Bevor der erste Kommentar unter diesem Artikel erscheint: Ja, es sind 'nur' Testfahrten. Ja, die Zeiten sagen wenig. Trotzdem ist jeder heiß auf die ersten Daten des Formel-1-Jahres 2020. Dazu zitieren wir auch gerne aus der Mercedes-Pressemitteilung des dritten Testtages.

"Die Analyse der Testzeiten wird alles andere als bedeutungslos angesehen", heißt es darin. Bei den Teams laufen die Strategen während der Testfahrten zur Höchstform auf. Über die Jahre haben sich die klugen Köpfe diverse Methoden angeeignet, um sich schon vor dem ersten echten Kräftemessen ein genaueres Bild machen zu können.

"Mit diesen ist es mit überraschender Präzision möglich, herauszufinden, was hinter den Bestzeiten während der Wintertestfahrten steckt", schreibt Mercedes. Nun können wir es in Sachen Intelligenz weder mit den klugen Köpfen der Teams aufnehmen, noch verfügen wir über die GPS-Daten oder eine Heerschar an Beobachtern, die alle Runden peinlichst genau auseinandernehmen.

Formel 1 2020, 3. Testtag: Roter Alarm bei Ferrari (09:22 Min.)

Aber ein paar Basisdaten gibt es doch. Wir wollen keine große Interpretation liefern, eine Rangliste gibt es nicht. Spätestens das vergangene Jahr hat gezeigt, dass man damit sehr falsch liegen kann. Aber wir wollen Daten und Interpretationsansätze liefern.

Blicken wir zunächst auf die Zuverlässigkeit. Die Wertung ist in diesem Winter besonders wichtig. Die Testfahrten wurden von zweimal vier auf zweimal drei Tage beschränkt. Zuverlässigkeit ist deshalb wichtig, um das komprimierte Programm überhaupt absolvieren zu können. Auf der anderen Seite müssen Komponenten an ihre Laufleistungsgrenze gebracht werden. Wer viel steht, schafft das bei den kurzen Tests nicht.

Klassenprimus der ersten Testwoche ist wenig überraschend Mercedes. Obwohl der zweite Testtag aufgrund eines elektrischen Problems vorzeitig beendet werden musste, kommen die Silberpfeile auf insgesamt 494 Runden.

Ein beeindruckender Wert, bedenkt man, dass Mercedes das Auto über den Winter radikal umgebaut hat. Anlaufschwierigkeiten gab es nicht. Fast siebeneinhalb Renndistanzen an drei Tagen sprechen für sich. Aber auch Red Bull kann sich mit 471 Umläufen sehen lassen.

Ist es Zufall, dass zwei der Topteams auch bei der Zuverlässigkeit vorne liegen? Nein. Mercedes und Red Bull verfügen über die beste Infrastruktur. Bevor das Auto erstmals in Barcelona fuhr, absolvierten die Systeme schon unzählige Stunden auf den Prüfständen. Auf Rollenprüfständen kann das gesamte Auto ohne Aero-Teile auf Herz und Nieren getestet werden.

Für Ferrari lief der Test enttäuschend. Vor allem am letzten Testtag hatten die Italiener Zuverlässigkeitsprobleme. Sebastian Vettel ereilte ein Motorschaden. Was genau kaputt ging, muss noch in Maranello geklärt werden. Aber die Antriebseinheit war noch ein ganzes Stück von der angestammten Laufleistung entfernt.

Auch Mercedes war auf Motorenseite nicht fehlerfrei. Williams-Pilot Nicholas Latifi verbrachte am Freitag viel Zeit in der Box, weil die Ingenieure Probleme ausmachen konnten. Honda wechselte bei Red Bull die Power Unit einmal vorsorglich, gab aber schnell Entwarnung. Der Motor war am nächsten Tag wieder im Einsatz. Nur von Renault gab es keinerlei Beschwerden.

Geschwindigkeitsmesswerte sind bei den Testfahrten Mangelware. Zwar findet der Test erstmals unter der Regie des kommerziellen Rechteinhabers statt, der für das gesamte Timing-System zuständig ist, offizielle Listen werden aber nicht veröffentlicht. Die Werte werden aber gemessen, im Timing und auf den TV-Bildern tauchen sie auf.

Allerdings sagen sie wenig aus. DRS und Windschattenfahrten verfälschen das Ergebnis. Relevant werden diese Daten erst, wenn alle Teams Rennsimulationen abspulen. Dann lassen sich Mittelwerte ermitteln, deren Fehler deutlich kleiner ist.

FahrerTeamMotorkm/h
GrosjeanHaasFerrari331,0
SainzMcLarenRenault329,5
VettelFerrariFerrari329,0
HamiltonMercedesMercedes328,1
VerstappenRed BullHonda327,3
BottasMercedesMercedes324,3
RaikkonenAlfaFerrari323,9
AlbonRed BullHonda320,8
StrollRacing PointMercedes320,8
LatifiWilliamsMercedes320,2
RicciardoRenaultRenault319,6
PerezRacing PointMercedes317,9
KubicaAlfaFerrari317,8
MagnussenHaasFerrari317,5
GiovinazziAlfaFerrari317,0
KvyatAlpha TauriHonda317,0
OconRenaultRenault316,6
NorrisMcLarenRenault315,5
GaslyAlpha TauriHonda315,4
RussellWilliamsMercedes314,5
LeclercFerrariFerrari307,1

Deshalb wollen wir in die Topspeed-Liste nicht viel hineininterpretieren - nur dass Ferrari lange Zeit erstaunlich langsam war. Erst am letzten Tag schob sich Vettel beim Bestwert nach oben. Beim Mittelwert der drei einzelnen Tageswertungen liegt Ferrari aber auf dem letzten Platz.

Bereits eine Auswirkung der neuen Aerodynamik? Teamchef Mattia Binotto versprach mehr Abtrieb, aber auch mehr Luftwiderstand. Er selbst wollte die Messwerte nicht interpretieren. Dafür aber Mercedes. Die klugen Köpfe haben die GPS-Daten analysiert und fragen sich: "Warum hat Ferrari bei diesem Test seine Power Unit konstant auf einem niedrigeren Level betrieben als bei seinen Partnerteams?"

Springen wir von der einen fragwürdigen Tabelle zur nächsten: Rundenzeiten! Die Mercedes-Ingenieure widersprechen: "Die Rundenzeiten sind nicht bedeutungslos, sie sind eine Goldmine." Sie fügen aber noch an: "Wenn man bereit ist, sich vorsichtig und sorgfältig vorzuarbeiten, bis sich langsam ein klares Bild ergibt..."

Wie eingangs erwähnt: Gegen die Analysen der Teams sind wir machtlos. Wir wissen nur, mit welchen Reifen gefahren wurde und wie viele Runden der Stint hatte. Doch schon bei den Reifen beginnt das Rätselraten. Wir müssen uns auf die Deltazeiten von Pirelli verlassen.

Formel 1, Barcelona Testfahrten 2020 - Reifendelta

  • C1 - C2: Unbekannt
  • C2 - C3: 0,3 bis 0,4 Sekunden
  • C3 - C4: rund 0,5 Sekunden
  • C4 - C5: rund 0,6 Sekunden

Leider wird im Ergebnis nicht jede Runde mit der entsprechenden Mischung erfasst. Entsprechend müssen wir uns auf die Mittags- und Tagesbestzeiten stützen, die wir von Pirelli bekommen. Dabei ergibt sich folgendes Ergebnis:

FahrerTeamZeitReifenKorrigiert
Lewis Hamilton Mercedes1:16,976C2 1:16,676
Valtteri Bottas Mercedes1:15,732C5 1:16,832
Max Verstappen Red Bull1:17,636C2 1:17,336
Sergio Perez Racing Point1:17,347C3 1:17,347
Daniel Ricciardo Renault1:17,873C2 1:17,573
Esteban Ocon Renault1:17,102C4 1:17,602
Alexander Albon Red Bull1:17,912C2 1:17,612
Daniil Kvyat Alpha Tauri1:17,698C3 1:17,698
Carlos Sainz McLaren1:18,001C2 1:17,701
Pierre Gasly Alpha Tauri1:18,121C2 1:17,821
Lance Stroll Racing Point1:17,338C4 1:17,838
Antonio Giovinazzi Alfa Romeo1:18,035C3 1:18,035
George Russell Williams1:18,168C3 1:18,168
Kimi Raikkonen Alfa Romeo1:17,091C5 1:18,191
Lando Norris McLaren1:18,537C2 1:18,237
Charles Leclerc Ferrari1:18,289C3 1:18,289
Romain Grosjean Haas1:18,380C3 1:18,380
Nicholas Latifi Williams1:18,382C3 1:18,382
Sebastian Vettel Ferrari1:18,384C3 1:18,384
Robert Kubica Alfa Romeo1:18,386C3 1:18,386
Kevin Magnussen Haas1:18,466C3 1:18,466

Die schlechte Nachricht: Hamiltons Zeit war noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Der Brite fuhr in seinem Stint abzüglich Out- und Inlap sechs Runden. Und Hamilton fuhr die Zeit schon am ersten Tag. Verstappen hingegen fuhr lediglich eine Runde. Bei Vettel dauerte der Stint sieben Runden.

Allerdings fokussierte sich Ferrari noch nicht darauf, den Sweetspot zu finden. Bei der Scuderia stand im Fokus, die neuen Freiheiten des Setups auszuloten. Die Ingenieure wollten sehen, wie das Auto auf extreme Änderungen reagiert. Trotzdem ist man sich auch in Maranello bewusst, dass der Test nicht nur bei der Zuverlässigkeit suboptimal läuft.

Wie versprochen: Weitere Schlüsse wollen wir an dieser Stelle nicht ziehen. Die Interpretation der Daten überlassen wir anderen. In Woche zwei sieht die Sache anders aus: Wenn hoffentlich von allen Teams Rennsimulationen vorhanden sind, wird das Bild langsam klarer.