Alles scheint angerichtet für eine große Oranje-Party am heutigen Sonntagnachmittag in Zandvoort. Max Verstappen startet sein erstes Heimrennen in der Formel 1 (Start heute 15 Uhr, live bei Sky und ServusTV) auf niederländischem Boden vom ersten Platz der Startaufstellung. Auf dem schnellen, aber wenig überholfreundlichen Circuit Park Zandvoort erscheint das manchen Experten schon als halbe Miete für den Sieg.

"Der erste Teil des Jobs ist getan", kommentiert Red Bulls Teamchef Christian Horner die Pole Position. "Es ist eine harte Strecke, um zu überholen und er hat für den Start den besten Platz." Noch dazu drehte Verstappen am Freitag den klar schnelleren Longrun als Mercedes. Doch ganz so leicht ist die Rechnung nicht. Gegen Verstappen und gleichzeitig für seinen großen WM-Rivalen Lewis Hamilton auf Startplatz zwei spricht noch immer eine Menge. Genauer gesagt vor allem eine Ein-Personen-Menge namens Valtteri Bottas. Der Favoritencheck zum Niederlande-GP.

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Anders als Verstappen kann sich Hamilton in Zandvoort strategischer Schützenhilfe seines Teamkollegen gewiss sein. Der Finne startet genau dort, wo er sollte - von P3. Sergio Perez hingegen fährt maximal (ein taktischer Motorenwechsel ist zu erwarten) von P16 los - Red Bull hatte sich im Q1 zeitlich völlig verkalkuliert, sodass der Mexikaner am Ende keine schnelle Runde mehr drehen konnte und vorzeitig ausschied.

"Red Bull sah im Longrun ziemlich schnell aus. Es wird nicht leicht, sie da herauszufordern. Aber wir haben zwei Autos gegen eines von ihnen. Das sind immer gute Nachrichten", hofft Bottas, ganz Teamplayer, auf eine Chance für Mercedes. "Es wird Gelegenheiten geben. Es ist noch viel möglich. Es ist nicht so, als wären sie meilenweit weg."

Mercedes mit zwei Autos gegen Solokämpfer Verstappen

Seinen Job kennt der Finne ganz genau: Er muss um jeden Preis Hamilton helfen, ein Punktsieg in der Konstrukteurswertung ist wegen der schlechten Startposition Perez' ohnehin wahrscheinlich. Dass Mercedes jedes Mittel nutzen wird, daraus macht auch Toto Wolff kein Geheimnis. "Mit Valtteri auf P3 haben wir eine gute Ausgangsbasis, auch für strategische Spiele", frohlockt der Wiener.

Was Mercedes ganz besonders in die Karten spielen kann: Es ist alles andere als sicher, ob die 72 Runden von Zandvoort mit einem Stopp zu stemmen sind oder ob Reifenverschleiß und -abbau in den schnellen (Steil-)kurven einen zweiten Reifenwechsel erfordern werden. Mit einem neuen und einem gebrauchten Satz Medium ist Mercedes zumindest etwas besser aufgestellt als Red Bull (ein neuer, kein gebrauchter).

Zandvoort: Ein Stopp oder zwei Stopps?

Die beste Strategie vermag allerdings nicht einmal Pirelli klar zu prognostizieren. Ein und zwei Stopps liegen nah beisammen. Je nach Wetter soll ein einziger Wechsel von Soft auf den maximal harten Hard (C1) möglich sein. Und eines ist klar: Im überholfeindlichen Zandvoort wird kaum jemand freiwillig seine Track Position aufgeben und im Zweifel versuchen, eine Einstoppstrategie zu erzwingen.

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Mercedes' Vorteil: Mit Hamilton und Bottas können sie im Zweifel einfach beides probieren. Etwa einen aggressiven Zweistopper Bottas via Undercut. "Wenn es darum gehen sollte, mit einem Stopp zu überleben, dann muss Max eine Entscheidung treffen: Wählt er einen Stopp oder zwei? Ich denke, wir können da beide Strategien spielen. Wir haben zwei Autos, die eigentlich völlig anderes fahren können", sagt Wolff bei Sky Sports F1 und verrät voller Angriffslust, aber mit einem Zwinkern, F1-ungewöhnlich fast schon im Detail die Pläne seines Teams: "Wir werden sicher einen an die Box holen, einen Undercut machen und heftigen Druck ausüben, während wir den anderen draußen lassen und dann Erster und Zweiter werden!"

Mercedes will Verstappen mit Bottas einheizen

Völlig in der Schublade lässt Wolff da altbekannte Understatement allerdings nicht. Tatsächlich habe Red Bull vielleicht auch einen zweiten Fahrer für strategische Zwecke. "Sie haben Gasly, also haben sie ein Auto zu abdecken", sagt Wolff. Der Franzose in Diensten AlphaTauris startet nach einem sensationellen Qualifying von Startplatz vier.

Red Bull ist dieser mögliche Faktor ebenso wenig entgangen. "Gasly läuft zu immer besserer Form auf, unglaublich, was der rausholt", jubelt Dr. Helmut Marko bei Servus-TV. "Wir hoffen, dass er ein Verbündeter für uns ist."

Für Teamchef Horner ist die Rechnung ohnehin etwas einfacher. "Sie haben zwei Leute, sodass sie ihre Optionen splitten können. Aber der Schlüsselmann, den wir schlagen müssen, ist natürlich Lewis. Also musst du einfach nur deine Kämpfe wählen", sagt der Brite. Wie gut aber ein Punktsieg über Hamilton bei einem Rennsieg Bottas' vor den Oranje-Fans bei Verstappen ankommen würde?

Kann Max Verstappen einfach wegfahren?

Ein möglicher Haken an der Sache: Gewinnt Verstappen den Start könnte der Niederländer im ersten Stint kaum zu kontrollieren sein. Nicht nur, dass der Longrun am Freitag 2,5 Zehntel besser war als der Bottas'. Noch dazu konnte der im Dauerlauf stärkere Hamilton diesen wegen eines Defekts mit dem Öldruck am Freitag nicht proben - auf einer völlig neuen Strecke. "So richtig weiß ich nicht, wie sich die Strecke mit viel Benzin anfühlt", klagt Hamilton. "Kein Zweifel, dass es morgen hart wird."

Longruns am Freitag auf Medium

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Bottas1331:14,775
Räikkönen1511:15,626
Stroll1431:15,836
Ocon24181:16,015
Leclerc1271:16,224
Giovinazzi2381:16,457
Tsunoda21181:16,571
Schumacher1881:17,703

Damit nicht genug: Noch dazu fahren Hamilton und Bottas auf zwei Runden älteren Reifen los als Verstappen. Die roten Flaggen im Q2 sorgten dafür, dass die Mercedes-Fahrer ihre Bestzeiten mit jenen Pneus erzielten, die sie schon im Q1 für einen abgebrochenen Absicherungsversuch angefahren hatten. Die Reifen haben also bereits zwei statt einen Hitzezyklus durchgemacht. Mit diesen Walzen müssen Bottas und Hamilton qua Reglement nun starten, Verstappen legt auf einem Soft los, der nur einen regulären Q2-Run auf dem Buckel hat.

Mercedes startet auf älteren Reifen

Dieses Traumszenario traut sich Red Bull nicht wirklich auszumalen. "Wir müssen einfach den Kopf unten halten und unser eigenes Rennen fahren", sagt Horner. "In einer perfekten Welt würden wir einfach vorne wegfahren. Aber irgendwie denke ich nicht, dass es so leicht sein wird ..."

Dafür war nicht die bisherige Formel-1-Saison zu turbulent, sondern auch das Zandvoort-Wochenende allein. Ein völlig sauberes und reguläres Rennen ohne Zwischenfälle erwartet kurz gesagt niemand. Noch gab es keine F1-Session ohne mindestens eine rote Flagge, auch in der Formel 3 war der Abbruch oder zumindest ein Safety Car an der Sessionordung.

Zandvoort: Chaos scheint programmiert

"Zudem deuten die Anzeichen aus den bisherigen Sessions darauf hin, dass im Rennen Zwischenfälle durchaus wahrscheinlich sind. Es gibt also noch immer genügend Gelegenheiten", sagt Mercedes' leitender Strecken-Ingenieur Andrew Shovlin. "Wir müssen wachsam bleiben, denn neue Strecken können immer Chaos bringen", warnt auch Verstappen "Und Mercedes erwarte ich stark. Die Lücke ist schon heute [Samstag] klein gewesen."

Die erste Gelegenheit, den Niederländer auszustechen, kommt gleich am Start. "Das wird spaßig", sagt Hamilton trotz der schlechteren Seite in der Startaufstellung. Zum ersten Mal seit dem großen Crash von Silverstone steht der Weltmeister wieder gemeinsam mit Verstappen in der ersten Reihe. Nur 215 Meter sind es dann bis zum ersten Bremspunkt für die Tarzanbocht. Wieder Drama? Toto Wolff kann es nicht mehr hören.

Start im Fokus: Wolff kann Crash-Gerede nicht mehr hören

"Ich denke, die beiden Protagonisten werden diese Saison noch öfter Seite an Seite starten und ich denke nicht, dass wir wirklich annehmen können, dass es immer in einem Zwischenfall endet. Sie sind beide die Besten der Besten und wissen, dass jeder Sieg zählt, aber sie werden es vielleicht hart, aber fair machen", sagt der Mercedes-Leiter.

Fazit: Verstappen verfügt in Zandvoort über die besten Karten. Pole, Track Position und eine offenbar bessere Longrun-Pace sind zusammen genommen ein Pfund. Verliert er den Start, wird es gegen zwei Mercedes dennoch unfassbar schwer. Gewinnt er der Start, ist es noch immer nicht leicht. Kommt Mercedes zumindest halbwegs mit, kann man mit zwei Autos Druck erzeugen und eine Zwickmühle bauen. Wenn nicht ohnehin das große Chaos kommt, das alle erwarten. Selbst Sergio Perez hat da noch nicht aufgegeben: "Alles ist möglich, niemand weiß genau, was passieren wird."