Aston Martin ging 2021 mit großen Ambitionen in die Saison. Für Mercedes und Red Bull sei es noch zu früh, aber man wolle sich in der Formel 1 als klare dritte Kraft etablieren und regelmäßiger aufs Podium fahren. Mit Sebastian Vettel wurde dafür sogar ein vierfacher Weltmeister verpflichtet.
Sebastian Vettel war beim Saisonauftakt in Bahrain ein Thema für sich. Der Heppenheimer blieb weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Aber auch Aston Martin enttäuschte: Mit Rang zehn für Lance Stroll und einem mageren Pünktchen reiste der Rennstall aus dem Wüstenkönigreich ab.
"Verglichen mit dem, wie wir vor ein paar Monaten - vor den Regeländerungen waren -, haben wir viel Arbeit vor uns", so Teamchef Otmar Szafnauer. An gleicher Stelle schrammte Sergio Perez Ende 2020 im Racing Point noch knapp am Podium vorbei. Auf der Kurzanbindung des Bahrain International Circuit konnte der Mexikaner - dank freundlichem Zutun der Konkurrenz - sogar gewinnen.
Wie aber ist der Absturz binnen weniger Monate zu erklären? Teamchef Szafnauer verpackte seine Erklärung wenig subtil in seinen Aussagen. Für ihn ist klar: Die Regeländerungen sind schuld am schwachen Abschneiden.
Aston Martin bestätigt Mercedes-These
"Das haben wir im Qualifying realisiert, nachdem wir die Daten analysiert haben", so Szafnauer. "Die Autos mit niedrigem Anstellwinkel wurden von den Regeländerungen signifikant getroffen." Konkret meint er damit Mercedes und das eigene Team. Mercedes fürchtete schon nach den Testfahrten, dass die Einschnitte am Unterboden die eigene Fahrzeugphilosophie stärker treffen als die der Konkurrenz.
Worum geht es genau? Die Art und Weise wie ein Formel-1-Auto Abtrieb generiert ist komplex und von Team zu Team auch etwas unterschiedlich. Prinzipiell setzt sich der Abtrieb aus Frontflügel, Heckflügel und Unterboden zusammen.
Der Unterboden trägt den größten Teil zum Abtrieb bei und ist dabei das effizienteste Element, weil er in Relation wenig Luftwiderstand erzeugt. Der Unterboden ist aber auch das komplexeste Gebilde. Er besteht aus dem Unterboden selbst und aus dem Diffusor.
Das Design des Unterbodens ist zwar zum Großteil vorgeschrieben, trotzdem sorgt das Bauteil für größere Unterschiede. Je nach Radstand ist der Unterboden zum Beispiel unterschiedlich groß. Gleichzeitig hat die Bodenfreiheit einen großen Einfluss auf die Funktionsweise des Unterbodens.
Genau diese Abhängigkeiten nutzen die Teams: Es geht nicht nur um die Bodenfreiheit, sondern auch um die Entwicklung der Bodenfreiheit über die Fahrzeuglängsachse. Alle Teams fahren vorne mit weniger Bodenfreiheit als hinten. Dadurch ist das ganze Auto leicht angestellt, sprich vorne tief, hinten hoch.
Die Ausprägung ist aber sehr unterschiedlich: Während Red Bull einen sehr großen Anstellwinkel - also vorne sehr tief und hinten sehr hoch - fährt, setzen Mercedes und Aston Martin auf einen kleinen Anstellwinkel. Und genau da soll laut Szafnauer nun das große Problem liegen.
Vettel-Rennstall: Keine Verschwörungstheoretiker, aber…
Im Übergangsjahr 2021 gab es nur wenige Regeländerungen. Im Technischen Reglement sind hier vor allem kleinere Anpassungen an der Aerodynamik zu nennen. Die gab es nur, um die Belastung auf die Reifen zu reduzieren. 2020 wurden die Reifen der Vorsaison eingesetzt und waren mit den Kräften der neuen Autos schon am Limit. Der Weiterentwicklung der Autos 2021 könne der Reifen nicht mehr standhalten, so Pirelli. Einen neuen Reifen wollten die Italiener für die Übergangssaison nicht entwickeln, weil 2022 der Wechsel auf 18-Zoll-Reifen bevorsteht.
Um den Abtrieb zu beschneiden, wurde ein Dreieck des Unterbodens vor den Hinterreifen herausgeschnitten. Dabei handelt es sich um einen aerodynamisch besonders kniffligen Bereich, weil hier die Hinterräder für große Turbulenzen sorgen. In einem zweiten Schritt wurden noch Schlitze am Rand des Unterbodens verboten, die hinteren Bremsbelüftungen beschnitten und die Leitbleche im Diffusor leicht eingeschränkt.
"Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber es wurde von uns allen, die einen kleinen Anstellwinkel fahren klargestellt, dass die Änderungen einen größeren Effekt auf uns haben würden", klagt Szafnauer. "Und wir hatten recht. Als die Regeln gemacht wurden, wurde das herausgestellt. Aber direkt als die Änderungen beschlossen wurden, hat Pirelli verkündet, dass sie auch noch eine neue Reifenkonstruktion bringen."
Was Szafnauer andeuten will, ist klar: Die Reifen waren nur ein Vorwand, um die Regeländerungen durchzubringen. "Es gab nie eine Abstimmung", schimpft Szafnauer. "Es gab nur eine Probeabstimmung beim Meeting der Technischen Direktoren. Da haben drei Teams dagegen gestimmt. Zwei davon fahren einen niedrigen Anstellwinkel. Es gab keine Einstimmigkeit!"
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Regeländerungen wurden in zwei Schritten beschlossen. Zunächst sollte nur das Dreieck aus dem Unterboden geschnitten werden. Diesen Schritt haben alle Teams einstimmig unterstützt.
Drei Teams gegen zusätzliche Regeländerungen
Erst bei der zweiten Welle gab es Widerstand. Zu diesem Zeitpunkt hätte es aber mindestens acht aus zehn Teams benötigt, um die Regeländerungen durchzusetzen. Also zog die FIA einen Joker: Aus Sicherheitsgründen darf der Automobilweltverband Regeländerungen einfach durchsetzen. Kurz nachdem die zweite Welle der Änderungen beschlossen war, verkündete Pirelli, doch neue Reifen zu entwickeln. Das 2021er Produkt baut auf einer neuen Konstruktion auf, die widerstandsfähiger ist.
Das führte die Aerodynamik-Restriktionen ein wenig ad absurdum. Doch die Änderungen blieben. Zum Leidwesen von Aston Martin. "Andere Teams scheinen das komplette Defizit aufgeholt zu haben, wir nicht. Das ist nur aufgrund der unterschiedlichen Aero-Philosophien so", schimpft der Teamchef.
Für Szafnauer war die Qualifying-Performance der ultimative Beweis. Mercedes und Aston Martin verloren im Vergleich zum Vorjahr über zwei Sekunden. Nur Haas verlor noch mehr Zeit. Allerdings hat der Rennstall von Günther Steiner kein Geld in die Entwicklung des neuen Autos gesteckt und blickt bereits voll auf 2022.
Man kann die Qualifying-Unterschied aber auch anders deuten: Die drei Mercedes-Teams des Vorjahres haben zum Beispiel überproportional viel verloren. Der deutliche Klassenprimus des Vorjahres konnte mit der Power Unit offenbar keinen großen Schritt mehr machen und hat auch noch Probleme mit dem De-Rating. Man kann die Daten auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren.
Außerdem sitzen auch andere Piloten im Cockpit. Im Bahrain-Qualifying 2020 fuhr Sergio Perez deutlich schneller als Lance Stroll. Vergleicht man nur die Stroll-Zeiten, fehlen bei Aston Martin plötzlich auch weniger als zwei Sekunden.
Mercedes-Aufhängung erlaubt nur wenig Bodenfreiheit
Der neue Rennstall von Sebastian Vettel ist sich dennoch sicher: Es kann nur am Anstellwinkel liegen. Aber wieso zieht Aston Martin dann nicht einfach nach und schraubt die Hinterachse des AMR21 etwas höher?
Der Anstellwinkel ist aerodynamisch eine komplexe Größe. Er hat Einfluss auf die Funktionsweise des Frontflügels, weil er bei starkem Anstellwinkel tiefer sitzt. Er hat aber vor allem einen Einfluss auf die Funktionsweise des Diffusors. Die Dimensionen des Diffusors sind vom Reglement vorgegeben.
Mit einem großen Anstellwinkel kann man den Diffusor fast künstlich vergrößern. Indem die Bodenfreiheit hinten groß ist, wird auch der Winkel des Diffusors in Relation zur Fahrbahn größer. Gleichzeitig steigt das Volumen, das er zur Fahrbahn aufspannt.
All das muss schon allein aus aerodynamischen Gründen perfekt aufeinander abgestimmt sein. Dazu kommt die mechanische Komponente: Die Hinterradaufhängung, die Aston Martin von Mercedes bezieht, kann man nicht einfach fünf Zentimeter höher einstellen. So viel Spielraum gibt es schlicht nicht bei den Einstellungsmöglichkeiten - unabhängig davon, dass Aerodynamik und mechanisches Setup nicht mehr passen würden.
2021 keine neue Hinterachse möglich
Und mit einer neuen Hinterachse ist es 2021 nicht so einfach. "In meinen 24 Jahren in der Formel 1 ist es zum ersten Mal überhaupt so, dass wir die Radaufhängung wegen der Covid-Regeln homologieren mussten. Man darf sie nur ändern, wenn man Token einsetzt. Selbst wenn wir jetzt 150 Millimeter Bodenfreiheit fahren wollen würden, könnten wir das nicht tun", ärgert sich Szafnauer.
Ob der Rennstall aber tatsächlich so große Änderungen für das Übergangsjahr vornehmen würde, ist fraglich. Der Fokus liegt wie bei allen Teams bereits auf 2022. Außerdem ist Aston Martin ohnehin von Mercedes abhängig.
Das wiederum macht dem Rennstall auch Mut - schließlich hat Lewis Hamilton im Mercedes den GP gewonnen. "Wir müssen sehen, welche Rundenzeiten Mercedes fahren kann, wir haben den denselben Motor, dasselbe Getriebe und dieselbe Hinterradaufhängung. Wenn sie diese Rundenzeiten fahren können, sollten wir da nahe rankommen können", so Szafnauer.
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