Souveräne Führung in der Konstrukteurswertung, perfekte Punkteausbeute für Nico Rosberg und Lewis Hamilton trotz aller Probleme noch immer auf WM-Rang zwei. Für Mercedes könnte die F1-Saison 2016 kaum viel besser laufen. Dennoch ist das Team längst nicht zufrieden. Dazu hat der Defektteufel die Silberpfeile einfach schon zu oft heimgesucht. "Realistisch betrachtet kann man also schwer mehr verlangen. Dennoch war es bislang alles andere als eine Kaffeefahrt. Wir hatten Probleme, an deren Lösung wir hart arbeiten", sagt Motorsportchef Toto Wolff.

Allerdings trifft das fast ausschließlich nur auf eine Seite der Garage zu, entsprechende Verschwörungsvorwürfe machten unter den Fans bereits die Runde. Mercedes reagierte, verteidigte in einem offenen Brief die Crew. Auch Hamilton selbst meldete sich zu Wort, stellte sich verbal vor seine Jungs. Trotz alledem braucht es jetzt auch für den Briten endlich ein sauberes Wochenende. Da kommt Barcelona doch wie gerufen: Bei den Wintertestfahrten in Spanien hatte sich der W06 Hybrid immerhin als kugelsicher erwiesen ...

Das letzte Rennen: Dramatischer Doppelsieg

Auf dem Papier lief es für Mercedes beim vergangenen Rennen in Russland ideal. Der vierte Lauf der Saison brachte den Silberpfeilen den zweiten Doppelsieg des Jahres und damit den 25. des Duos Hamilton/Rosberg insgesamt - neuer F1-Rekord. Trotzdem brodelte es im silbernen Lager ganz gewaltig. Die Technik machte Mercedes massiv zu schaffen. Zu einem Zeitpunkt des Rennens habe man sogar damit gerechnet, dass keiner der beiden Boliden es beenden werde. Wie Hamilton es mit einem Wasserleck überhaupt ins Ziel geschafft habe, sei einem selbst schleierhaft, so Mercedes.

Für Hamilton war das bereits der zweite Rückschlag an diesem Wochenende. Seinen wundersamen Ritt von Startplatz zehn auf P2 hatte ein erneuter Defekt an der MGU-H im Qualifying überhaupt erst ausgelöst. Es war dasselbe Problem wie schon zwei Wochen zuvor in China.

Die Neuerungen: Volldampf für Millisekunden

Nachdem bereits zwischen China und Russland die Fabrik in Brackley auf Hochtouren drehte, um das Problem an Hamiltons Power Unit zu identifizieren und zu beheben, mussten die Ingenieure nach dem Russland-Wochenende also an gleicher Steller weiterarbeiten - um nicht zu sagen, noch einmal von vorne beginnen. "Das Team hat seit seiner Rückkehr aus Russland rund um die Uhr gearbeitet. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sie den Problemen, die wir hatten, auf den Grund gegangen sind", hofft Hamilton.

Technikchef Paddy Lowe macht dem Weltmeister Mut. Mercedes habe den Fokus voll darauf gelegt, die Zuverlässigkeit in den Griff zu bekommen. "An den vergangenen beiden Rennwochenenden hatten wir ein sich wiederholendes Problem mit der MGU-H. Die Lösung dieses Problems hat für uns die allerhöchste Priorität. Das Team hat Tag und Nacht gearbeitet, um es zu verstehen, und unser Ziel ist, ein rundum sauberes Wochenende zu absolvieren", sagt Lowe.

Was neue Teil betrifft - in Barcelona sind umfangreiche Updates ja gute, alte F1-Tradition - lässt sich Mercedes vorab nicht in Karten schauen. Wolff versichert einzig, jeden Bereich des Autos auf Verbesserungen zu beackern. "Das gesamte Team, sowohl auf der Chassis- als auch der Power-Unit-Seite, arbeitet mit Volldampf daran, jede weitere Millisekunde aus unserem Paket herauszuquetschen – natürlich ohne dabei die Zuverlässigkeit zu beeinträchtigen", sagt Wolff. "Wir haben eine großartige Truppe an Ingenieuren und ich habe keinen Zweifel daran, dass ihnen das gelingen wird. Wir verbessern uns immer als Team." Auch Lowe gibt sich zum Europa-Auftakt geheimnisvoll: "Nun erhalten wir beim Umstieg von der Luftfracht auf die Renntrucks die Gelegenheit, die Teile und unsere Ausrüstung zu erneuern ..."

Die Erwartungen: Pudelwohl-Rosberg vs. Glas-halbvoll-Hamilton

Nach seiner Pannen-Plage der ersten Saisonrennen geht Lewis Hamilton Lauf fünf ruhig an. "Es war schön, nach Russland eine kleine Pause zu haben. Das gibt einem die Gelegenheit, mit etwas Abstand zum Rennwochenende darüber nachzudenken, was man vielleicht hätte anders machen können", sagt der Weltmeister. Sein Fazit: Im Grunde genommen läuft es besser als es scheint. Think positive, so Lewis' Motto für Spanien. "Wir haben die Abstimmung des Autos bislang an jedem Wochenende gut getroffen. Leider konnte ich das nie voll ausreizen. Für mich ist das Glas aber halbvoll", erklärt Hamilton.

Sein Selbstvertrauen scheint jedenfalls nicht die Spur eines Kratzers erlitten zu haben. "Ich weiß, dass ich noch immer schnell bin. Dessen bin ich mir seit dem ersten Testtag bewusst. Wann immer ich in dieser Saison freie Fahrt und ein unbeschädigtes Auto hatte, habe ich das auch auf der Strecke gezeigt. Ich bin zuversichtlich, dass ich in Spanien ein gutes Wochenende haben kann", sagt Hamilton.

Doch Teamkollege Nico Rosberg steht dem Champion da in keiner Weise nach. In Spanien kann der Deutsche mit Michael Schumachers zwölf Jahren altem, irrem Startrekord von fünf Siegen in Serie zu Saisonbeginn gleichziehen. "Ich habe die ersten vier Saisonrennen gewonnen – damit hätte ich nicht gerechnet. Das war ein super Start, aber im Moment genieße ich einfach den Augenblick und meine aktuelle Form. Ich gebe mein Bestes, um so weiterzumachen und hoffe, dass ich es bis zum Saisonende durchziehen kann", sagt Rosberg.

Auch ein zweiter Platz sei da kein Drama. "Im Sport gibt es Höhen und Tiefen", weiß Rosberg. Man müsse eben nur vorbereitet sein. Ein WM-Vorsprung von 43 Punkten ist da sicherlich nicht die schlechteste Wahl. Doch wieso sollte 'nur' Platz zwei werden? "Im vergangenen Jahr habe ich dort meine erste Pole und meinen ersten Sieg auf dieser Strecke eingefahren. Derzeit fühle ich mich pudelwohl im Auto. Das ist großartig, da ich daraus dieses unglaubliche Selbstvertrauen ziehe, bis an die Grenzen zu gehen", sagt Rosberg. Allerdings erwarte er einen harten Kampf.

Das bestätigt erneut Toto Wolff. "Wir spüren den Atem unserer Gegner im Genick, die uns unablässig weiter antreiben", sagt der Motorsportchef. "Wir gehen bis an die Grenzen, um sicherzustellen, dass wir konkurrenzfähig bleiben. Aber wenn man ans Limit geht, riskiert man ab einem gewissen Grad auch, dass man darüber hinaus schießt." Am Ende geht es für Mercedes in Barcelona also besonders um Eines: endlich wieder perfekte Zuverlässigkeit. Wie bei den Testfahrten vor zwei Monaten eben.

Die Statistik: Mercedes beim Spanien GP

SiegePolesSchn. RundenPodiumPunktekm geführt
Mercedes 2 315 132656
Nico Rosberg 1 2-2 67354
Lewis Hamilton 1 135 79391

Mercedes: Barcelona-Bilanz

Mercedes in Barcelona: Nach zahlreichen durchwachsenen Ergebnissen glückte Mercedes 2014 der große Wurf. Lewis Hamilton gewann vor Nico Rosberg, womit die Silberpfeile einen weiteren Doppelsieg auf dem Weg zum Weltmeistertitel feierten. Ein Jahr später dasselbe Bild - nur mit Rosberg vor Hamilton.

Lewis Hamilton in Barcelona: Wäre Hamilton 2012 wegen zu wenig Sprit im Tank nach dem Qualifying nicht disqualifiziert worden, hätte er vielleicht schon damals in Diensten von McLaren seinen ersten Sieg in Barcelona gefeiert. Diesen holte der Brite 2014 nach. Abgerundet wird Hamiltons Spanien-Bilanz von drei zweiten Rängen und einem dritten Platz.

Rosberg in Barcelona: Der Wahlmonegasse stand 2014 als Zweiter zum ersten Mal auf dem Podium. Zuvor hatten zwei sechste Plätze Rosbergs Bestleistung dargestellt. Doch vergangenes Jahr legte Rosberg richtig nach: Sieg in Spanien vor Hamilton!

Die Prognose: Ferrari sitzt im Nacken

  • Zwei lange Geraden helfen Mercedes
  • Schnelle Kurven jedoch eher Ferrari
  • Risikofaktor MGU-H: Halten beide Silberpfeile?
  • Starke Performance bei den Testfahrten
  • Konkurrenz brennt Update-Feuerwerk ab

Motorsport-Magazin.com meint: Ein Team so professionell und zwei Jahre am Stück so dominant wie Mercedes muss natürlich auch in Barcelona der Siegfavorit Nummer eins sein. Dafür muss Mercedes allerdings sicherstellen, genug Kruzifixe gegen den Technikteufel einzupacken. Der war gerade Lewis Hamilton zuletzt ja alles andere als wohlgesonnen. Noch dazu gilt nach wie vor: Kommt Ferrari endlich mal problemfrei durchs Wochenende, ist die Scuderia ein harter Gegner. Das gilt insbesondere auf dem kurvenreichen Circuit de Barcelona-Catalunya, wo Ferrari bereits bei den Testfahrten auf Augenhöhe mit Mercedes brillierte. (Jonas Fehling)