Vor ein paar Wochen hatte sich Lewis Hamilton noch beklagt, dass Fernando Alonso ja leider in der Spitzengruppe der Formel 1 fehlt. In Silverstone war es dann soweit. Bestzeit für Fernando Alonso in der ersten Runde des Qualifyings! Nicht wenige - die das Zeittraining nicht direkt verfolgt hatten - rieben sich verwundert die Augen. Wie konnte es passieren, dass ein McLaren zum ersten Mal seit dem Indien Grand Prix 2013 eine Zeitenliste anführte?

Letztendlich war es die wunderbare Kombination aus Verzweiflung, Glück und fahrerischem Können. In der verregneten ersten Runde des Qualifyings gelang es Alonso in allerletzter Sekunde, auf seinen frisch aufgezogenen Slick-Reifen noch eine gezeitete Runde zu starten. Damit war er die Konkurrenz auf Intermediates natürlich überlegen.

Glück statt Genialität

Eine strategische Genialität seitens McLaren, den Moment so perfekt abzupassen? Üblicherweise gilt es schließlich als Schlüssel, im Qualifying die letzte Runde so spät wie möglich zu beginnen, um die besten Streckenbedingungen zu haben. Nein, es war kein Genie-Streich der Briten... "Wir hatten Glück", gab Alonso ehrlicherweise zu. "Wir mussten entscheiden, welche Reifen wir in den letzten Minuten fahren. Weil wir sowieso als Letzter starten, war's dann auch egal."

Dank zahlreicher Wechsel von Motor-Komponenten bekommt Alonso am Sonntag knackige 30 Strafplätze aufgebrummt. Das kann nicht einmal der Spanier im Qualifying herausfahren... Da McLaren mit ihm ohnehin nichts zu verlieren hatte, entschied sich das Team für einen letzten Run auf Slick-Reifen - ein Testlauf, sollte es am Rennsonntag ebenfalls regnen.

Kleines Alonso-Spektakel

Aus dem lockeren Test wurde schließlich ein kleines Spektakel. Vor allem für die Fans, die Alonso nach der Bestzeit frenetisch zujubelten. Es muss auch für das Team ein schönes Gefühl gewesen sein beim Heimrennen. Selbst wenn es ein Ergebnis völlig ohne sportlichen Wert war. "Wir sind echt Risiko gegangen", erzählte Alonso. Die Outlap auf den Ultrasofts musste perfekt sitzen, um rechtzeitig die Linie zu überqueren für eine schnelle Runde.

Zunächst hatte es den Anschein gemacht, als ob es Alonso nicht rechtzeitig schaffen würde. Doch dann gelang der kleine Coup in der letzten Zehntelsekunde. "Im ersten Sektor hat mir das Team gesagt, dass es eng wird", so Alonso. "Ganz am Anfang meinten sie, ich hätte vier Sekunden. In der Mitte der Runde war es dann noch eine Sekunde. Um am Ende war es eine Zehntel oder so. Das war schon ziemlich am Limit."

1,4 Sekunden Vorsprung

Auf den Supersofts fuhr Alonso eine 1:30.600 - und war damit 1,4 Sekunden schneller als der Zweitplatzierte Max Verstappen, der seine persönliche Bestzeit auf den Intermediates erzielt hatte. Für die Fans ein Highlight, für Alonso kein Grund zu feiern: "Nein, nein. Ich fahre seit 17 Jahren in der Formel 1 und seit 14 unter den besten Drei. Ich meine... ich bin das gewohnt. Vielleicht nicht gerade jetzt. Aber vordere Plätze kenne ich ja."

Nach dem Husarenritt im Q1 war dann bald wieder Feierabend für Alonso. Für die letzte Runde reichte es nicht, er qualifizierte sich als 13. Stattdessen triumphierte Stoffel Vandoorne erstmals im McLaren-Teamduell und zog ins Q3 ein.

Wollte eh nicht ins Q3

Ein Ziel, das für Alonso laut eigener Aussage ohnehin nicht erstrebenswert war. Dank der Regeln hat er im Rennen die freie Reifenwahl. "Eigentlich wollte ich gar nicht ins Q3", sagte er später. Am Sonntag hat er beim Start nur Daniel Ricciardo hinter sich, der im Qualifying früh wegen eines Motoren-Problems ausgerollt war. Ob Alonsos Einsatz letztendlich mit Punkten belohnt wird?

Der zweifache Weltmeister hatte zumindest ein Rezept parat, wie es mit einer Aufholjagd bis in die Top-10 klappen kann: "Ich brauche wieder Mischbedingungen. Ich brauche 25 Boxenstopps! Wenn ich dann nur 23 mache, komme ich weit nach vorne. Ich brauche ein chaotisches Rennen. Wir können mehr riskieren. Wenn es wieder so ein Wetter wird wie heute, dann sind Punkte jedenfalls drin."

Nicht mal Stoffel Vandoorne gibt die Hoffnung auf, Foto: Sutton
Nicht mal Stoffel Vandoorne gibt die Hoffnung auf, Foto: Sutton

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Dieser Alonso! Kein anderer schafft es, in solch ausweglosen Situationen trotzdem noch die Massen zu unterhalten. Und mal ehrlich: Wer hat nicht ein bisschen gefeiert, als plötzlich wieder das ALO auf P1 zu lesen war? Gute alte Zeit. Der aktuelle WM-Kampf ist ohnehin ein Spektakel. Man stelle sich aber mal vor, dass ein Alonso im starken McLaren mitmischen würde. Alonso bereichert die Formel 1 wie niemand anders. Man kann ihm nur wünschen, dass er zum Ende seiner Karriere auch sportlich noch mal für Schlagzeilen sorgen kann. (Robert Seiwert)