Wenn die Formel 1 nach Brasilien kommt und die Strecke in Sao Paulo wieder Zehntausende fanatische Fans anlockt, wird schnell klar, dass es sich um kein gewöhnliches Rennen handelt. Fein säuberliche Modernität mit dem klinischen Ambiente einer Zahnarztpraxis findet man in Interlagos nicht. Interlagos steht für "zwischen den Seen" und verweist auf die Lage des Autodromo Jose Carlos Pace mitten im Stadtgebiet des Molochs Sao Paulo. Das ist jedoch nur eine Besonderheit des Kurses.

Historie: Der Ruf eilt Interlagos voraus

Erbaut wurde die Strecke zwischen 1938 und 1940. Ursprünglich sollten auf dem dortigen Gelände Wohnhäuser entstehen, dieses Vorhaben hatte sich nach der Weltwirtschaftskrise 1929 aber erledigt. Die Formel 1 gastierte auf der damals noch fast acht Kilometer langen Strecke erstmals 1972. Damals zählte das Rennen noch nicht zur Weltmeisterschaft, dies war erst ein Jahr später der Fall.

Schon damals hatte Interlagos einen besonderen Ruf. Die Strecke galt als extrem gefährlich, obwohl dort niemals ein Fahrer bei einem Formel-1-Rennen starb. Doch schon in den frühen Jahren zierten extreme Bodenwellen die Strecke, zudem war das Layout gespickt mit vielen schnellen Kurven. Die Streckenlänge trug ihren Teil dazu bei.

Nach jahrelangen Diskussionen und auch Protesten einiger Fahrer verließ die Formel 1 Interlagos nach 1980 und trug den Brasilien GP bis einschließlich 1989 in Rio de Janeiro aus. In Sao Paulo wurde die Strecke währenddessen komplett umgebaut, ohne ihr aber den Charakter zu rauben. Vielmehr konzentrierten sich die Maßnahmen darauf, die Strecke deutlich zu verkürzen, auf dann 4,3 Kilometer Länge. Auch der Asphalt wurde verbessert.

So kehrte die Formel 1 1991 dann auch zurück. Bis heute hat sich das Layout nicht mehr verändert, sieht man von einer Verlegung der Boxengassen-Ausfahrt einmal ab. Markenzeichen ist die Einbettung der Strecke in die Landschaft. Entsprechend gleicht eine Fahrt auf dem Kurs einer echten Berg- und Talbahn. Auch Bodenwellen gehörten weiterhin zum Inventar der Strecke, im Zuge dessen wurde der Kurs 2007 komplett neu asphaltiert. Inzwischen haben die Formel-1-Boliden durch ihren enormen Anpressdruck jedoch bereits wieder für einige Unebenheiten gesorgt.

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Besonderheiten und Streckenverlauf:

Die Strecke zählt im Rennkalender nach wie vor zu der Minderheit jener Strecken, die entgegen dem Uhrzeigersinn gefahren werden. Gleich zu Beginn der Runde wird es dabei historisch. Ins legendäre Senna-S geht es steil bergab, zahlreiche prominente Überholmanöver gab es hier. So setzte Michael Schumacher 2006 dort sein letztes Manöver im Ferrari.

Die Streckengrafik zu Interlagos, Foto: Motorsport-Magazin.com
Die Streckengrafik zu Interlagos, Foto: Motorsport-Magazin.com

Nach der Links-Rechts-Links-Kombination folgt eine kurze Gerade. Dort dürfen die Fahrer das erste Mal das DRS benutzen. Am Ende wartet eine tückische Linkskurve, die zu Fehlern verleitet. Für das folgende Geradeausstück ist es wichtig, die Kurve optimal zu erwischen.

War die Strecke bislang eher flüssig zu durchfahren, wartet nun das Infield. Zwei fast baugleiche Bereiche verlangen höchste Konzentration, die Kurven laden förmlich zu Verbemsern ein. Und diese können den gesamten Rhythmus der Runde zerstören, der vor allem im winkligen Teil gefordert wird.

Hat man die letzte Rechtskurve gut überstanden, geht es in den Schlusssektor. Kurz nach dessen Beginn wartet die letzte echte Kurve, diese aber ist von besonderer Wichtigkeit. Links herum muss vor allem der Kurvenausgang stimmen. Denn es folgt ein Bergauf-Stück, für das jeder Schwung benötigt wird. Mit Vollgas und mit leicht nach links eingeschlagenem Lenkrad geht es über den buckeligen letzten Abschnitt bis hin zur Start- und Zielgerade. Hier befindet sich auch die zweite DRS-Zone.

Streckendaten: Autodromo Jose Carlos Pace

Streckendaten
Länge: 4,309 km
Runden: 71
GP-Distanz: 305,909 km
Rundenrekord: 1:11.473 (MON, 2004)
Kurven: 15
Weg bis Kurve 1: 334,5 m
Länge Boxengasse: 387,1 m
Zeit in Box bei 80 km/h: 17,419 s

Interlagos: Unvergessene Momente

Drama-Finale 2008: Felipe Massa schien bereits durch. Als er beim Brasilien GP 2008 als Erster die Ziellinie überquerte, war er virtuell Weltmeister. Dahinter aber ging Lewis Hamilton im Regen an Timo Glock vorbei, der auf Trockenreifen geblieben war. Hamilton wurde durch dieses Manöver in der letzten Kurve Fünfter und schnappte Massa den Titel noch weg.

Chaos-Rennen 2003: Bereits fünf Jahre vorher gab es ein echtes Kuriosum. Im strömenden Regen und nach heftigen Unfällen wurde das Rennen abgebrochen, doch es bestand Unklarheit über den Sieger. Kimi Räikkönen wurde zunächst als Gewinner geehrt, doch erst einige Tage später wurde klar, dass nicht er, sondern Giancarlo Fisichella den Regeln entsprechend das Rennen gewonnen hatte. Für den Italiener war es der erste Sieg in der Formel 1 - die Ehrung auf dem Podest blieb ihm jedoch verwehrt.

Vettel vs. Senna 2012: Sebastian Vettel erlebte ebenfalls seinen ganz persönlichen Brasilien-Moment. 2012 war er mitten im WM-Kampf gegen Fernando Alonso, als Vettel in Kurve vier von Bruno Senna umgedreht wurde. Vettel erlitt Beschädigungen und fiel auf den letzten Platz zurück. Dennoch kämpfte er sich durch das Feld zurück und beendete das Rennen als Sechster. Das reichte zum Titelgewinn, da Alonso selbst nur Zweiter wurde.

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Ausgewählte Fahrerstimmen zur Strecke:

Nico Hülkenberg (Renault): "Die Strecke hat so viel Historie, betrachtet man nur die Geschichten der Weltmeisterschaften, die dort gewonnen wurden. Man spürt die Geschichte und die Emotionen, die zum Motorsport gehören. Das gefällt mir. Darum komme ich dort auch so gut zurecht. Die Strecke ist kurz und kann recht knifflig sein. Es geht entgegen dem Uhrzeigersinn, es gibt viele Bodenwellen und der Nacken wird extrem beansprucht. Es geht nur um das Selbstvertrauen, besonders im Mittelsektor."

Fernando Alonso (McLaren): "Interlagos gehört zu den großen Klassikern im Kalender, mit einer unglaublichen Geschichte und einer langen Liste berühmter Namen, die hier bereits den Pokal in den Händen hatten. (…) Die Strecke macht großen Spaß. Es ist eine kurze Runde mit einem guten Fluss, die neuen Autos werden es noch schneller anfühlen lassen."

Esteban Ocon (Force India): "Interlagos gehört definitiv zu meinen Lieblingsstrecken im Kalender. Vergangenes Jahr war ich dort zum ersten Mal unterwegs und ich hatte gleich ein starkes Regenrennen. Es ist eine Old-School-Strecke, die wenig Raum lässt für Fehler. Als Fahrer empfindet man für diese Art von Strecke noch einmal mehr Begeisterung."