Da ist es, das erste echte Formel-1-Auto der 2022er Generation: Aston Martin präsentierte am Donnerstag Sebastian Vettels neuen Renner. Wobei: Eigentlich zeigte der Rennstall von Milliardär Lawrence Stroll eher das Auto von dessen Sohn Lance, denn auf allen offiziellen Bildern ist die Startnummer 18 auf dem AMR22 zu sehen.

Doch auch ohne die Nummer fünf des vierfachen Formel-1-Weltmeisters ist der Aston Martin einen genaueren Blick wert. Im Gegensatz zu Haas und Red Bull zeigte Team Silverstone schon ein echtes Auto. Von Haas gab es nur Renderings, von Red Bull nur ein nichtssagendes Showcar.

Aston Martin stellte bei der Präsentation ein komplett funktionierendes Auto samt Antriebsstrang hin. Dazu gab es zahlreiche Renderings. Im Gegensatz zu den Haas-Renderings sind die Aston-Renderings aussagekräftiger. Warum? Weil das echte Auto die Renderings belegt. Die Haas-Spezifikation wird wohl in dieser Form nie in Produktion gehen.

Aston Martin AMR22 erstes Auto auf der Strecke

Warum Aston Martin fast zwei Wochen vor dem offiziellen Testbeginn schon ein echtes Auto hat? Schließlich wollen die Ingenieure jeden Entwicklungstag ausnutzen. Technik-Chef Andrew Green erklärt den Ansatz: "Wir wollen so früh wie möglich den Shakedown machen. Sollte es größere Probleme geben, haben wir noch Zeit, die bis zum Test in Barcelona auszusortieren."

Der Shakedown findet schon am Freitag in Silverstone statt. 100 Kilometer darf im Rahmen eines sogenannten Filmtags gefahren werden. Aston Martin geht lieber auf Nummer sicher: Die Regeländerung 2022 sind so gigantisch, dass man in Barcelona keine bösen Überraschungen erleben will. Wer in Barcelona Probleme hat, für den wird es richtig eng. Denn der Saisonstart in Bahrain ist bereits eine Woche nach dem zweiten Test an gleicher Stelle. "In dieser kurzen Zeit kannst du nichts mehr machen", so Green.

Aston Martin kauft nur Hinterachse von Mercedes

Wenn es das echte Auto schon gibt, dann wollte man es auch gleich der Öffentlichkeit zeigen. Trotz toller Präsentation lieferte Aston Martin einen ersten kleinen Fail: Auf den Renderings fehlte die Druckstreber an der rechten Vorderradaufhängung. Manch einer vermutete, dass man hier keine Details zeigen wollte und vergessen hatte, die linke Seite zu entfernen. Das echte Auto zeigt aber: Der AMR22 setzt an der Vorderachse auf Pushrods.

Hier wurde wohl nur im CAD etwas schlampig gearbeitet: Am echten Fahrzeug waren zwei Pushrods zu sehen, Foto: Aston Martin
Hier wurde wohl nur im CAD etwas schlampig gearbeitet: Am echten Fahrzeug waren zwei Pushrods zu sehen, Foto: Aston Martin

Im Gegensatz zur Hinterachse baut Aston Martin die Vorderachse in Eigenregie. Die Hinterachse wird von Mercedes eingekauft. Hintergrund: Motor und Getriebe kommen ebenfalls vom Konstrukteursweltmeister. Das Getriebe gibt die Fahrwerkspunkte für die Hinterachse vor. "Dann nehmen wir gleich die Radaufhängung, für die das Getriebe auch gebaut wurde", erklärt Green.

Das war es dann aber auch an sogenannten 'Transferable Components', die Aston Martin von Mercedes kauft. Die Vorderachse baut man lieber selbst, um möglichst viele Freiheiten beim Monocoque zu haben, das selbst gebaut werden muss. Man will sich nicht das ganze Auto von Mercedes diktieren lassen.

Trick am Aston-Martin-T-Tray?

Die Nase des AMR22 ist nicht ganz so eckig wie am Haas, die Formen sind aber durchaus vergleichbar und unterscheiden sich stark vom Konzeptmodell der Formel 1. Der Frontflügel ist schon deutlich detaillierter als das, was man bisher sehen konnte: Das erste der vier erlaubten Blätter sitzt vor der Nase und ist nur über die Endplatten und kleine Stege mit dem Rest verbunden.

Der Frontflügel unterscheidet sich stark von den F1-Konzepten und der Haas-Version, Foto: Aston Martin
Der Frontflügel unterscheidet sich stark von den F1-Konzepten und der Haas-Version, Foto: Aston Martin

Die drei oberen Blätter wachsen aus der Nase heraus, die beiden oberen sind über einen Mechanismus einzustellen. Die einzelnen Blätter sind insgesamt viel größer als der bisherige 2022er Ausblick.

Die Bremsbelüftungen fallen überraschend groß aus, Foto: Aston Martin
Die Bremsbelüftungen fallen überraschend groß aus, Foto: Aston Martin

Abgesehen von der Pushrod-Vorderradaufhängung gibt es an der Vorderachse noch etwas Interessantes zu sehen: Die Bremsbelüftungen fallen deutlich größer aus als viele vermutet hatten. Weil die Radkappen ein Durchblasen des Vorderrades verhindern, wurden kleinere Bremsbelüftungen erwartet.

Die Details lassen sich hier nur erahnen, Foto: Aston Martin
Die Details lassen sich hier nur erahnen, Foto: Aston Martin

An der Unterseite des Chassis lässt sich ein interessantes Detail erahnen: Der T-Tray ist nur auf einem Foto leicht zu erkennen, sieht darauf aber zweistöckig aus. Zweideutig geht es auf den ersten Blick auch bei den Seitenkästen zu. Das nicht lackierte Karbon neben den Einlässen verwirrt zunächst. Bei genauerem Hinsehen lässt sich aber nur eine kleine quadratische Öffnung auf jeder Seite erkennen.

Schon die Öffnung des Seitenkastens ist eigenwillig, Foto: Aston Martin
Schon die Öffnung des Seitenkastens ist eigenwillig, Foto: Aston Martin

Die Form des Einlasses ist die eine Überraschung, was dahinter passiert die andere: Die Ingenieure setzen auf einen extremen Undercut der Seitenkästen. Die Kühler sind so weit oben angebracht, dass zwischen Unterboden und Seitenkasten jede Menge Luft strömen kann.

Der Undercut ist extrem: Die Seitenkästen sind stark unterschnitten, Foto: Aston Martin
Der Undercut ist extrem: Die Seitenkästen sind stark unterschnitten, Foto: Aston Martin

Am Haas sah das noch komplett anders aus: Dort fällt der Seitenkasten steil ab. Dadurch ist kein starker Undercut zu erzielen, dafür zieht sich der Seitenkasten schnell deutlich enger zusammen, während sich die Seitenkästen am Aston erst kurz vor den Hinterrädern wieder verjüngen.

"Wir wissen, dass es hier durchaus unterschiedliche Konzepte gibt", gesteht Green angesichts der eigenen radikalen Lösung. "Wir haben das Auto so entwickelt, dass wir flexibel sind. Wir halten uns die Möglichkeit offen, die Kühler anders anzuordnen und so die Seitenkästen noch anders zu formen. Das ist für 2022 noch möglich."

Mercedes-Motor kaum verändert

Von den Venturi-Kanälen, die das Reglement 2022 wieder erlaubt, sind am AMR22 noch keine Details zu erkennen. Dafür ist ein anderes Comeback zu sehen: An der Oberseite des Seitenkastens sind jede Menge Kiemen angebracht. Dort soll die heiße Luft der Kühler ausströmen. Dafür kann das Heck umso kompakter gebaut werden.

Airbox und Powerdome sind bekannt, Kiemen nicht, Foto: Aston Martin
Airbox und Powerdome sind bekannt, Kiemen nicht, Foto: Aston Martin

Green spricht beim neuen Reglement gerne von der größten Technik-Revolution der Formel-1-Geschichte. Nur die Motoren sind dabei fast nicht betroffen. Die Umstellung von 5,75 Prozent auf 10 Prozent Bio-Sprit findet vor allem im Brennraum statt. Die grundlegende Architektur verändert sich bei Mercedes offenbar nicht. Die Ausbuchtung für die voluminösen Luftsammler ist noch wie im Vorjahr zu erkennen und auch das Layout der Airbox hat sich nicht verändert.

Doppelter Beamwing am Aston Martin für die Formel-1-Saison 2022, Foto: Aston Martin
Doppelter Beamwing am Aston Martin für die Formel-1-Saison 2022, Foto: Aston Martin

Ein interessantes Detail gibt es noch am Heck zu sehen: Die Aerodynamiker in Silverstone haben den AMR22 mit einem doppelten Beamwing ausgestattet. Der Flügel zwischen Heckflügel und Diffusordach feiert 2022 sein Comeback. Konzepte und Haas hatten hier jeweils nur einen Beamwing unter dem Auspuff.