Der Blick auf die Startaufstellung zum Deutschland GP 2019 auf dem Hockenheimring ist ernüchternd. Die Formel 1, die zehntausenden Fans auf den Tribünen hatten sich so sehr nach einer Ferrari-Auferstehung gesehnt, die zum Greifen nahe schien. Doch dann kam es einmal mehr ganz anders.

Statt Sebastian Vettels 57. Pole Position mussten seine Fans dabei zusehen, wie sich Lewis Hamilton seine 86. Pole holte. Der Mercedes-Pilot deklassierte die Konkurrenz, hatte auf dem kurzen Hockenheimring dreieinhalb Zehntelsekunden Vorsprung auf den Zweiten Max Verstappen.

Allerdings hatten sich die stärksten Gegner da schon selbst aus dem Qualifying genommen. Sebastian Vettel konnte nach einem Problem an seinem Ladeluftkühler gar keine gezeitete Runde fahren und geht somit vom letzten Startplatz aus ins Rennen. Bei Teamkollege Charles Leclerc schlug der Defektteufel immerhin erst im Q3 zu. Platz zehn ist aber definitiv nicht das, was sich Ferrari vorgestellt hatte.

Charles Leclerc: Zum Start des Qualifyings noch Favorit, Foto: LAT Images
Charles Leclerc: Zum Start des Qualifyings noch Favorit, Foto: LAT Images

"Wir hätten heute um Pole kämpfen können", sagten Vettel und Leclerc unisono. In der Tat waren die beiden Ferrari in allen Trainingssessions vorne. Ob es im Qualifying-Fight dann für Hamilton gereicht hätte, ist eine andere Frage, aber Ferrari war mit Abstand die größte Gefahr.

Doch was bedeutet das für das Rennen? Wird der Deutschland GP zur Spazierfahrt für Lewis Hamilton? Kann Max Verstappen den fünffachen Formel-1-Weltmeister herausfordern? Welche Rolle spielt Valtteri Bottas? Und wie sieht die mögliche Schadensbegrenzung bei Ferrari aus?

Kühles Hockenheim-Wetter sorgt für Unsicherheiten

Tatsächlich gibt es einige unbekannte Variablen, die den Deutschland GP 2019 zum nächsten modernen Formel-1-Klassiker machen könnten. Die große Hitze vom Freitag wird es im Rennen definitiv nicht mehr geben. Fast 15 Grad soll es am Sonntag kühler sein. Das gefällt Mercedes, denn die Wüsten-Temperaturen hätten die Silberpfeile im Renntrimm vor eine schier unlösbare Aufgabe bei der Kühlung gestellt.

Doch der drastische Temperatursturz bringt auch Würze. Niemand weiß, wie sich die Reifen bei diesen Bedingungen verhalten. Prinzipiell sollte es keine Probleme geben: Die Reifen neigen nicht mehr so stark zum Überhitzen. Dazu prognostiziert Pirelli ohnehin ein klares Einstopp-Rennen.

Und trotzdem: So richtig trauen will dem Braten niemand. Als einziger der Top-3 konnte sich Verstappen nicht auf den Medium-Reifen für das Rennen qualifizieren. Ein kleines Motorproblem sorgte dafür, dass er nur noch einen Versuch im Q2 hatte. Da wollte Red Bull kein Risiko mehr eingehen und schraubte dem Niederländer die roten Kleber drauf.

Verstappen auf Soft: Nachteil für Rennen?

Ein Nachteil? "Es kommt aufs Wetter an", glaubt Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko. "Wenn das morgen so wie die Wettervorhersage ist, dass wesentlich tiefere Temperaturen mit Regenschauern sind, dann kann es ein Vorteil sein. Und hallo, wir wissen ja: Wir haben Pirelli-Reifen. Da kann der gelbe genauso grainen, vielleicht sogar mehr als der rote."

Dazu kommt, dass Red Bull bei der Rennpace traditionell ohnehin deutlich stärker ist. Der Nachteil der Motorleistung wiegt dann nicht mehr so stark. "Im Rennen ist alles möglich", weiß Verstappen. Marko ist gespannt: "Wenn wir direkt hinter ihm [Hamilton] sind, werden wir vielleicht die richtige Pace sehen. Wenn er uns dann auf und davon fährt, dann wissen wir, dass da oft eine gewisse Blufftaktik der Fall ist."

Mercedes: Braucht Hockenheim mehr Glück als sonst?

Bei Mercedes selbst ist man nicht so richtig überzeugt. Die zahlreichen neuen Teile blieben am Auto und sollten einen Performance-Schub bringen. Doch relativ zu Ferrari sah es bis zu den Defekten nicht besonders gut aus. Deshalb kam man am Ende zur Pole Position wie die Jungfrau zum Kind. Valtteri Bottas hat gezeigt, dass der Silberpfeil in Hockenheim keineswegs das überlegene Auto der bisherigen Saison ist.

Bei trockenen Bedingungen lässt sich zwischen Hamilton und Verstappen kein richtiger Favorit ausmachen. Bottas hingegen scheint das ganze Wochenende nicht richtig bei der Musik zu sein. "Ich habe einfach kein konstantes Gefühl in den harten Bremszonen", beklagte der Finne. Auch bei den Longruns am Freitag machte er keinen starken Eindruck.

Hockenheim: Erstes Regenrennen der Formel 1 2019 droht

Doch was passiert, wenn es regnet? Und was passiert mit Ferrari? "Wir sind noch nie im Regen gefahren. Also können wir nicht sagen, wie das Auto sein wird", formuliert Marko vorsichtig. In der Vergangenheit wünschte man sich immer Regen und war dann, sofern dieser gekommen ist, oftmals doch nicht konkurrenzfähig. In der Theorie kommt der Regen Mercedes und Red Bull entgegen, Ferrari eher nicht.

Ein wenig Angriffslust verspürt der Doktor dann aber doch: "Wir wissen nur, dass Verstappen im Regen noch besser ist, als er jetzt schon ist. Also wir fürchten uns nicht davor. Aber wenn es nieselt oder so wäre der rote reifen sicher von Vorteil."

Max Verstappen im Hockenheim-Qualifying, Foto: LAT Images
Max Verstappen im Hockenheim-Qualifying, Foto: LAT Images

Regen spricht eigentlich gegen Ferrari. Der SF90 hat seine Stärken nicht im Abtrieb, sondern in der Effizienz. Auf den Geraden läuft die Rote Göttin. Trotzdem wird in der Ferrari-Garage der Regentanz aufgeführt. "Ich hoffe auf Regen, damit wird es ein bisschen mehr zum Casino, das uns dann hoffentlich hilft", gibt Charles Leclerc zu, der von Platz zehn aus ins Rennen geht.

Ferrari braucht Hilfe zum Hockenheim-Sieg

Der Monegasse kündigt ähnlich wie nach seinem verpatzten Qualifying beim Heimspiel an: "Vertrauen und Pace habe ich, deshalb bin ich für morgen positiv eingestellt und werde im ersten Teil sehr aggressiv so viele Autos überholen wie möglich und dann schauen." In Monaco endete das in einer Kollision.

Aber Hockenheim ist nicht Monaco, hier gibt es durchaus gute Überholmöglichkeiten. Gerade mit dem Topspeed-Vorteil des Ferrari. Schon am Freitag sahen selbst die Longruns bei Ferrari stark aus. Das ist ein gutes Zeichen, weil Ferrari tendenziell im Dauerlauf mehr Probleme hat als auf eine Runde und der Freitag meist besonders schlecht war.

Deshalb ist mit Ferrari im Rennen zu rechnen. Nur von den Startplätzen 10 und 20 nicht aus eigener Kraft. Aber ein Safety-Car oder ein Regenschauer zu rechten Zeit mit einer guten strategischen Entscheidung und Ferrari ist wieder im Rennen.

Ferrari hofft auf eine gegenteilige Wiederholung von 2018: Vor einem Jahr gab es für Lewis Hamilton die große Qualifying-Katastrophe in Hockenheim. Im Rennen fuhr Vettel von Pole aus auf und davon, bis der Regen kam und er den Ferrari in der Sachskurve wegwarf. "Wir starten jetzt als Letzter. Es wäre schön gewesen, als Erster zu starten. Aber im Regen ist immer etwas drinnen. Heute hat nichts mit morgen zu tun", gibt sich Vettel kämpferisch.