile des Autos, die in den nächsten Wochen anstehen. Du musst dich auf ein Chassis-Konzept festlegen, auf eine Aufhängungsgeometrie und so weiter, wie gelingt dir die richtige Kühlung, wo müssen die Kühler angebracht werden, wie integriert man den Motor. Das sind die Dinge, die wir in den nächsten Wochen entscheiden müssen. Vor allem im September und vielleicht noch im Oktober müssen diese Entscheidungen fallen."
Hier liegt der Hund begraben: Wie kann Mercedes eine zügige Entscheidung treffen, wenn es gar keine handfesten Daten als Entscheidungsgrundlage gibt? Das Team ist in der Zwickmühle: "Es ist eine schwierige Situation, weil wir ein spezielles Autokonzept haben und es ist auch nicht so, dass wir dieses Jahr viel Experimentieren und einfach Sachen testen könnten. Was auch immer wir für nächstes Jahr entscheiden, das muss sorgfältig evaluiert sein. Es ist klar, dass unsere Daten uns keine Resultate liefern, sie korrelieren nicht mit der Realität. Wir haben gewaltige Schwankungen in unserer Leistung, die wir einfach nicht begreifen. In dieser Situation eine Entscheidung für nächstes Jahr zu treffen, wie immer die dann aussieht, ist schwer. Wenn wir das Konzept dramatisch verändern, wie kann man da sicher sein, dass es in eine bessere Richtung geht, wenn wir mit so viel Entwicklungsrückstand starten."
Budgetobergrenze als zusätzliches Hindernis für Mercedes
Früher hätte Mercedes mit seinen gewaltigen Ressourcen das Problem vielleicht lösen können, doch in Zeiten der Budgetobergrenze kann nicht geklotzt werden: "Schauen sie sich das Chassis an. Wir wären nicht in der Lage zu diesem Zeitpunkt der Saison ein neues einzuführen. Wir sind massiv übergewichtig, was wir bis jetzt nicht wirklich beheben konnten, weil wir neue Teile am Auto ausprobieren, um unsere zahlreichen anderen Probleme zu lösen. Wir können uns das einfach nicht leisten, Punkt. Das war eines der Ziele der Einführung des Budget Caps und das wurde absolut erreicht. Sie wollten erreichen, dass die großen Teams nicht einfach mit Geld um sich werfen können."
Mercedes weiß also nicht, wie sie den W13 konstant zum Laufen bringen und wie der W14 der Saison 2023 aussehen wird. Wenn die Silberpfeile Red Bull und Ferrari herausfordern wollen, wird das Team schnell die richtigen Schlüsse ziehen müssen, sonst beginnt die Truppe aus Brackley auch das nächste Jahr mit einem Entwicklungsrückstand. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es, denn zumindest in einem Bereich sieht Toto Wolff keinen Wettbewerbsnachteil: "Ich denke der Motor ist definitiv gut, wir sehen das sich alle in einem Bereich von 5 kW bewegen."
diese Formel 1 Nachricht