Mit dem Großen Preis von Saudi-Arabien stößt 2021 ein weiterer umstrittener Austragungsort in den Rennkalender der Formel 1. Wie schon bei anderen Neuzugängen wie Bahrain, Russland oder China steht die Königsklasse für ihre Entscheidung, derartige Staaten aufzusuchen, in der Kritik. Im aktuellen Fall äußerte etwa Amnesty International Bedenken an der Austragung des Grand Prix in Jeddah.

Dem saudischen Königreich wird vorgeworfen, Frauen, religiöse Minderheiten und politisch Oppositionelle zu unterdrücken und dieses Image mit großen Sportveranstaltungen wie der Formel 1 reinwaschen zu wollen. Dieses sogenannte Sportswashing wird auch Katar, Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, attestiert.

Politik & Sport: Unvereinbar und unzertrennlich zugleich

Wie kontrovers der Zusammenstoß von Politik und Sport immer wieder diskutiert wird, zeigt sich aktuell an der vielleicht politischsten Fußball-Europameisterschaft der Geschichte. Am Dienstag untersagte die UEFA der Stadt München, die Allianz Arena beim heutigen Aufeinandertreffen der deutschen Nationalmannschaft mit der Elf aus Ungarn in Regenbogenfarben zu beleuchten.

So hatte man ein Zeichen gegen ein in der vergangenen Woche durch das ungarische Parlament verabschiedetes Gesetz der rechtsnationalistischen Regierung Viktor Orbans setzen wollen. Dieses sieht ein Informationsverbot für Minderjährige über Homosexualität und ein Verbot von Werbung für Geschlechtsangleichungen vor.

Formel 1: #WeRaceAsOne hier, Saudi Aramco da

Die UEFA verwies in ihrer Ablehnung auf diesen politischen Kontext. Der Verband sei eine politisch und religiös neutrale Organisation. Ähnliches hört man zwar auch von der Formel 1. Die Königsklasse betont in vereinzelten Statements, etwa von CEO Stefano Domenicali, auf Nachfragen zu neuen Rennen in Ländern wie Saudi-Arabien allerdings durchaus, mit ihrer Präsenz etwas bewirken zu wollen und versucht so, die kommerzielle Entscheidung zu rechtfertigen. Generell ist sich die Formel 1 einer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, kämpft mit der Kampagne #WeRaceAsOne auf drei Säulen gegen Rassismus und für Diversität. Gleichzeitig zählt der saudische Ölgigant Saudi Aramco zu den Hauptsponsoren.

Ein aufschlussreiches Statement zur Thematik kommt nun zum zweiten großen Spieler der Königsklasse - von der FIA. Deren langjähriger Präsident Jean Todt äußerte sich im Rahmen des Frankreich-GP ausführlich zur Frage, was die Weltverband davon halte, wenn die Formel 1 zunehmend in Länder wie Saudi-Arabien dränge.

Jean Todt: FIA steht hinter Renn-Entscheidungen der F1

Danach unterstützt die FIA das Vorgehen des kommerziellen Rechteinhabers Liberty Media - immer, ob Russland, Bahrain oder nun Saudi-Arabien. Immerhin sei es am Ende immer die FIA, die den Kalender finale absegne. "Wer schlägt den Kalender vor? Das ist der kommerzielle Rechteinhaber. Es wäre unfair zu sagen, dass es nur sie sind, weil wir ihnen sagen könnten, dass sie nicht dorthin gehen sollen", erinnert Todt.

"Und sie würden uns folgen, also stimmen wir überein. Denn am Ende des Tages, wenn ein Kalender vorgeschlagen wird, geht er an mich und an den Weltrat, der zustimmt, und ich kann mich nicht erinnern, dass auch nur einer mal gesagt hätte, wir sollten nicht dorthin gehen. Es ist eine gemeinsame Vereinbarung, in diese Länder zu gehen."

Todt berichtet aus UN-Kreisen: Fahrt in allen Ländern

Warum es keinen Gegenwind gibt? Von Seiten des Franzosen aus, weil ihm Berater und Kollegen sogar das Gegenteil empfehlen würden, nämlich gerade diese Länder aufzusuchen. Und das sei nicht niemand, so Todt, seit fünf Jahren als Generalsekretär des UN-Sonderbeauftragten für Verkehrssicherheit bei den Vereinten Nationen engagiert. "Das ist mir eine Herzensangelegenheit", sagt Todt.

„Wenn man sich das hochrangige Panel ansieht, das ich zur Verkehrssicherheit zusammengestellt habe, dann haben wir da Michael Ellison, einen ehemaligen hohen Kommissar für Menschenrechte. Wir haben Michelle Bachelet, die aktuelle hohe Kommissarin für Menschenrechte. Wir haben Filippo Grandi, den hohen Kommissar für Flüchtlinge. In gewisser Weise ist es also ein Privileg, mit ihnen zu diskutieren", berichtet Todt.

Zuletzt habe er sich auch mit F1-Chef Domenicali und Jacques Toubon, ehemaliger Justizminister, bis letztes Jahr in Frankreich für Menschenrechte zuständig, über die Formel 1 in genannten Ländern unterhalten. "Und sie alle sind dafür, überall auf der Welt Rennen zu veranstalten", berichtet Todt aus der Expertenrunde. "Ich meine, wir sind ein Sport. Das habe ich auch sehr oft mit dem Internationalen Olympischen Komitee diskutiert, mit Thomas Bach. Weil sie das gleiche Problem haben. Und wir sind ganz klar der Meinung, dass Sport nicht in die Politik eingebunden werden sollte."

Sport und Politik nicht vermischen, aber ...

Das klassische Argument also, Sport und Politik nicht zu vermischen - auch wenn die politische Seite dies in besagten Ländern, Stichwort Sportswashing, ganz bewusst sucht. Ganz dabei bleibt Todt allerdings nicht. Der Franzose gibt an, durchaus gesprächsbereit zu sein. "Wir müssen mit NGOs in Kontakt treten. Und ich meine gute NGOs wie Human Rights Watch, die anständige Leute sind, um zu sagen, welchen Beitrag wir leisten können. Daran arbeiten wir", verspricht Todt.

Einen gewissen Beitrag könne die Formel 1 oder jeder anderer Sport allerdings sicherlich leisten. Aufmerksamkeit auf die betreffenden Länder und deren Umgang mit Menschenrechten lenken. "Wenn du in diese Länder gehst, gibt es meiner Meinung nach Menschen, die einem Land gegenüber negativ eingestellt sind, die Möglichkeit, sich zu äußern, die sie sonst wahrscheinlich nicht hätten", sagt Todt. Das könne man allerdings auch anders sehen, gesteht der Franzose. Todt: "Es ist in hohem Maß eine Interpretationsfrage. Aber für mich fühle ich mich richtig."

Todt: Formel 1 gibt Kritikern auch eine Plattform

Generell würde Todt gerne mehr Taten als Worte sehen, auch im Hinblick auf Diversität. Das forderte Anfang des Jahres bereits Lewis Hamilton, seit 2020 hier Wortführer in der Formel 1. Todt lobte bereits im vergangenen Jahr dessen Einsatz und zeigt sich weiterhin angetan, die Plattform Formel 1 zu nutzen. "Mir gefällt diese Vorstellung. Schon bei Michael [Schumacher]. Da ging es noch nicht um Diversität, mehr um Verkehrssicherheit, das hat er sehr unterstützt. Bei Lewis geht es mehr um Diversität und ich verstehe, woher es kommt", sagt Todt.

Viel sei zu tun, was nun allerdings auch umgesetzt werden müsse - ganz ähnlich wie im Motorsport zählen für Todt nur handfeste Ergebnisse. "Wenn du gut bist, gewinnst du, wenn du nicht gut bist, gewinnst du nicht und wenn du nicht zuverlässig bist, fällst du aus", sagt Todt. Sehr häufig reicht es nicht, etwas zu sagen. Ich würde es lieben, mehr Taten als Worte zu sehen. Und Taten sind möglich. Es gibt viel Elend auf der Welt ..."