Mercedes hatte die Formel 1 am Freitag in Monza einmal mehr fester im Griff als ein Schwitzkasten. Doch der Auftakt ins Wochenende des Grand Prix von Italien 2020 hatte zum Glück noch etwas mehr zu bieten als nur die erdrückenden Rundenzeiten der Weltmeister. Die Qualifying-Simulationen waren nach dem Verbot des Power-Mode und mit den in Monza schon im Training ausufernden Windschattenspielen fast schon ein Spektakel. Longruns, Topspeeds und Track-Limits lieferten jede Menge Daten für die Analyse.
An der Spitze der Zeitenliste stand nach den ersten beiden Trainings natürlich einmal mehr Lewis Hamilton. Der Mercedes-Pilot umrundete das 5,793 lange Autodromo Nazionale di Monza auf dem Soft-Reifen in 1:20.192 Minuten. Damit war er nur eine knappe Sekunde langsamer als Charles Leclercs Pole Position aus dem Vorjahr, was für einen Freitag ein beachtlicher Wert ist. Valtteri Bottas büßte weitere zweieinhalb Zehntelsekunden ein.
Dem Rest der Welt, angeführt von McLaren-Pilot Lando Norris, fehlte fast eine Sekunde auf Hamilton. "Die Performance und Rundenzeit in Relation zu den anderen war zu diesem Zeitpunkt schon etwas überraschend", wundert sich Bottas. Tatsächlich gibt es aber noch einen Verfolger, der etwas näher dran ist, wäre ihm seine schnellste Runde nicht aberkannt worden. Daniel Ricciardos schnellste Runde war eine 1:20.905. Damit war er fast zwei Zehntel schneller als Norris.
Fahrer loten Track Limits in Parabolica großzügig aus
Die berüchtigte Parabolica wurde ihm um Verhängnis. Die unter Stewards, Fahrern und Ingenieuren der Einfachheit halber als Kurve elf bekannte Passage wurde für 2020 mit Zeitschleifen ausgestattet, die eine Überschreitung der Track-Limits melden sobald ein Auto mit allen vier Rädern über die weiße Streckenbegrenzungslinie hinausfährt. Vergangenes Jahr sollte noch ein aggressiver Kerb für Ordnung sorgen, doch nach einem schweren Unfall in der Formel 3 ist diese Maßnahme Geschichte.
Folglich bügelten am Freitag einige Fahrer fröhlich über die asphaltierte Auslaufzone, um zu schauen wann es den Klaps auf die Finger gibt. "Wir haben alle versucht die Track-Limits herauszufinden und wenn es in Turn 11 mal eng wird, ist es besser einfach rauslaufen zu lassen, weil das im Training sowieso egal ist. Deshalb wurden einigen von uns die Zeiten gestrichen", erklärt Red Bulls Max Verstappen.
Dem Niederländer wurden zwei Rundenzeiten aberkannt, die ihn im Ergebnis aber ohnehin nicht weiter nach vorne gebracht hätten. Ricciardo hingegen glaubt nicht, dass er auf seiner Runde großartig profitiert hat. "Wir wissen: Wenn wir morgen auf der Strecke bleiben, können wir diese Rundenzeit halten, und das sollte uns weiter oben im Klassement platzieren", so der Australier.
Neben ihm büßten außerdem Romain Grosjean und Alexander Albon für den Ungehorsam. Letzter wäre mit seiner Runde auf P10 gewesen. Grosjean hätte mit seiner gestrichenen Rundenzeit immerhin Sebastian Vettel von der elften Position verdrängt. In Anbetracht der gefürchteten Klatsche auf dem Highspeed-Kurs zogen sich sowohl Werksteam als auch Kunden zumindest achtbar aus der Affäre.
Formel 1, Monza-Training: Ungültige Rundenzeiten wegen Parabolica-Track-Limits
Fahrer | Rundenzeiten |
---|---|
Charles Leclerc | 1:22.011 |
Romain Grosjean | 1:21.729, 1:25.601 |
Daniel Ricciardo | 1:20.905 |
Sebastian Vettel | 1:22.518 |
Alexander Albon | 1:21.531, 1:25.835 |
Kevin Magnussen | 1:23.042 |
George Russell | 1:28.798 |
Carlos Sainz | 1:25.202, 1:24.379 |
Max Verstappen | 1:24.837, 1:24.452 |
Lando Norris | 1:21.532 |
Party-Mode-Verbot und Windschatten-Orgie im Training
Die Positionen neun und zwölf von Charles Leclerc und Sebastian Vettel sind zwar nicht Ferraris Anspruch, doch auf der einen schnellen Runde hatten die Italiener beim Heimspiel Schlimmeres befürchtet. Das ist zwar nicht in Form der Rundenzeiten eingetreten, bei den Topspeeds sind die Werte der Scuderia allerdings wie prognostiziert alarmierend, vor allem was die Aussichten für die Windschattenschlachten im Rennen angeht.
In der Speed-Trap am Ende der Start- und Zielgeraden schnitt Vettel mit 333,4 km/h am schlechtesten ab. Leclerc war als 18. in der Wertung kaum schneller. "Das haben wir erwartet", sagt Vettel über die schwachen Werte in der Höchstgeschwindigkeit. Renault, Honda und Mercedes war mit jeweils einem Motor in den Top-3 gut und breit aufgestellt. Den Bestwert der Power Units aus Maranello lieferte Kimi Räikkönen mit 343 km/h.
Was die Topspeed-Werte in jedem Fall relativiert, sind die in Monza üblichen Windschattenspiele, die diesmal schon am Freitag eröffnet wurden. Zur Halbzeit des FP2 begann mit den Qualifying-Runs die Rush-Hour vor der Parabolica. "Es war sehr kompliziert mit Verkehr und Windschatten, also haben wir darüber ein bisschen was vor dem Qualifying gelernt", erklärt Renault-Pilot Esteban Ocon.
Zu den gewonnen Erkenntnissen zählte auch, dass das Bummeln vor der Hotlap manchmal nicht der geschickteste Ansatz ist. Kalte Bremsen und kalte Reifen machen sich beim Anbremsen der ersten Schikane aus weit über 300 km/h nicht sonderlich gut, wie zum Beispiel Pierre Gasly bei seinem ersten Run herausfand. "Das Verlangsamen nach der Ascari-Schikane kostet ungefähr 20 Grad Celsius", schätzt Pirelli-Manager Mario Isola.
Hamilton befürchtet für den Showdown im Qualifying einmal mehr das Schlimmste: "Das war hier immer schwierig und letztes Jahr bin ich die letzte Runde ja nicht einmal gefahren. Ich glaube, dass es in der letzten Kurve ein Albtraum wird. Da will jeder einen Gap. Es wird harte Arbeit."
Formel 1, Monza: Topspeeds im 2. Freien Training
Fahrer | Team | Motor | Topspeed in km/h |
---|---|---|---|
Carlos Sainz | McLaren | Renault | 352.4 |
Pierre Gasly | AlphaTauri | Honda | 348.8 |
Sergio Perez | Racing Point | Mercedes | 348 |
Daniil Kvyat | AlphaTauri | Honda | 346.3 |
George Russell | Williams | Mercedes | 343.5 |
Kimi Räikkönen | Alfa Romeo | Ferrari | 343 |
Antonio Giovinazzi | Alfa Romeo | Ferrari | 342.6 |
Daniel Ricciardo | Renault | Renault | 342.5 |
Lance Stroll | Racing Point | Mercedes | 341 |
Alexander Albon | Red Bull | Honda | 340.4 |
Kevin Magnussen | Haas | Ferrari | 339.7 |
Lando Norris | McLaren | Renault | 339.5 |
Valtteri Bottas | Mercedes | Mercedes | 338.7 |
Esteban Ocon | Renault | Renault | 338.6 |
Lewis Hamilton | Mercedes | Mercedes | 338.4 |
Romain Grosjean | Haas | Ferrari | 338.3 |
Nicholas Latifi | Williams | Mercedes | 337.9 |
Charles Leclerc | Ferrari | Ferrari | 336.6 |
Max Verstappen | Red Bull | Honda | 334.4 |
Sebastian Vettel | Ferrari | Ferrari | 333.4 |
Harte Arbeitet wartet am Samstag auch auf Ferrari, um nicht wieder ans Ende des Mittelfeldes zurückzufallen. Im zweiten Training hatten beide Fahrer enorme Probleme mit der Balance. Vettel drehte sich beim Herausbeschleunigen aus der ersten Lesmo-Kurve. Leclerc erlebte den gleichen Schreckmoment, konnte seinen SF1000 jedoch abfangen und mähte kurz den Rasen.
"Wir wollen ein Auto haben, das man besser fahren kann. Uns fehlt es am Kurveneingang an Grip, so ziemlich auf allen vier Rädern. Das Auto rutscht jede Menge", sagt Vettel. Etwas, das auch durch die für Monza massiv angehobenen Reifendrücke begünstigt wird. Gegenüber dem Vorjahr legte Pirelli auf der Vorderachse 2,5 psi drauf. Damit steht der Startdruck an der Vorderachse bei 26 psi, hinten sind es 21,5 psi.
"Die Vorschriften sind dieses Jahr höher, weil wir das anhand der Simulationen der Teams festgelegt haben", erklärt Isola. "Seit Beginn des Jahres zeigen die Simulationen, dass die Energie auf der Vorderachse auf allen Rennstrecken höher ist, aber in Monza ist die Differenz besonders hoch. Deshalb haben wir mit dem Reifendruck darauf reagiert. Ich war von den Daten auch überrascht, denn so große Sprünge wie hier hatten wir noch nie von einem Jahr auf das andere."
Vettel klagt über Ballon-Reifen von Pirelli
"Das sind Ballon-Drücke", moniert Vettel. "Das ist weit davon entfernt, wo die Reifen sein wollen. Aber wir müssen uns an die Regeln halten." Angesichts der Deltas zwischen drei Reifenmischungen wird sich am Sonntag im Q2 wohl nur Mercedes den Luxus leisten können, sich auf dem Medium-Reifen für das Q3 zu qualifizieren und diesen Compound damit für den Start festzulegen.
"Die Performance der Reifen war genau wie erwartet. Zwischen Hard und Soft liegt eine Sekunde. Es sind sechs Zehntel zwischen Soft und Medium sowie vier Zehntel zwischen Medium und Hard", so Isola. Während Mercedes eine Sekunde vor dem Rest des Feldes liegt, geht es dahinter enger zu. Zwischen Norris auf P3 und Räikkönen auf P17 liegt nur eine Sekunde. Das Risiko im Q2 einen härteren Reifen zu fahren, kann sich angesichts dessen kaum jemand leisten.
Red Bull von Soft-Longruns alarmiert
Sollten die Mercedes-Piloten doch auf dem weichen Reifen ins Rennen gehen, dürften sie auch mit der herkömmlichen Strategie vorne fein raus sein. Bei den Longruns auf der weichen Mischung ändert sich zwar der Name des ersten Verfolgers, jedoch nicht der Rückstand. Statt Norris liegt Verstappen im Renntrimm eine Sekunde hinter Hamilton.
"Der Soft-Reifen ist eine Katastrophe an unserem Auto", erkennt Dr. Helmut Marko die dramatische Lage um Red Bulls eigentliche Stärke, die Rennpace, sofort. "Es ist ein Rätsel. Wir müssen am Setup arbeiten, damit wir alles aus den weichen Reifen herausholen. Wir werden jetzt im Simulator richtig Gas geben", kündigt er an.
Anstatt nach vorne, müssen die Österreicher einmal mehr nach hinten kommen - denn dort droht erneut der Honey Badger. "Wenn wir uns zu weit hinten qualifizieren, wird es gefährlich", so Marko mit Blick auf Renault. Die Franzosen haben den Aufwind aus Spa-Francorchamps nach Monza mitgenommen, das Low-Drag-Konzept des R.S.20 spielt seine Stärken im Tempel der Geschwindigkeit erneut aus.
Im Verfolgerfeld ebenfalls voll bei der Musik ist AlphaTauri. Gasly ist im Longrun in Schlagdistanz zu Renault. Leclerc hält auf dem Soft-Reifen auch bei der Rennpace für die Lokalmatadoren den Anschluss. Vettel hingegen fehlt im Mittelwert eine halbe Sekunde auf den Teamkollegen. Ihm graut es schon vor dem nächsten Sonntagnachmittag im Verkehr: "Es wird ein kniffliges Rennen. Wir werden im Pulk stecken und gegen andere Autos kämpfen. Das ist nicht wie in sauberer Luft zu fahren und ein gutes Auto zu haben."
Formel 1, Monza-Training: Longruns auf Soft-Reifen
Fahrer | Ø Rundenzeit | Rückstand | Reifenalter in Runden |
---|---|---|---|
Lewis Hamilton | 1:24.000 | 15 | |
Valtteri Bottas | 1:24.619 | + 0.619 | 14 |
Max Verstappen | 1:24.912 | + 0.912 | 14 |
Daniel Ricciardo | 1:25.296 | + 1.296 | 17 |
Esteban Ocon | 1:25.409 | + 1.409 | 15 |
Pierre Gasly | 1:25.547 | + 1.547 | 17 |
Carlos Sainz | 1:25.559 | + 1.559 | 17 |
Charles Leclerc | 1:25.576 | + 1.576 | 12 |
Daniil Kvyat | 1:25.617 | + 1.617 | 15 |
Sergio Perez | 1:25.789 | + 1.789 | 13 |
Romain Grosjean | 1:25.859 | + 1.859 | 17 |
Alexander Albon | 1:25.935 | + 1.935 | 15 |
Lance Stroll | 1:26.005 | + 2.005 | 15 |
George Russell | 1:26.021 | + 2.021 | 13 |
Sebastian Vettel | 1:26.064 | + 2.064 | 13 |
Antonio Giovinazzi | 1:26.134 | + 2.134 | 11 |
Kimi Räikkönen | 1:26.618 | + 2.618 | 13 |
Kevin Magnussen | 1:26.713 | + 2.713 | 23 |
Wenig überraschend gibt Mercedes auch auf dem Medium-Reifen den Ton an. Hamilton knüpft Ricciardo im Renntrimm knapp eine halbe Sekunde ab. Der Abstand ist zwar geringer als beim Soft-Compound, doch die Wahrscheinlichkeit, dass Renault eine Medium-Strategie im Qualifying umsetzen kann, scheint gering.
Wenn Mercedes dies als einziges Team gelingt, sieht es für den Rest noch düsterer aus. In diesem Fall wären Hamilton und Bottas im ersten Stint mühelos über eine Sekunde schneller als die Verfolger. Im Mittelfeld klaffen anders als beim Soft allerdings auch größere Lücken. Ferrari steht auf dem Reifen besonders schlecht da. Leclerc fehlen zwei Sekunden auf Hamilton. Williams-Pilot George Russell liegt gerade einmal zwei Zehntel hinter ihm.
Formel 1, Monza-Training: Longruns auf Medium-Reifen
Fahrer | Ø Rundenzeit | Rückstand | Reifenalter in Runden |
---|---|---|---|
Lewis Hamilton | 1:23.915 | 17 | |
Daniel Ricciardo | 1:24.356 | + 0.441 | 12 |
Esteban Ocon | 1:24.912 | + 0.997 | 17 |
Sergio Perez | 1:25.228 | + 1.313 | 18 |
Lance Stroll | 1:25.534 | + 1.619 | 17 |
Kimi Räikkönen | 1:25.843 | + 1.928 | 17 |
Charles Leclerc | 1:25.969 | + 2.054 | 20 |
George Russell | 1:26.193 | + 2.278 | 21 |
Außergewöhnlich hoher Beliebtheit erfreute sich am Freitag der Hard-Compound von Pirelli. Acht der zehn Teams schickten ihre Fahrer auf den Longrun mit der härtesten Reifenmischung. Lediglich Renault und Racing Point enthielten sich. "Wir haben heute auf allen Mischungen Longruns gesehen, was vermuten lässt, dass der harte Reifen in diesem Einstopp-Rennen eine Rolle spielen könnte", sagt Isola.
Der Vorsprung von Mercedes ist auch auf diesem Reifen für die WM-Leader mehr als beruhigend. Einmal mehr beunruhigt sein muss Ferrari. Vettel steht ähnlich schlecht wie Leclerc auf dem Medium da. Über zwei Sekunden Rückstand auf Bottas, dazu hinter Romain Grosjean. Der Scuderia steht in Monza das zweite Rennen im Ferrari-Cup gegen die eigenen Kunden Haas und Alfa Romeo bevor.
Formel 1, Monza-Training: Longruns auf Hard-Reifen
Fahrer | Ø Rundenzeit | Rückstand | Reifenalter in Runden |
---|---|---|---|
Valtteri Bottas | 1:23.864 | 14 | |
Max Verstappen | 1:24.589 | + 0.725 | 17 |
Carlos Sainz | 1:24.754 | + 0.890 | 12 |
Daniil Kvyat | 1:25.268 | + 1.404 | 20 |
Alexander Albon | 1:25.479 | + 1.615 | 21 |
Romain Grosjean | 1:25.727 | + 1.863 | 17 |
Sebastian Vettel | 1:25.977 | + 2.113 | 15 |
Nicholas Latifi | 1:26.406 | + 2.542 | 25 |
Antonio Giovinazzi | 1:26.579 | + 2.715 | 21 |
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