Damit hätte vor dem Formel-1-Rennen in Silverstone wohl niemand gerechnet. Und das trotz der unbeständigen Wetterprognose für den Großbritannien-GP. Nico Hülkenberg fuhr im Sauber von Platz 19 aus das erste Podium seiner langen F1-Karriere ein. In seinem 239. Start radiert er damit jenes Makel aus, das seit Jahren an seiner Laufbahn hing.

Doch wie um alles in der Welt schaffte es Hülkenberg auf den dritten Platz? Die kurze Antwort lautet: Wetter, die richtigen Strategie-Entscheidungen, aber auch eine fehlerfreie fahrerische Vorstellung unter schwierigen Bedingungen und mit einer guten Pace. Was dabei vor allem ins Auge sticht: Es waren in den entscheidenden Momenten die Entscheidungen von Hülkenberg selbst und nicht jene des Teams, die den Weg zum Podium klarmachten. Wir haben sein Rennen noch einmal Revue passieren lassen.

Nico Hülkenberg holt Formel-1-Podium in Silverstone: Das waren die Schlüsselmomente

1. Schlüsselstelle: Die Startphase
Hülkenberg ging von P19 in den Großbritannien-GP. Bereits vor dem Rennstart traf er die erste richtige Strategie-Entscheidung. Sauber stellte es ihm frei, nach der Einführungsrunde auf Softs zu wechseln. Doch Hülkenberg entschied sich nach einigen Überlegungen dagegen: "Es ist sehr nah [an trockenen Bedingungen]", funkte er zwischendurch, doch spätestens der noch sehr nasse letzte Sektor überzeugte ihn, auf Intermediates zu starten.

Eine Reihe an Fahrern (oder deren Teams) trafen eine andere Entscheidung. Namentlich George Russell, Charles Leclerc, Isack Hadjar, Gabriel Bortoleto und Oliver Bearman. Damit bekam Hülkenberg schon zum Nulltarif P14 am Start. Dazu kam die Kollision zwischen Esteban Ocon und Liam Lawson in Kurve 4 auf Runde 1. P12. Auf der darauffolgenden Gerade ging Hülkenberg anschließend an Lance Stroll vorbei. P11.

  • Startposition: P19
  • Position nach Runde 1: P11

2. Schlüsselstelle: Wann kommt der Regen?
Als Folge aus dem Lawson-Unfall gab es die erste VSC-Phase. Andrea Kimi Antonelli nutzte das für einen billigen Reifenwechsel, wodurch 'Hülk' P10 übernahm. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch an ihn die Ansage: Boxenstopp. Doch Hülkenberg widersprach: "Man kann bei dieser Geschwindigkeit sicher nicht die Temperatur halten."

Eine Runde später erteilte Hülkenbergs Renningenieur Steven Petrik ihm erneut den Auftrag an die Box zu kommen, allerdings als er gerade schon am Boxeneingang war. Zu spät. Durch das Ende der VSC-Phase umgehend danach verstrich das erste Fenster für einen Stopp. Ein Segen, denn die Slicks waren zu diesem Zeitpunkt langsamer, Bortoleto verunfallte auf Mediums in Kurve 2. Eine weitere VSC-Phase war die Folge. Zu diesem Zeitpunkt näherten sich schon die nächsten Niederschläge. Außer Lance Stroll steuerte niemand die Box an.

  • Position nach Runde 1: P11
  • Position nach Runde 7: P7

3. Schlüsselstelle: Zerstörte Reifen führen zu Strategie-Meisterstück
In diesem Fall hatte Stroll die richtige Entscheidung getroffen. In Runde 9 ging er an dem Deutschen vorbei, gleichzeitig erreichte Regen die Strecke. Die Intermediate-Reifen waren bei allen (inklusive Hülkenberg) durch die Fahrt auf der vorwiegend trockenen Piste demoliert, weshalb ein weiterer Boxenstopp im Regen unvermeidbar war.

Der entscheidende Aspekt war aber der Zeitpunkt des Boxenstopps. In Runde 9 glaubte noch (fast) niemand daran, dass der Regen in diesem Moment stark genug für einen Wechsel auf neue Intermediates war. Inklusive Sauber, die Hülkenberg anwiesen auf der Strecke zu bleiben. Doch der hatte andere Ideen. "Ich kann nicht. Diese Reifen sind am Arsch", funkte er kurz nachdem Stroll an ihm vorbeigegangen und bog schnurstracks an die Box ab. "Es wechselte innerhalb von ein bis zwei Runden von hellem Himmel zu dunklen Wolken. Ich hatte Probleme, fiel zurück und als sie sagten, dass Regen kommt, bin ich einfach in die Box eingebogen", erklärte Hülkenberg später diese Last-Second-Entscheidung.

Plötzlich Top-5: Wie Nico Hülkenbergs selbstgemacht F1-Strategie aufging

Perfektes Timing, wie sich herausstellen sollte. Denn just in dieser Phase drehte der Regen auf. Schon im zweiten Sektor fuhr Hülkenberg schneller als alle vor ihm, der dritte Sektor war daraufhin der schnellste im gesamten Rennen bis dahin. Eine Runde nach Hülkenberg reagierten Stroll und eine Reihe von Fahrern, die ohnehin hinter ihm waren. In Runde 11 dann auch Lewis Hamilton, Pierre Gasly, Fernando Alonso, Carlos Sainz und Yuki Tsunoda. Alex Albon wartete sogar noch eine Runde länger zu.

Lance Stroll hatte noch abdecken können, doch für alle weiteren eben genannten kam der Stopp zu spät und Hülkenberg gelang der erfolgreiche Undercut. Esteban Ocon, der bis dahin noch gar nicht gestoppt hatte, war auf den alten Intermediates ein gefundenes Fressen für Hülkenberg. Als in Runde 14 ein Safety Car für den zu starken Regen rauskam, ergab sich daraus P5.

  • Position in Runde 9: P11
  • Position nach Runde 14: P5

4. Schlüsselphase: Langsamer Stroll und Gasly ebnen Hülkenberg den Weg
P5 verwandelte sich in P4, als sich Max Verstappen nach dem Safety-Car-Restart in Runde 22 drehte. Nur noch Lance Stroll trennte Hülkenberg von Platz 3. Der Aston-Martin-Fahrer hatte im Verlauf des Stints mehr Probleme mit seinen Reifen als der Sauber-Pilot. Gasly auf P5 aber erst recht. Der Alpine konnte die Pace der beiden nicht mitgehen.

Gleichzeitig war Überholen ohne DRS und im Regen ein hartes Stück Arbeit. Pierre Gasly hielt Lewis Hamilton bis Runde 31 auf und somit Hülkenberg vom Leib. In Runde 34 hatte Hamilton dennoch zu Hülkenberg aufgeschlossen. Just in dieser Runde wurde DRS wieder freigegeben. Stroll konnte keinen Widerstand leisten und er wurde im ersten Versuch auf der Hangar-Geraden vom Sauber überholt. P3. Kurze Zeit später ging auch Hamilton an Stroll vorbei.

Entgegen aller Erwartungen biss sich Hamilton in der Folge an Hülkenberg die Zähne aus. Vermutlich hatte der Ferrari-Pilot in den vorhergehenden Duellen mit George Russell und Gasly die Reifen zu stark beansprucht und musste dem nun Tribut zollen. Dass er allgemein mit der Leistung des SF-25 in den Mischbedingungen am Rennsonntag nicht zufrieden war, kam noch dazu. Zwischenzeitlich hatte sich Hamilton im DRS-Fenster befunden. Bis zur letzten Boxenstopp-Sequenz ließ er wieder 2,5 Sekunden abreißen.

  • Position nach Runde 21: P5
  • Position nach Runde 42: P3

Lewis Hamilton beißt sich an Hülkenberg die Zähne aus

Schlussphase: Hamilton-Fehler sorgt für Entscheidung
In Runde 41 war es Ferrari, die zuerst reagierten, Hamilton an die Box holten und ihm Trockenreifen aufstecken. Ihm folgten eine Reihe weiterer Fahrer. Das war in etwa am Crossover-Punkt, jedenfalls waren die soeben gestoppten Fahrer nicht signifikant schneller als es Hülkenberg und Co. in Runde 42 noch mit den Intermediates waren. Im Gegenteil: Gemessen an den Sektorzeiten sogar eine Spur langsamer.

Was diesen letzten Angriff auf Hülkenbergs Podium gänzlich verpuffen ließ, war ein Fehler von Hamilton am ersten Anbremspunkt auf seiner Outlap. Dieser kostete ihm zusätzlich etwa drei bis vier Sekunden und hielt Sauber das Boxenstopp-Fenster sperrangelweit offen. Hülkenberg stoppte und kam acht Sekunden vor Hamilton wieder raus. Das war für den Silverstone-Rekordsieger nicht aufzuholen. Fünf Sekunden brachte Hülkenberg über die Linie und feierte sein erstes Podium. Es ist auch für das Schweizer Team das erste Podium seit Japan 2012.

In der Pressekonferenz nach dem Rennen stellte Hülkenberg auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com fest: "Alle Stopps, die wir heute machten, hätten nicht besser sein können. Wir stoppten zur perfekten Zeit. Das kommt nur sehr selten vor." Genauso selten, wie es vorkommt, dass ein Fahrer selbst seine Strategie bestimmt und damit so ins Schwarze trifft.