Besiegt Mercedes im vierten Anlauf seine größte Formel-1-Angststrecke Singapur erstmals richtig? Zwei Siege vermochten die Silberpfeile in der Hybrid-Ära beim Nachtrennen zwar einzufahren, doch waren das angesichts der sonstigen Dominanz der Vorjahre extrem enge Entscheidungen. Nirgendwo sonst lieferte die Konkurrenz Mercedes einen derart großen Kampf: 2015 rang Ferrari die Dominatoren sogar nieder, 2016 siegte Mercedes nur dank einem herausragenden Nico Rosberg.

Lewis Hamilton in Singapur mit starken Soft-Longrun

In der F1-Saison 2017 nun präsentiert sich die Spitze der Formel 1 jedoch insgesamt viel ausgeglichener. Ferrari und Mercedes kämpfen permanent auf Augenhöhe, zuletzt robbte sich auch Red Bull Racing wieder Stück für Stück an die beiden Top-Teams heran. Noch dazu war für Mercedes in Ungarn und Monaco kein Kraut gewachsen gegen Ferrari. Also schien schon klar: Auf dem dritten High-Downforce-Kurs der Saison, dem Marina Bay Street Circuit in Singapur, würde Mercedes nicht gerade als Favorit auflaufen.

Doch der Trainingsfreitag auf dem wohl größten Angstkurs der Silberpfeile vermittelte ein etwas anderes Bild. Lewis Hamilton (P3) und Valtteri Bottas (P4) mischten vorne mit, lagen beide deutlich vor den Ferrari-Piloten Sebastian Vettel (P11) und Kimi Räikkönen. Aber: Red Bull war plötzlich ein gutes Eck schneller. Sieben Zehntel fehlten Mercedes auf die Bestzeit, den neuen Streckenrekord von Daniel Ricciardo.

Mit dem Training zeigt man sich bei Mercedes angesichts der zuvor gedämpften Erwartungen jedoch zufrieden. Zumindest auf einer Seite der Garage. "Wir hatten einen sauberen Tag und konnten beide Trainings ohne Probleme absolvieren", sagt Hamilton. "Das Feld lag heute offensichtlich eng zusammen und wir müssen unser Auto noch etwas verbessern. Red Bull scheint sehr stark zu sein und sie liegen gleichauf mit Ferrari. Es liegt also noch etwas Arbeit vor uns. Aber nichts ist außer Reichweite", ergänzt der WM-Führende. Das hatte sich im Vorfeld noch deutlich skeptischer angehört.

Hauptverantwortlich zeichnet dafür jedoch nicht die Shortrun-Pace. Vielmehr ist es ein überragender Hamilton-Longrun auf dem Soft, der härtesten Pirelli-Mischung in Singapur, der Mercedes Mut macht, in Singapur abliefern zu können. "Lewis zeigte eine ermutigende Pace auf den weichen Reifen", berichtet Technikchef James Allison. Gleichzeitig müsse sich Mercedes auf den Qualifying-Reifen aber noch verbessern, mahnt Allison.

Valtteri Bottas als Mercedes-Sorgenkind in Singapur

Doch auch aus anderem Grund scheint die Angststrecke Singapur noch nicht final besiegt: Valtteri Bottas erlebte trotz P4 im Klassement einen weitaus weniger harmonischen Tag als Teamkollege Hamilton. "Das war ein schwieriger Tag für uns. Ich glaube, uns fehlt es etwas an Pace", hadert der Finne, in Monaco Hamilton noch weit überlegen gewesen. "Wir haben zwischen den beiden Trainings große Änderungen am Setup vorgenommen, fanden aber trotzdem noch nicht ganz die richtige Abstimmung. Es gibt noch viel zu tun, nach dem, was wir heute gelernt haben", berichtet Bottas.

"Ich kämpfte mit dem Grip und der Balance des Fahrzeugs. Das Auto fühlte sich recht nervös an, dann ist es nicht einfach, ihm zu vertrauen, wenn man attackiert. Daran müssen wir am meisten arbeiten, damit ich mehr Vertrauen ins Auto aufbauen kann", schildert der Finne. Eine Problematik, der sich das Team natürlich nicht verschließt. Im WM-Kampf ist nur ein performender Pilot nicht genug, allein auf Hamilton verlassen kann, darf und will sich Mercedes nicht.

"Aus Performance-Sicht war es eine bunte Mischung. Valtteri hatte einen harten Tag und wir müssen gemeinsam mit ihm daran arbeiten, ihn auf die Pace von Lewis zu bringen", bestätigt Allison. Alle müssten gemeinsam an einem Strang ziehen, wolle man den Gegner besiegen. Und er heißt - Stand jetzt - eher Red Bull als Ferrari. Allison: "Das gesamte Team muss sich über Nacht steigern, um auf Augenhöhe mit Red Bull kämpfen zu können."