George Russell sorgte mit seiner Pole Position im Formel-1-Qualifying in Ungarn für eine faustdicke Überraschung. Der nächste Meilenstein in seiner Karriere war für den Briten ein lange ersehnter Befreiungsschlag in Silber. Zugleich war es ein wichtiges Lebenszeichen von Mercedes. Für das Weltmeister-Team zeichnete sich nach den Trainings auf dem Hungaroring ein neuer Tiefpunkt ab. Die Kehrtwende am Samstag kam für Russell genau im richtigen Moment. Der Kampfgeist ist geweckt, doch für den Sieg müssen noch einige Würfel richtig fallen. Alle News zur Formel 1 heute in Ungarn gibt es im Liveticker.

"Für uns als Team ist das riesig. Wir hatten gestern den wohl härtesten Freitag der gesamten Saison", so Russell. In der Vorbereitung waren die Silberpfeile mit einer Sekunde Rückstand auf Ferrari selbst im Verfolgerfeld abgehängt. "Wir haben gestern Nacht bis 23 Uhr zusammengesessen, und uns den Kopf zerbrochen. Die Moral war am Boden, wir waren ziemlich verloren."

Keine 24 Stunden später stürmte der 23-Jährige mit einer Fabelrunde zu seiner ersten Pole in der Königsklasse und erlöste Mercedes von seinen Kopfschmerzen. Die gegenüber den Trainings deutlich kühleren Bedingungen spielten dem Team im Qualifying in die Karten. Schon nach dem ersten Run im Q3 sah es für Russell gut aus. Auf einem angefahrenen Soft-Reifen hatte er nur etwas mehr als eine halbe Sekunde auf Carlos Sainz verloren, der auf neuen Reifen die Bestzeit vorgelegt hatte.

Im Showdown machte Russell das Beste aus seinem frischen Soft-Reifen. "Ich denke, wir waren auf dieser letzten Runde einfach perfekt im Fenster. Ich kam aus Kurve eins und war anderthalb Zehntel vorne, nach Kurve zwei waren es drei Zehntel", so der Mercedes-Fahrer, für den im Kampf um die Pole allerdings die Zielkurve die Entscheidung brachte. Dort holte er im direkten Vergleich mit Sainz über drei Zehntelsekunden heraus, was auf der Linie zum hauchdünnen Vorsprung von 0,044 Sekunden führte.

Russell hat das Williams-Feeling

"Wenn du auf einer dieser Runden und so im Rhythmus bist, läuft es einfach", freut sich der Pole-Mann, der im Mercedes zum ersten Mal seine Bestform am Samstag zeigte. Seit er in Belgien vergangenes Jahr für Williams sensationell den zweiten Startplatz eroberte, war Mr. Saturday nicht mehr auf diese eindrucksvolle Weise in Erscheinung getreten. "Ich hatte das ganze Jahr nicht eine dieser Runden. Mit Williams hatte ich ein paar davon", sagt er.

Nach dem Wechsel zu Mercedes dauerte es 13 Wochenenden, bis die hohen Erwartungen gestillt wurden: "Ich persönlich hatte nie Zweifel daran. Es war klar, dass wir als Team eine schwierige Saison haben. Das Qualifying war in der Vergangenheit eine meiner Stärken, aber dieses Jahr hatten wir Probleme. Budapest ist ein Kurs, den ich immer geliebt habe und ich war hier immer schnell. Ich wusste, dass wir Großes erreichen können, wenn das Auto und ich zusammen perfekt funktionieren."

Die Sensation im Williams übertrifft aber auch die erste Pole nicht. "Sollte ich es wagen, zu sagen, dass das besser als Spa ist", schmunzelt er. "Ich glaube nicht, dass jemals wieder etwas an das Gefühl dieser Pole oder der Runde in Spa heranreicht. Das hier ist natürlich meine erste Pole, aber bei Williams hatten wir es so schwer und Zweiter zu werden war heftig. Aber darum geht es im Motorsport. Das ist der Grund, weshalb ich jeden Morgen aufstehe. Ich will Weltmeister werden, denn das ist dieses Gefühl, das du dir nicht einmal erträumen kannst."

Um sich Weltmeisterambitionen zu widmen, muss bei Mercedes in der Saison 2022 allerdings noch einiges passieren. Von einem Sieg waren die Dominatoren der vergangenen Jahre bisher weit entfernt. Mit Russells Ausgangslage bietet sich rechtzeitig vor der Sommerpause die große Chance, mit einem Erfolg das Blatt zu wenden und neue Hoffnung zu schöpfen.

George Russell will ersten Mercedes-Sieg 2022

"Wir werden absolut angreifen. Es ist der Sieg, den wir wollen", lautet die Kampfansage von Russell. Zu mehr lässt er sich allerdings nicht hinreißen. Nachdem die Ingenieure den F1 W13 in Folge des desaströsen Freitags auf den Kopf gestellt haben, ist die Rennpace ein dickes Fragezeichen. "Vielleicht haben ein paar Dinge, die wir über Nacht geändert haben, der Rennpace nicht gut getan", sagt er.

Zumindest der Wetterbericht macht Hoffnung, dass sie der schwache Freitag nicht einholen wird. Für das Rennen sind mit 22 Grad Celsius und Wolken identische Bedingungen wie am Samstag angesagt. Andererseits haben die Teams unter diesen Voraussetzungen überhaupt keine Longrun-Daten.

"Wir wissen es wirklich nicht. Es kann eine komplett andere Geschichte werden. Vielleicht wird es ein Boxenstopp, vielleicht werden es drei. Wir haben echt keine Ahnung. Es wird also kein leichtes Rennen", so Russell. Er will sich keinen Träumereien hingeben, sondern das Rennen auf sich zukommen lassen: "Ich denke da gar nicht dran. Alles Schritt für Schritt. Beim Start gut wegkommen und einen guten ersten Stint haben."

Auf dem winkeligen Hungaroring ist das ein gutes Rezept. Erst im vergangenen Jahr gewann Esteban Ocon mit hauchdünnem Vorsprung auf Sebastian Vettel, der ihm das gesamte Rennen über wie ein Schatten gefolgt war. "Das ist schon ein Ort, an dem du ein gutes Qualifying brauchst", so Russell.

Wenn die Pace des Mercedes nicht schnell genug sein sollte, wird ihm aber auch die Pole nicht viel bringen: "Ein schnelleres Auto zu haben, zählt immer noch mehr. Wenn es mehrere Boxenstopps gibt, wirst du dich nicht verteidigen können, weil sie vor oder nach dir stoppen und so vorbeigehen."