Ferraris Neuer Charles Leclerc hat in Bahrain Eindruck hinterlassen. Bei seinem zweiten Rennen mit Ferrari holte er zuerst seine erste Formel-1-Pole und nahm dann Kurs auf seinen ersten Sieg. Ein technisches Problem machte ihm am Ende zwar einen Strich durch die Rechnung, aber das erste Podium ging sich trotzdem aus.

Wichtiger aber: Leclerc war das ganze Wochenende über der schnellere Ferrari-Pilot. Der alteingesessene Sebastian Vettel hatte ihm gegenüber in den Trainings, im Qualifying und im Rennen das Nachsehen. Damit zeigte Leclerc aber nicht nur, dass er um Siege fahren kann. Bahrain war zugleich der Beweis dafür, dass Leclerc das auch darf, nachdem er gleich in den ersten Runden Sebastian Vettel erfolgreich attackierte und überholte.

Die Teamorder-Frage stand schon seit Monaten bei Ferrari im Raum. Es zeichnete sich ab, dass sie das Team um den neuen Teamchef Mattia Binotto herausfordern würde. Nicht nur, weil das Duo Vettel und Leclerc mehr Zündstoff bietet als Vettel und Räikkönen. Auch, weil Binotto diese Seite des Team-Managements noch nicht kennt. Bis jetzt hatte er in seiner Position als Technischer Direktor nur Techniker und Ingenieure kontrollieren müssen. Formel-1-Fahrer sind ein ganz anderes Kaliber.

Binotto über Fahrer-Management: Nicht immer einfach

Nur zwei Rennen nach dem Start in die Formel-1-Saison hat Binotto jetzt jedoch schon reichlich Praxis-Erfahrung im Fahrer-Management sammeln dürfen. Verglichen mit Technikern sei das schon was Anderes, so Binotto: "Das war im Vorjahr keine meiner Aufgaben, und ehrlich gesagt ist es, sagen wir mal, nicht immer ganz einfach. Schließlich sind beide sehr ambitioniert, oder?"

Beide Rennen forderten Binotto diesbezüglich gleich heraus. In Australien gab Ferrari gegen Rennende die Anweisung aus, die Positionen zu halten. In Bahrain dauerte es auch nicht lange, bis die nächste Entscheidung gefragt war. Charles Leclerc holte Pole, Vettel gewann den Start, doch Leclerc war schneller und schloss sofort wieder zum Teamkollegen auf. "Ich bin schneller, Jungs", funkte Leclerc, als er Vettels Ferrari vor sich hatte.

Vettel vs. Leclerc wurde in Bahrain zum ersten Mal ausgetragen, Foto: LAT Images
Vettel vs. Leclerc wurde in Bahrain zum ersten Mal ausgetragen, Foto: LAT Images

"Verstanden, warte zwei Runden", kam ein paar Kurven später die Ansage vom Kommandonstand. Leclerc sparte sich das Warten und zog am Ende der Runde gleich mit DRS an Vettel vorbei. Einen Konter des Teamkollegen auf dem Weg zu Kurve vier blockte er ab, und zog dann davon.

Leclerc selbst meinte nach dem Rennen, er hätte nach seinem Funkspruch keine Sorgen gehabt, dass man ihn zurückpfeifen würde. "Nein, ich ließ es sie nur wissen", wehrte er Anspielungen auf politische Motivationen hinter dem Funkspruch ab. "Dann kam die Antwort, ich solle für zwei Runden warten, aber auf der nächsten Geraden hatte ich eine Gelegenheit, und die habe ich genutzt."

Ferrari mit sanfter Teamorder: Vettel & Leclerc dürfen kämpfen, aber vorsichtig

Also scheint jetzt ziemlich klar: Teamorder bedeutet für Ferrari 2019 nicht, dass Vettel immer vor Leclerc ins Ziel kommt. Das deckt sich mit Binottos Teamorder-Konzept, welches er am Freitagnachmitttag schon den versammelten Journalisten im Paddock von Bahrain noch einmal erklärte.

"Kein Zweifel, Charles darf so schnell fahren wie er kann, er darf um die Pole fahren, er darf vorne bleiben, davon halten wir ihn nicht ab", stellte Binotto da klar. "Es ist aber wichtig, dass unsere zwei Fahrer nicht gegeneinander kämpfen und dabei Risiken eingehen." Darauf basierend wurde die Teamorder von Australien ausgesprochen. Wenige Runden vor Schluss war Ferrari dort einfach nicht bereit, ein ohnehin schon schlechtes Wochenende durch einen Zweikampf potentiell noch schlechter zu machen.

"Ich glaube, das war keine schwere Entscheidung", meinte Binotto in Bahrain dazu. "Ich sage mal, unser Vorgehen wurde den Fahrern gegenüber vor dem Rennen klar gemacht." Andere Teams verfolgen bekanntlich ähnliche Ansätze. Alle Eventualitäten werden vor dem Rennen durchgesprochen.

Ein dezidiertes Zweikampf-Verbot wollte Binotto am Freitag noch nicht in den Mund nehmen. Die Ereignisse der ersten Runden des Bahrain-GPs deuten zumindest an, dass es dann auch keines gab. Nonchalant kommentierte Leclerc nach dem Rennen: "Vor dem Rennen wird man immer daran erinnert, für diesen Fall vorsichtig zu sein. Aber ich hatte die Möglichkeit und habe keine Sekunde gewartet. Ich habe die Chance ergriffen und es hat beim ersten Versuch geklappt."

Funktioniert Binottos neuer Ferrari-Ansatz?

Nach nur zwei Formel-1-Rennen der Saison 2019 ist also klar, dass keiner der beiden Fahrer bei Ferrari 2019 mit einem Spaziergang rechnen darf. Mattia Binotto vertraut dabei weiter auf seinen vergleichsweise simplen Grundsatz: Das Auto muss zuallererst schnell sein, erklärt er schon seit Wochen. Wenn man um den Sieg fahren kann, dann läuft alles andere viel leichter.

Bis jetzt gab es bei Ferrari tatsächlich nicht einmal das geringste Anzeichen eines Zerwürfnisses. Weder die Teamorder von Australien noch die Ereignisse von Bahrain haben Sebastian Vettel und Charles Leclerc erschüttert. Leclerc zeigte nach Australien Verständnis für die Entscheidung, während Vettel Leclerc etwa gleich nach der Fahrt zur Pole am Samstag gratulierte. Auch sonst scheint Binottos neuer Führungsstil die Stimmung bei Ferrari deutlich verbessert zu haben.

Vettel und Leclerc nach dem Qualifying von Bahrain, Foto: LAT Images
Vettel und Leclerc nach dem Qualifying von Bahrain, Foto: LAT Images

Trotzdem ist der Plan mit Vorsicht zu genießen. Schon alleine deshalb, weil der Ferrari SF90 nicht mehr wie der ganz große Wurf erscheint - nach einem Australien zum Vergessen und nach dem technischen Defekt von Bahrain. Und wenn der WM-Kampf dann in die heiße Phase geht, und beide Fahrer daran beteiligt sind, dann steigt die Herausforderung des Fahrer-Managements noch einmal um eine Stufe - oder auch um mehrere.