Auch nach dem fünften Rennen der Formel-1-Saison 2022 halten die Probleme bei Mercedes an. Nicht nur das - tatsächlich hat das Team nach fünf Rennen keinen nennenswerten Fortschritt bei der dauerhaften Lösung des Pace-Defizits gegenüber der großen Konkurrenz von Ferrari und Red Bull erreicht. Das nächste Rennen in Barcelona wird nun ein wichtiger Gratmesser.

Denn in Barcelona fuhr die Formel 1 2022 schon. Beim ersten Wintertest. Und dort fuhr Mercedes mit einem Prototyp des neuen W13, der noch nicht sämtliche aggressive Design-Elemente der erst in Bahrain enthüllten Renn-Version aufbot. Am nächsten Wochenende können daher Vergleichstests gefahren werden, die beantworten sollen, ob das aktuelle Auto-Konzept eine Sackgasse ist. Richtungsweisende Entscheidungen nicht nur für 2022, sondern auch für die nächste Saison stehen nämlich an.

Noch glaubt Mercedes daran, das Auto für die Saison 2022 fit zu bekommen. Motorsportchef Toto Wolff wehrte in Miami die Suggestion ab, man sei bei der Entwicklung verloren. Obwohl das Team dort am Freitag schnell, am Samstag langsam, und am Sonntag wieder das übliche Mittelmaß war. So gestand Wolff doch: "Von Beginn an fliegen wir etwas durch den Nebel."

Mercedes schert bei Seitenkasten aus

Teil des Problems ist das aggressive Konzept. Mercedes hat die Seitenkästen des W13 so klein wie möglich gestaltet, und das birgt Gefahrenpotential. "Wir glauben, dass unser Konzept das Potential hat, vorne mitzufahren, aber es ist ein sehr sensibles Konzept", räumt Wolff ein. "Wenn es im Fenster ist, kann es sehr gut funktionieren, aber es ist sehr schwer, es ins Fenster zu bekommen, weil der Unterboden natürlich deutlich weiter herausragt als bei allen anderen Autos."

Die offene Fläche am Unterboden des Mercedes ist riesig, Foto: LAT Images
Die offene Fläche am Unterboden des Mercedes ist riesig, Foto: LAT Images

Die Unterboden-Fläche spielt bei den neuen Ground-Effect-Autos eine wesentliche Rolle. Mehr Fläche für die Luft, mehr Potential für Instabilitäten. Verwindungen des Unterbodens werden mit dem Bouncing-Problem in Verbindung gebracht. Eben jenem Problem, unter dem Mercedes besonders leidet. Um den Unterboden zu stabilisieren, sieht man inzwischen an fast jedem Auto im Feld eine Haltestrebe. Die wurde von der FIA extra nach den extremen Bouncing-Problemen der Testfahrten noch erlaubt. Aber bei Mercedes ist die Fläche in diesem Bereich womöglich zu groß, um sie mit der einzelnen Strebe zu stabilisieren.

Die Fahrer klagen nicht nur über Bouncing auf den Geraden, sondern sogar über Bouncing in schnellen Kurven. Der Mercedes W13 hat sich außerdem von Session zu Session als unberechenbar erwiesen. "Die Daten zeigen diese großen Umschwünge nicht", erklärt Wolff. "Wir hatten in den vergangenen Jahren diese Situation noch nicht, dass das auf den Bildschirmen einfach nicht mit dem Gefühl des Fahrers zusammengepasst hat, und das macht es noch schwieriger."

Mercedes vor großem Test-Rennen in Barcelona

Dass das Problem fundamental nicht zu lösen ist, daran will Mercedes nach fünf Rennen trotzdem nicht glauben. "Momentan stehen wir hinter dem Konzept", versichert Wolff. Und selbst wenn man es als Fehlschlag verbuchen würde, muss man erst herausfinden, warum: "Wir müssten es erst verstehen, bevor wir auf ein anderes Konzept wechseln. Wo ging das schief? Und was ist das Gute und das Schlechte am Konzept? Das ist eine Frage, die du nur selbst beantworten kannst, und ich würde uns nach Barcelona nach dieser Antwort fragen."

Beim Mercedes der Testfahrten (Oben) verglichen mit dem aktuellen (unten) sind die größeren, traditionelleren Seitenkästen klar erkennbar, Foto: LAT Images
Beim Mercedes der Testfahrten (Oben) verglichen mit dem aktuellen (unten) sind die größeren, traditionelleren Seitenkästen klar erkennbar, Foto: LAT Images

Denn bei den Testfahrten in Barcelona im Februar fuhr Mercedes noch mit einem weniger extremen Seitenkasten. Der Lufteinlass war noch traditionell mit der oberen Strebe der Crash-Struktur kombiniert. Der in Bahrain eingeführte Seitenkasten versetzte den Lufteinlass dann senkrecht darunter und machte den Seitenkasten so kompakt wie nur irgendwie möglich, und anstatt einem Lufteinlass oben und einer Unterschneidung dessen fällt der Lufteinlass vertikal schräg in Richtung Seite ab. Die Strebe steht darüber frei. Alle anderen neun Teams haben sie in irgendeiner Form mit dem Seitenkasten verbunden und diesen daher ganz oben angesetzt.

Behält Mercedes das aggressive 2022-Konzept?

Nach dem Barcelona-Rennen wird Mercedes also die Daten vom Test mit dem ersten Konzept mit jenen vom Rennwochenende mit dem aktuellen Konzept vergleichen können. Das soll Fazits ermöglichen, wo sich welche Version besser verhält, und Hinweise, in welche Richtung weiterentwickelt werden sollte. Wobei man vorsichtig sein muss, die Konzepte aufgrund des auffällig unterschiedlichen Lufteinlasses als völlig verschieden darzustellen. Auch die erste Version hatte bereits kleine Seitenkästen und sehr viel Unterboden-Fläche.

Laut Mercedes ist die erste Version auch deutlich langsamer. Sollte sich das wider Erwarten am Wochenende nicht bestätigen, so will Wolff zwar einen Versions-Wechsel nicht ganz ausschließen - aber wahrscheinlich ist das als Problemlösung nicht.

Ferrari fährt das Gegen-Konzept: Viel Seitenkasten, wenig Unterbodenfläche, Foto: LAT Images
Ferrari fährt das Gegen-Konzept: Viel Seitenkasten, wenig Unterbodenfläche, Foto: LAT Images

Viel wichtiger ist, dass Mercedes für 2023 langsam Entscheidungen braucht. "Sehr bald" meint Wolff auf die Frage, wann man für das nächstjährige Auto die Entwicklungsrichtungen festlegen müsse. Auch wenn er das einschränkt: "Es läuft nicht so wie in der Vergangenheit, wo du sagst, du schreibst ein Jahr ab, um dich aufs nächste Jahr zu konzentrieren. Es sind schließlich die gleichen Regeln."

Wenn jedoch das Konzept mit wenig Seitenkasten und viel Unterboden fundamental falsch ist, muss man irgendwann die Reißleine ziehen. Barcelona ist ein kritischer Meilenstein auf dem Weg zur Entscheidung, bestätigt Wolff: "Dann müssen wir in den Spiegel schauen und uns fragen: Liegen wir falsch oder nicht?"