Die Ruhe vor dem Sturm ist vorbei: Am kommenden Wochenende startet die Formel 1 nach 14 Tagen Pause mit dem Großen Preis von Frankreich im südfranzösischen Le Castellet nicht nur in ihr siebtes Rennen der F1-Saison 2021, sondern gleichzeitig in den ersten Tripleheader des Jahres. Auf dem Circuit Paul Ricard richtet sich der Fokus vorrangig erneut auf das große WM-Duell zwischen Max Verstappen und Red Bull gegen Lewis Hamilton Mercedes. Diesmal stehen die Vorzeichen grundlegend anders als zuletzt in Monte Carlo und Baku.

Anders als bei den beiden vergangenen Events dieser Formel-1-Saison fährt die Königsklasse in Frankreich nicht mehr auf einem Straßenkurs, sondern der permanenten Rennstrecke von Paul Ricard. Genauer gesagt gast die F1 auf dem 5,842 Kilometer langen Layout der vor allem als Teststrecke beliebten Anlage an. Insgesamt stehen 247 (!) verschiedene Streckenvarianten zur Verfügung, von nur 0,8 bis zu 5,86 Kilometern Länge. Die Formel 1 operiert am Wochenende also auf der nahezu längsten möglichen Streckenführung, inklusive der berühmten Mistral-Geraden und der ultraschnellen Rechtskurve Signes.

Mercedes vs. Red Bull: Wer hat in Frankreich die Nase vorn?

Ein engerer erster Sektor, Vollgas rund um die Mistral in der Mitte und schnelle, langgezogene Kurven im letzten Abschnitt, das charakterisiert das Formel-1-Layout von Le Castellet - und erinnert damit ein wenig an den Circuit de Barcelona-Catalunya. Das gilt auch für die Reifenwahl Pirellis. Die Italiener bringen zwar nicht gleich die härtesten Mischungen, allerdings zumindest den mittleren Teil des Sortiments - also eine Nummer härter als zuletzt in Baku und Monaco. Grund dafür ist nicht etwa ein aggressiver Asphalt, sondern vielmehr die weit höheren Belastungen auf die Pneus, vor allem durch die schnellen Kurven im letzten Sektor. "Der Circuit Paul Ricard ist eine schnelle Strecke. [...] Du musst mit dem Reifenabbau vorsichtig sein", warnt Verstappen.

In Spanien zeigte Hamilton Verstappen das Heck, Foto: LAT Images
In Spanien zeigte Hamilton Verstappen das Heck, Foto: LAT Images

Genau das brach dem Niederländer, inzwischen WM-Führender, noch in Barcelona das Genick gegen Hamilton. Nach einem zweiten Reifenwechsel holte der Mercedes-Fahrer Verstappen wieder ein und zog vorbei. Möglich war das allerdings auch wegen eines insgesamt stärkeren Rennautos auf Seiten Mercedes'. Ein Rennauto, das der Weltmeister so in Monaco und Baku nicht zu entfesseln wusste. Bereits in Baku hatte Red Bull einen Konter erwartet, der verpuffte. Zumindest Hamilton zeigte spätestens im Qualifying allerdings wieder mehr Potential, Teamkollege Valtteri Bottas nicht - genau andersherum als noch in Monaco.

Hamilton & Bottas: Diesmal beide ohne Probleme?

Genau das müsse Mercedes nun auf einen homogenen Level bringen, fordert Toto Wolff vor dem Frankreich-GP. "In Monaco und Baku befand sich der W12 in einem Fenster, in dem nur jeweils einer unserer Fahrer das Vertrauen fand, um die Performance des Autos auszureizen - Valtteri in Monaco und Lewis in Baku. In einem so engen und intensiven Titelkampf müssen wir ihnen aber bei jedem Rennen ein Auto hinstellen, mit dem beide Fahrer bis ans Limit gehen können", sagt der Mercedes-Teamchef.

Auf der reinen Rennstrecke von Le Castellet setzt der Wiener allerdings darauf, dass sich die Probleme ohnehin in Wohlgefallen auflösen. "Hinter uns liegen zwei Rennen auf Stadtkursen, die unserem Auto nicht gelegen haben und von denen wir schon vorher wussten, dass sie für uns schwierig werden würden", erinnert Wolff. "Der Große Preis von Frankreich bedeutet eine Rückkehr auf eine traditionellere Strecke, was uns hoffentlich wieder mehr Glück bringt. Auf diesem Kurs waren wir in der Vergangenheit gut unterwegs", erinnert Wolff.

Mercedes setzt Frankreich: Kein Straßenkurs mehr

Das bestätigt die Statistik. Bei den beiden bisherigen Ausgaben auf dem Circuit Paul Ricard gab Mercedes keine einzige Session ab. Im Qualifying fehlten dem heutigen WM-Rivalen Verstappen sowohl 2018 als auch 2019 mehr als sechs Zehntelsekunden auf Mercedes. Das will Mercedes 2021 - wenn wohl kaum auf einem ähnlich klaren Niveau - wiederholen und so den Frust der jüngsten Nackenschläge überwinden. "Jetzt möchten wir unsere Erkenntnisse aus den vergangenen Wochen in Performance verwandeln und in Frankreich mit beiden Fahrern ein viel stärkeres Wochenende abliefern als zuletzt", sagt Wolff.

Dieser für die Verhältnisse Mercedes' geradezu euphorischer Ausblick spiegelt sich bei der Konkurrenz. Verstappen weint nach dem bitteren Ausfall von Baku durch einen inzwischen aufgeklärten Reifenschaden noch immer ein wenig dem verpassten Ausbau seiner Führung in der Fahrer-WM nach. "Wir lagen in Baku auf Siegkurs, aber das passiert Im Rennsport eben. Manchmal hast du es nicht in der Hand, also müssen wir einfach weitermachen. Wir führen in der WM ja noch immer, aber natürlich hätte ich gerne mit mehr Punkten geführt", sagt Verstappen vor dem Rennen in Frankreich.

Max Verstappen warnt vor starken Mercedes

Zumindest dank Hamiltons Verbremser am stehenden Restart nach Verstappens Ausfall betrieb der Niederländer in Baku noch Schadensbegrenzung. Durch die resultierende Nullnummer des Briten verlor Verstappen zumindest keine Punkte. Dennoch ärgert sich der Niederländer über nun nur vier WM-Punkte Vorsprung auf den Titelverteidiger. "Ich fühle mich gut, aber ich bin sicher, dass Mercedes auf den 'normalen' Strecken wieder sehr stark sein wird", erklärt Verstappen. So leichtes Spiel wie zuletzt in Baku erwartet der Red-Bull-Fahrer in Le Castellet und den folgenden Rennen in Österreich also nicht mit Mercedes.

Ein Gutes abseits des Hamilton-Patzer nimmt Verstappen allerdings durchaus mit aus Baku - und etwas, das (aus Red-Bull-Sicht) hoffentlich währt: Sergio Perez scheint angekommen im RB16B. "Es ist ein großer Boost für das Team, dass es weiß, dass wir zwei Autos haben, die um die Meisterschaft kämpfen können", sagt der Mexikaner. "Es ist klasse, dass wir zwei Autos an der Spitze haben. Baku war ein großartiges Beispiel dafür", lobt Verstappen. In den vergangenen Jahren hatte der Niederländer nur selten auf teaminterne Schützenhilfe zählen können. Mit Perez scheint nun der ersehnte Support vorhanden. "Es ist klasse, dass Checo den Vorsprung auf Mercedes in der Teamwertung größer machen konnte und jetzt selbst Dritter in der Fahrer-WM ist", sagt Verstappen.

Frankreich-Brennpunkt 1: Valtteri Bottas raus bei Mercedes?

Ein größeres Fragezeichen als hinter Perez scheint inzwischen hinter der Performance des zweiten Mercedes-Fahrers zu stehen. Nicht nur wegen dessen nicht einmal für Punkte ausreichender Leistung in Baku, sondern nun auch zunehmend wegen es eines neuen, aber alljährlichen Kriegsschauplatzes - der berühmten Silly Season der Formel 1. Aktuellen Gerüchten zufolge, etwa nach RTL-Informationen, soll Bottas' Aus bei Mercedes mit Saisonende bereits beschlossene Sache sein, George Russell 2022 endlich zum Zug kommen. Wie reagiert Bottas auf die aufgeheizte Gerüchteküche? Oder gar auf eine intern vielleicht schon gefallene Entscheidung?

Frankreich-Brennpunkt 2: Flexi-Flügel verboten

Über alldem schweben in Frankreich zudem noch zwei große Fragen respektive Änderungen. Erstmals greifen die verschärften Tests für die Verbiegung der Heckflügel, das große Streitthema in der Formel 1 der vergangenen Wochen. In Baku verzichteten Mercedes, McLaren & Co. auf einen Protest. Nun ist dieses Thema erledigt. An dessen Stelle tritt allein die Performance-Frage: Wie wirkt es sich aus, wenn der Red Bull hinten starrer werden muss? Zumindest zusätzliche Hoffnung abseits der Rückkehr auf eine reine Rennstrecke spendet dieses Thema bei Mercedes.

Frankreich-Brennpunkt 4: Reifendrücke im Fokus

Noch dazu im Fokus beim Frankreich-GP sind die Folgen der Pirelli-Reifenschäden in Baku bei Verstappen und Lance Stroll. Für diese zeichneten einer Analyse durch Pirelli und die FIA zufolge weder Trümmerteile, noch Produktionsfehler oder Qualitätsprobleme verantwortlich, sondern möglicherweise ein falscher Einsatz der Reifen, der im Resultat zu einem Riss der inneren Seitenwand führte. Konkret auf die Teams schob Pirelli die Schuldfrage damit zwar nicht ab, allerdings gelten per technischer FIA-Direktive schon in Frankreich nun neue Mechanismen zur Überwachung der Luftdrücke. So wird nun auch nach dem Rennen kontrolliert, ob die ausgegebenen Mindestwerte eingehalten wurden.

Beide Fragen spielen somit eine globale Rolle, nicht nur für Mercedes und Red Bull. Generell wird es allerdings auch im Mittelfeld spannend. Auch dort weckt die Rückkehr auf eine permanente Rennstrecke sowohl Hoffnungen als auch Sorgen. Ferrari etwa hatte nach der Überform von Monaco schon in Baku einen Rückfall erwartet, dennoch zeigte die Scuderia zumindest am Samstag ähnlich groß auf. In Frankreich erwarten die Roten nun final ihre zuvor angestammte Rolle als ein Kämpfer unter vielen im Mittelfeld.

Ferrari vs. McLaren: Ist das Formel-1-Duell zurück?

Der größte Gegner hier hieß bis dato McLaren. Nur zwei Punkte trennen Woking in der WM trotz des jüngsten Hochs Maranellos von Ferrari. Der anstehende Tripleheader auf traditionelleren Strecken lässt McLaren nun hoffen, das Zepter wieder in die Hand zu nehmen. Durchschlagende Argumente liefern soll hier vor allem Daniel Ricciardo. Lando Norris hatte im bisherigen Saisonverlauf deutlich mehr überzeugt. Gerade der Tripleheader ist es allerdings, der Ricciardo hoffen lässt.

"Drei Back-to-back-Rennen kann man als Herausforderung sehen, aber es ist auch eine gute Gelegenheit, um kontinuierlich Zeit im Auto zu bekommen und wirklich auf unsere bisherigen Fortschritte aufzubauen", sagt der Australier. "So bekomme ich hoffentlich mehr Vertrauen ins Auto." Bislang tat sich Ricciardo schwer, wirklich das letzte Quäntchen Vertrauen zu finden und seinen Fahrstil perfekt auf die etwas spezielleren Erfordernisse des MCL35M - so McLaren selbst - anzupassen.

Formel 1 Frankreich: Vier A-Teams angriffslustig

Ein enges Duell mit Ferrari & Co erwartet McLaren dennoch. Die genaue Hackordnung sei schwierig vorherzusagen, so Andreas Seidl. McLaren konzentriert sich vor allem auf die eigenen Schwächen. "Unsere Priorität liegt darauf, uns gut zu qualifizieren, um uns in die bestmögliche Position zu bringen, am Sonntag die meisten Punkten zu holen", sagt der Teamchef.

Hoffnungen machen sich in Frankreich auch die vier 'A' der Formel 1: Aston Martin, Alpine, AlphaTauri und Alfa Romeo. Letztere wollen in Frankreich direkt an die ersten Punktresultate des Jahres durch Antonio Giovinazzi in Monte Carlo und Kimi Räikkönen in Baku anknüpfen. "Ich kann es nicht erwarten", sagt Giovinazzi. "Wir wissen, dass uns große Verbesserungen gelungen sind. Alles, was wir jetzt brauchen, ist ein reguläres Wochenende, um zeigen zu können, was wir ausrichten können - und die Strecke von Paul Ricard sollte uns das erlauben", sagt der Italiener.

Formel 1 Frankreich: Vettel will Durchbruch bestätigen

Für Sebastian Vettel und Co. geht es dabei vor allem darum, den klaren Aufschwung von Monaco und Baku nun auch auf einer repräsentativen Rennstrecke zu bestätigen. "Wir hatten Zeit, um zu feiern, aber jetzt bin ich voll darauf fokussiert, unser Momentum in Frankreich aufrecht zu erhalten", sagt Vettel. "Paul Ricard ist ein guter Allrounder und testet jeden Aspekt eines Formel-1-Autos. Ich bin gespannt, wie der AMR21 dieses Wochenende performt", sagt Stroll.

Zurückfinden zur alten Form muss dagegen Alpine. Vor allem die Rennpace macht den Franzosen vor ihrem Heimrennen sorgen. Fernando Alonso will unterdessen den nächsten Schritt zurück zu seiner eigenen alten Form finden. Esteban Ocon freut sich auf sein erstes Heimrennen seit 2018 - 2019 erhielt der Franzose kein Stammcockpit.

Yuki Tsunoda weiter im Aufwind?

Endlich ein erfolgreiches Heimrennen will in Frankreich Pierre Gasly liefern. Dabei müsse er, gerade bei seinem ersten Auftritt als GP-Sieger und mit dem Podium aus Baku im Rücken, vor allem Druck und erhöhte Aufmerksamkeit gut managen. "Das wird es sehr besonders machen, ich bin ein bisschen ungeduldig, das zu erleben", sagt Gasly zwar. Aber: "Ich musste schon mit viel Interesse der Medien umgehen. Ich will nicht schon vor dem Wochenende ausgebrannt sein, also werden wir es so gut es geht managen."

Teamkollege Yuki Tsunoda hofft nach seinem Aufschwung von Baku gleich auf den nächsten - mit guter Begründung. "Ich bin schon in der Formel 3 zweimal in Paul Ricard gefahren, nachdem Portugal, Monaco und Baku völlig neu für mich waren", sagt der Japaner. Für die Haas-Rookies gilt ähnliches. Mick Schumacher führ in Südfrankreich bereits mit der Formel 2. Im Fokus steht bei Haas dennoch erneut das Lernen, insbesondere mit mittelfristigem Blick auf die Anforderungen des ersten Tripleheaders für Schumacher und Nikita Mazepin.

Zumindest mit Williams gibt es am Ende des Feldes auch in Le Castellet einen möglichen Gegner außerhalb des teaminternen Duells bei Haas. Zumal Ingenieur Dave Robson wegen der viel zitierten Windanfälligkeit des FW43B die geografische Lage der Strecke fürchtet. "Der Kurs liegt 400 Meter über dem Meeresspiegel und ist der Küste nahe, sodass er starken Wind ausgeliefert ist", warnt der Brite.