Die Formel-1-Saison 2021 ist unberechenbar. Vor allem an der Spitze des Feldes sind die Abstände zwischen Red Bull und Mercedes so klein, dass Prognosen vor den Wochenenden inzwischen unmöglich sind. Auch in Spa passt kein Blatt Papier zwischen die beiden WM-Duellanten.

0,041 Sekunden lagen im 2. Freien Training zwischen Max Verstappen und Valtteri Bottas. Auf der mit 7,004 Kilometer längsten Strecke im Formel-1-Kalender wohlgemerkt. Lewis Hamilton fehlte ebenfalls weniger als eine Zehntelsekunde auf die Trainingsbestzeit.

Allerdings hatten die beiden Mercedes-Piloten auf ihren schnellsten Runden die Medium-Pneus aufgezogen, Verstappen fuhr seine Bestzeit auf den weichsten Pirelli-Gummis. Doch das ist nur die halbe Wahrheit einer komplexen Trainingssitzung in Spa.

Red Bull ortet Motor-Bluff von Mercedes in Spa

"Die sind im Sektor eins plötzlich langsamer gewesen als mit den härteren Reifen, wo sie noch aufgedreht haben", erklärt Red Bulls Dr. Helmut Marko Mercedes' Medium-Zeiten. Bei der Qualifying-Simulation auf den Soft-Reifen fuhren Hamilton und Bottas in den Power-Sektoren eins und drei plötzlich langsamer als in ihren Runden zuvor auf Medium.

"Auf dieser Strecke kommt es sehr auf die Leistung an, das Verändern der Modi kann deshalb hier große Unterschiede in der Rundenzeit ausmachen", weiß auch Mercedes' Strecken-Chefingenieur Andrew Shovlin.

Doch auch bei Verstappen waren bei der Qualifying-Simulation Verluste in den Power-Sektoren zu erkennen. Der Niederländer fuhr nur eine Zehntel schneller auf Medium als auf Soft. "Das lag im Bereich des Erwarteten", meint Marko. Das Reifen-Delta beträgt allerdings rund eine halbe Sekunde. Auch Red Bull hat wohl Leistung zurückgedreht, wenn auch nicht ganz so eklatant.

Runden-Vergleich Lewis Hamilton, 2. Training

Sektor 1Speed S1Sektor 2Speed S2Sektor 3Speed ZielZeit
Medium30.665332,145.119209,728.760227,51:44,544
Soft31.025325,644.778207,229.095223,61:44,898

Runden-Vergleich Valtteri Bottas, 2. Training

Sektor 1Speed S1Sektor 2Speed S2Sektor 3Speed ZielZeit
Medium30.748327,545.113213,128.652225,21:44,513
Soft30.98132644.969208,828.992222,51:44,942

Runden-Vergleich Max Verstappen, 2. Training

Sektor 1Speed S1Sektor 2Speed S2Sektor 3Speed ZielZeit
Medium31.009323,644.862211,428.726224,31:44,597
Soft30.976320,944.416208,929.080219,91:44,472

An den Bedingungen lag es übrigens nicht: Die Konkurrenz konnte sich beim Wechsel von Medium auf Soft deutlich steigern - auch in den Power-Sektoren eins und drei, wo der mechanische Grip nicht ganz so wichtig ist.

Red Bull fuhr aber wohl davor schon mit angezogener Honda-Handbremse. "Wir haben den Motor noch nicht aufgedreht", bestätigt Marko mit einem Lächeln. Mehr als eine halbe Sekunde sei an dieser Front noch problemlos möglich.

Von Red Bull dürfte im Qualifying mehr kommen, Foto: LAT Images
Von Red Bull dürfte im Qualifying mehr kommen, Foto: LAT Images

Die Frage lautet nur: Wer hat nun mehr geblufft? Wer kann, wenn es darauf ankommt, mehr nachlegen? "Wenn du im zweiten Sektor so überlegen bist, dann kann das Auto nicht so schlecht sein", meint Red Bulls Motorsportberater ganz selbstbewusst.

Formel 1 Spa - 2. Training, Zeiten 1. Sektor

POSFahrerTeamMotorZeit
1OconAlpineRenault30,551
2AlonsoAlpineRenault30,579
3HamiltonMercedesMercedes30,665
4GaslyAlphaTauriHonda30,722
5BottasMercedesMercedes30,748
6VettelAston MartinMercedes30,794
7RaikkonenAlfa RomeoFerrari30,813
8StrollAston MartinMercedes30,845
9TsunodaAlphaTauriFerrari30,846
10LatifiWilliamsMercedes30,917
11LeclercFerrariFerrari30,932
12PerezRed BullHonda30,950
13GiovinazziAlfa RomeoFerrari30,972
14VerstappenRed BullHonda30,976
15SainzFerrariFerrari30,984
16MazepinHaasFerrari31,036
17NorrisMcLarenMercedes31,084
18RicciardoMcLarenMercedes31,113
19SchumacherHaasFerrari31,192
20RussellWilliamsMercedes31,569

Formel 1 Spa - 2. Training, Zeiten 2. Sektor

POSFahrerTeamMotorZeit
1VerstappenRed BullHonda44,416
2HamiltonMercedesMercedes44,778
3NorrisMcLarenMercedes44,958
4BottasMercedesMercedes44,969
5GaslyAlphaTauriHonda44,979
6StrollAston MartinMercedes45,167
7PerezRed BullHonda45,250
8RussellWilliamsMercedes45,295
9SainzFerrariFerrari45,334
10VettelAston MartinMercedes45,428
11GiovinazziAlfa RomeoFerrari45,442
12AlonsoAlpineRenault45,556
13RicciardoMcLarenMercedes45,681
14OconAlpineRenault45,712
15RaikkonenAlfa RomeoFerrari45,714
16TsunodaAlphaTauriHonda45,765
17LeclercFerrariFerrari46,012
18LatifiWilliamsMercedes46,108
19SchumacherHaasFerrari46,440
20MazepinHaasFerrari46,530

Formel 1 Spa - 2. Training, Zeiten 3. Sektor

POSFahrerTeamMotorZeit
1BottasMercedesMercedes28,652
2VerstappenRed BullHonda28,726
3HamiltonMercedesMercedes28,760
4AlonsoAlpineRenault28,818
5PerezRed BullHonda28,983
6OconAlpineRenault29,039
7GaslyAlphaTauriHonda29,060
8NorrisMcLarenMercedes29,070
9TsunodaAlphaTauriHonda29,085
10LeclercFerrariFerrari29,110
11VettelAston MartinMercedes29,114
12StrollAston MartinMercedes29,168
13LatifiWilliamsMercedes29,173
14SainzFerrariFerrari29,199
15RaikkonenAlfa RomeoFerrari29,210
16GiovinazziAlfa RomeoFerrari29,317
17RicciardoMcLarenMercedes29,324
18MazepinHaasFerrari29,566
19SchumacherHaasFerrari29,590
20RussellWilliamsMercedes29,721

Im Mittelsektor spiet die Motorleistung eine untergeordnete Rolle. Hier zählt das Chassis. Dort fuhr Verstappen fast vier Zehntelsekunden schneller als Hamilton auf Platz zwei. Allerdings stellt sich auch hier eine entscheidende Frage: Womit hat sich Red Bull die Zeit im Mittelsektor erkauft?

Spa ist eine Strecke der extremen Gegensätze. Im Mittelsektor ist Abtrieb gefragt. Dieser Abtrieb kostet aber im ersten und letzten Sektor, weil er in der Regel mit Luftwiderstand einhergeht. "Es ist eine große Herausforderung, hier die richtige Balance zu finden", weiß auch Weltmeister Lewis Hamilton. Mercedes testete an beiden Autos am Vormittag verschiedene Heckflügel-Konfigurationen.

Spa stellt Formel 1 2021 vor großer Setup-Herausforderung

Problematisch ist die Kompromissfindung, weil die Formel 1 in der Saison 2021 nur 60-minütige Trainingssitzung am Freitag hat. Dazu kamen am Freitag Regen und Rote Flaggen. Es waren schwierig Trainings für Fahrer und Ingenieure.

Regen macht die Entscheidung bei der Abstimmung zusätzlich schwer. "Für den Fall, dass es regnen sollte, möchte man klarerweise mehr Abtrieb, aber falls es dann doch nicht regnen sollte, ist man so anfällig auf den Geraden", weiß Hamilton. Auf die Meteorologen ist nur bedingt Verlass, wie Ingenieur Shovlin meint: "Es ist schwierig, weiter als 30 Minuten in die Zukunft zu blicken. Dadurch könnte die Planung für das Qualifying und das Rennen knifflig werden."

Valtteri Bottas rückte in FP1 mit kleinem Heckflügel aus, Foto: LAT Images
Valtteri Bottas rückte in FP1 mit kleinem Heckflügel aus, Foto: LAT Images

Für Valtteri Bottas wird die Gleichung noch komplexer. Nach dem Start-Crash von Ungarn wird er in Spa um fünf Startplätze nach hinten versetzt. Bottas ist in der doppelten Zwickmühle: "Im Rennen wird es für mich wichtig sein, im ersten und dritten Sektor schnell zu sein, um dort überholen zu können. Falls es aber regnen sollte, möchte man dort mehr Abtrieb haben."

Der Unfall von Max Verstappen am Ende des 2. Trainings sollte keinen Einfluss auf das restliche Wochenende haben. Weil er erst in letzter Sekunde abflog, ging keine wertvolle Trainingszeit verloren. Eine Strafversetzung muss er ebenfalls nicht fürchten, weil das Renngetriebe erst ab Samstagmorgen im Einsatz ist.

Trainings-Unterbrechung machen Spa noch schwieriger

Die Longruns geben nur bedingt Aufschluss über die Konkurrenzfähigkeit der Titelanwärter. Zum einen sind Longruns in Spa ohnehin eine schwierige Sache im Training. Die längste Strecke im Kalender geizt mit Runden. Dazu wurde die nur einstündige Session nicht nur durch den Unfall von Verstappen beendet, sondern zuvor auch noch von Charles Leclercs Abflug unterbrochen.

Dass Bottas mit aufgetanktem Auto aber deutlich schneller war als Verstappen, treibt Marko die Schweißperlen nicht auf die Stirn: "Wir waren schneller als Hamilton und so wie wir es gesehen haben, hat der Bottas auch da wieder den Motor aufgedreht. Deshalb war er schneller. Im Longrun macht es ja noch mehr aus, wenn du den Motor aufdrehst." Denn im Dauerlauf wird DRS nicht geöffnet, der Motor muss gegen mehr Luftwiderstand auf der langen Kemmel-Geraden ankämpfen.

Tatsächlich war Bottas mit vollem Tank in den Power-Sektoren deutlich schneller als Hamilton. So ist es wenig verwunderlich, dass der Finne eine Sekunde pro Runde schneller fuhr als sein Teamkollege. Das zeigt aber auch, dass man den ohnehin nicht repräsentativen 'Longruns' nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken sollte.

Formel 1 Spa - Longruns auf Soft

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Sainz511:50,590
Ricciardo611:50,693
Giovinazzi711:50,771
Alonso721:50,782
Vettel921:50,819
Gasly821:51,099
Tsunoda821:51,550
Schumaher821:54,332

Formel 1 Spa - Longruns auf Medium

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Bottas921:49,265
Verstappen821:49,777
Hamilton821:50,231
Räikkönen1111:51,368
Latifi1021:51,776
Mazepin1621:53,999

Formel 1 Spa - Longruns auf Hard

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Ocon1021:50,677
Stroll921:50,725
Russell721:51,176

Fazit: Prognosen sind unmöglich. Aber Spa wird nicht nur für dieses Wochenende speziell enorm spannend. Mercedes hatte vor der Sommerpause plötzlich erheblich Speed auf den Geraden gefunden, wo Red Bull zuvor deutlich überlegen war. Setzt sich der Trend fort, wenn alle aufdrehen? Die Mercedes-Piloten bekamen für die Power-Strecke frische Motoren spendiert. Das dürfte minimal helfen. Verstappen musste seinen letzten Motoren-Joker nach der Silverstone-Kollision schon in Ungarn ziehen.

Hamilton blufft, Verstappen crasht! Noch ein Ass im Ärmel?: (09:05 Min.)