Lewis Hamilton ist nicht nur siebenfacher Weltmeister, sondern gilt in der Formel 1 auch als großer Meister des Regenfahrens. Legendäre Rennen hat der Mercedes-Pilot in der Vergangenheit schon abgeliefert - umso überraschender war sein Ausritt beim Emilia Romagna GP der Saison 2021 in Imola.

"Zum ersten Mal seit langem habe ich einen Fehler gemacht", ärgerte sich Hamilton nach einem Rennen, in dem er seinen Mercedes im Duell um den Sieg mit Max Verstappen im Kiesbett geparkt hatte. Wie kam es, dass der Meister bei solchen halbnassen Mischbedingungen, die ganz nach seinem Geschmack hätten sein sollen, plötzlich ausließ? Motorsport-Magazin.com schlüsselt das Siegduell von Imola in der Rennanalyse auf.

Erstes Problem: Verstappen fertigt Hamilton am Start ab

Die Ausgangsposition schien für eine Hamilton-Regenshow eigentlich perfekt. Ein Schauer kurz vor dem Start, es ging los auf Intermediates, und der Mercedes stand auf Pole. Diese Freude währte aber nicht lange, denn nicht einmal bis zur ersten Schikane dauerte es, und schon war Max Verstappen vorbei.

Schon einmal überraschend - Red Bull und Honda hatten im Vorjahr noch Probleme mit dem Start-Modus. "Ja, ich war selbst überrascht", gestand Verstappen. "Wir haben richtig hart daran gearbeitet, und man hat es in Bahrain schon gesehen, aber jetzt in diesen schwierigen Bedingungen haben wir einen großartigen Job gemacht!"

Hamiltons Bemühungen, den starken Red Bull abzuwehren, bezahlte er teuer: In der Variante Tamburello hielt er so lange dagegen, bis ihm der Platz ausging und er seinen Frontflügel an den Kerbs zerbröselte. Erst fürchtete Mercedes gar eine halbe Sekunde pro Runde an Zeitverlust - aber dann brach ein wackeliges Unterteil ab und machte den Weg für den Luftfluss unter dem Flügel wieder frei. Trotzdem schätzte das Team, dass es Hamilton zwei bis drei Zehntel kostete.

Konterversuch: Hamilton eröffnet die Verstappen-Jagd im Regen

Mit kaputtem Auto und ohne freie Fahrt schien Hamilton nun sogar deutlich im Nachteil. Als das Rennen nach der anfänglichen Safety-Car-Phase wieder freigegeben wurde, schien sich das zu zeigen: Verstappen öffnete in nur drei Runden eine Fünf-Sekunden-Lücke. Doch das war mehr einem Red Bull zu verdanken, der die Intermediate-Reifen schneller auf Temperatur brachte. Hamilton nistete sich bei diesem Abstand ein und baute Druck auf. Die beiden flogen dem Feld prompt in der Anfangsphase davon.

Der Regen stoppte, und eine schmale trockene Linie formte sich. Jetzt schlug die Stunde von Hamilton: Er hatte sich die Reifen besser eingeteilt. Verstappen hingegen klagte bald über fehlenden Grip. Auch der drittplatzierte Charles Leclerc, davor weit zurückgefallen, kam plötzlich näher. So begann sich Druck auf Verstappen und die Red-Bull-Box aufzubauen. Nämlich im Hinblick auf den sich jetzt bei einer eindeutigen trockenen Rennlinie abzeichnenden Wechsel von Intermediates auf Slicks.

Zweites Problem: Hamilton, Mercedes kassieren volles Boxen-Paket

An dem Zeitpunkt war der Wechsel riskant. Keiner wollte auf Soft-Reifen umstecken, weil noch mehr als das halbe Rennen zu fahren war. Medium-Reifen anzuwärmen war bei den kühlen Bedingungen nicht einfach. Mercedes' Spielplan schien klar: den immer mehr rutschenden und am Funk zunehmend nervösen Verstappen vorzeitig an die Box zwingen. Hamilton, mit besseren Reifen, würde dann die eine Runde freie Fahrt nutzen, um die Lücke mit seinen noch passablen Intermediates zuzufahren und die Führung zu übernehmen.

Aber Red Bull und Verstappen retteten sich mit einer Punktlandung zum Crossover-Punkt - jenem Punkt, an dem Slick-Reifen schneller sind als die alten Intermediates. Sebastian Vettel, sonst ein Nicht-Faktor, diente nach einem frühen Stopp als Versuchsobjekt. Kaum fielen seine Zeiten, kam auch schon Verstappen in Runde 27 in der Box an.

Sektor 2 - Runde 28ZeitReifen
Vettel29,705M
Verstappen30,259M
Tsunoda30,391M
Hamilton30,454I
Schumacher30,482S
Perez30,694I
Norris30,959I

Mercedes folgte nicht, Hamilton blieb eine entscheidende Runde länger draußen. Rückblickend wohl eine Runde zu lange. Selbst im feuchten Mittelsektor waren die ersten Slick-Fahrer schneller. Verstappen zauberte hier auf den neuen Slicks ordentlich, war zwei Zehntel schneller als Hamilton.

Den Todesstoß gab sich das Team selbst. Während Boxen-Klassenprimus Red Bull Verstappens Reifen wie gewohnt in 2,27 Sekunden umsteckte, patzte Mercedes. Vorne rechts ging das Rad nicht herunter, 4,04 Sekunden stand Hamilton länger. Auch in der Boxengasse war er weniger aggressiv, verlor eine weitere halbe Sekunde. Unter dem Strich galt: Kleinvieh macht Mist. Die verlorene Zeit summierte sich, und Hamilton kam hinter Verstappen wieder heraus. 2,5 Sekunden waren es am Messpunkt vor der Variante Tamburello, und nach dem Mittelsektor - mit langsamer Reifen-Anwärmphase - schon 5,5 Sekunden. Statt zu gewinnen hatte Mercedes mit ihrer Taktik und dem Boxen-Fehler weiter verloren.

Das letzte Problem: Hamilton wirft unter Druck weg

Vorbei war aber noch nichts. Abseits der Ideallinie war die Strecke noch nass, die Bedingungen waren tückisch. Und jetzt kam Überrundungsverkehr ins Spiel: Vor Verstappen und Hamilton hatte sich eine große Gruppe gesammelt. Valtteri Bottas, Lance Stroll und George Russell kämpften um Positionen, und Mick Schumacher war mit einer zusätzlichen Runde Rückstand ebenfalls im Paket dabei.

Da niemand die einzige trockenen Linie verlassen wollte, wurde die Situation schnell brenzlig. Nach Sektoren aufgeschlüsselt zeigen die Zeiten: Verstappen, der zuerst von Hamilton wegflog, lief am Ende von Runde 29 auf den Zug auf. In Runde 30 musste er zuerst an Russell, dann an Schumacher, Stroll und Bottas vorbei. Aber Verstappen, einst als Hitzkopf verschrien, blieb ruhig. Er wartete auf sichere Stellen. Bis man ihm die trockene Ideallinie freimachte.

Das kostete natürlich Zeit, und brachte Hamilton näher. Der schien seine Chance zu wittern, als Runde 31 anbrach. Er hatte dank Verstappens Warten über drei Sekunden aufgeholt, konnte den Red Bull jetzt aber am Ende der Überrundeten wieder enteilen sehen. Zeit für Risiko? Schumacher ließ ihn vorbei, und mit Russell wollte er sich wohl nicht lange aufhalten. Anders als Verstappen stach er in der Tosa-Haarnadel innen hinein - auf dem feuchten Asphalt. Er verlor die Kontrolle, und rutschte in die Mauer.

Hamilton verabschiedet sich in Tosa ins Kies, Foto: LAT Images
Hamilton verabschiedet sich in Tosa ins Kies, Foto: LAT Images

Rennabbruch wird Hamiltons Rettungsanker

Damit war die Sache erledigt. Hamilton kann, und wird, sich den Fehler nur selbst zuschreiben. Russell hatte ihn gerade einmal für eine Anbremszone im Rückspiegel, und in die feuchte Anbremszone von Tosa auszuweichen kann man von ihm nicht erwarten. Wahrscheinlich hätte er stattdessen auf der folgenden Bergauf-Geraden Platz gemacht. Zeitverlust für Hamilton in dem Fall? Minimal.

Nach all dem kam Hamilton aber doch das Glück zur Hilfe. Ausgerechnet, weil Russell so den Anschluss an Bottas halten hatte können und keine vier Kilometer später mit ebendiesem kollidierte, woraufhin das Rennen abgebrochen wurde. Hamilton, nach Reparaturstopp mit einer Runde Rückstand auf Platz neun, durfte sich gemäß dem Reglement für den Neustart wieder in die Führungsrunde zurückrunden.

Die zweite Rennhälfte wurde so zur Schadensbegrenzung. Wenn Hamilton freie Fahrt hatte, dann war er auf dem Niveau von Verstappen unterwegs. Nur hatte er selten freie Fahrt, immer wieder büßte er bei Zweikämpfen Tempo ein. Verstappen konnte entspannt ins Ziel fahren. Für Hamilton war Platz zwei das Maximum.

Imola hinterlässt somit ein interessantes Bild: Hamilton und Verstappen fuhren in beiden Rennen der Formel-1-Saison 2021 auf Augenhöhe, und duellierten sich beide Male weitab vom Rest der Welt um den Sieg. Und in beiden Rennen war es unter dem Strich ein Fehler des einen, der den Sieg des anderen garantierte. WM-Druck? Wenn, dann auf beiden Seiten. Beim WM-Neuling genauso wie beim Rekord-Meister.