Selten zuvor sprach der Trend so für einen Fahrer, wie momentan für Nico Rosberg. Mit vier Siegen aus den ersten vier Saisonrennen nimmt der Mercedes-Pilot direkten Kurs auf seinen ersten WM-Titel, womit er seinem Vater Keke nacheifern würde. Diesem genügte 1982 ein einziger Erfolg für den großen Wurf.

Doch so gut Rosbergs Ausgangslage auch sein mag, der Schein trügt ein wenig. Zwar beträgt Rosbergs Vorsprung auf Lewis Hamilton, seinen ersten Verfolger, 43 Punkte, allerdings sind aufgrund des Rekordkalenders noch 17 Rennen zu absolvieren und demnach 425 Zähler zu vergeben. Motorsport-Magazin.com nimmt die WM-Chancen der Top-Piloten unter die Lupe.

Nico Rosberg - 100 Punkte

Nico Rosberg kommt aus dem Feiern gar nicht heraus, Foto: Sutton
Nico Rosberg kommt aus dem Feiern gar nicht heraus, Foto: Sutton

Keine Diskussion, Nico Rosberg verfügt über die mit Abstand beste Ausgangslage hinsichtlich des Gewinns der Weltmeisterschaft. Wer mit vier Siegen in die Saison startet und saisonübergreifend sogar bei sieben Erfolgen en suite hält, der gilt absolut zu Recht als Top-Favorit auf den Titel. Jeder Pilot, der die ersten vier Saisonrennen für sich entschied, stand auch am Ende des Jahres auf Platz eins, besagt die Statistik.

Ebenfalls für Rosberg spricht, dass sich der Defektteufel momentan auf seinen Teamkollegen Lewis Hamilton konzentriert, während der Deutsche von technischen Problemen verschont bleibt. Dass dafür der im Winter vollzogene Tausch der Mechaniker-Crews verantwortlich ist, wird von Mercedes naturgemäß vehement bestritten.

Trotz all dieser Faktoren, die für Rosberg sprechen, bleibt der 30-Jährige ausgesprochen vorsichtig und rechnet fest mit einem Comeback Hamiltons im Titelkampf. "Ich bin mir sicher, dass Lewis zurückschlagen wird, wenn er ein sauberes Wochenende hat", will Rosberg noch lange nichts von einer Vorentscheidung im Titelkampf wissen, zumal er auch wieder schwächere Phasen kommen sieht. "Ich bin mir bewusst, dass es nicht für immer so weitergehen wird, und es Aufs und Abs geben wird. Darauf muss ich dann vorbereitet sein."

Lewis Hamilton - 57 Punkte

Lewis Hamilton ist vom Pech verfolgt, Foto: Sutton
Lewis Hamilton ist vom Pech verfolgt, Foto: Sutton

Angesichts von Lewis Hamiltons Erfolgen in den letzten Jahren ist es kaum zu glauben, doch der letzte Sieg des Briten datiert aus dem Oktober 2015, als er in Austin gewann und damit vorzeitig den Weltmeistertitel fixierte. Alle Rennen seither entschied hingegen Rosberg für sich. Hamiltons Negativlauf, der ihn trotz allem auf den zweiten Rang des Gesamtklassements geführt hat, ist eine Kombination aus Eigenfehlern wie dem schlechten Start in Melbourne und unverschuldeten Problemen wie Kollisionen und Technikdefekten.

Mut schöpfen kann Hamilton aus einem Blick in die Vergangenheit. Zwar lag der Brite noch nie 43 Punkte hinter Rosberg zurück - das entspricht einem Sieg und einem zweiten Platz -, vor zwei Jahren betrug sein Rückstand zur Saisonmitte jedoch 29 Zähler. Danach startete Hamilton eine eindrucksvolle Aufholjagd auf den nach der stallinternen Kollision von Spa mental am Boden liegenden Rosberg und krönte sich zum ersten Mal in Diensten von Mercedes zum Champion.

Gegen Hamilton spricht indessen, dass er in Folge seiner vielen Defekte schon einige Power-Unit-Teile verbraucht hat und nach nicht einmal einem Viertel der Saison bereits jeweils beim dritten MGU-H und Turbolader hält. Vier Wechsel pro Jahr sind straffrei, danach geht es in der Startaufstellung zurück. "Wir müssen unsere Zuverlässigkeit steigern", fordert Hamilton deshalb vehement.

Kimi Räikkönen - 43 Punkte

Kimi Räikkönen ist die Nummer eins bei Ferrari, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen ist die Nummer eins bei Ferrari, Foto: Sutton

Damit, dass nicht Sebastian Vettel, sondern Kimi Räikkönen der bestplatzierte Ferrari-Fahrer sein würde, hatten vor der Saison wohl nicht viele Beobachter gerechnet. Doch während Vettel bereits zwei Mal ausschied, hat der Finne bislang nur den Nuller vom Saisonstart zu Buche stehen und punktete abgesehen davon mit den Rängen zwei, drei und fünf relativ konstant. Dass es für den Champion von 2007 sehr wahrscheinlich nicht zum Titel reichen wird, liegt dennoch auf der Hand, wenngleich man den Traum von der Weltmeisterschaft in Maranello noch nicht aufgegeben hat.

"Jeder wusste vor der Saison, dass eine enorme Aufgabe vor uns liegt", sagte Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene nach dem jüngsten Rennen in Russland. "Aber Ferrari darf den Weltmeistertitel nicht aufgeben und ich werde das auch nicht erlauben", gibt sich der charismatische Italiener trotz des augenscheinlichen Leistungsdefizits gegenüber Mercedes nach wie vor kämpferisch und ist angesichts der noch 17 zu fahrenden Rennen sicher: "Ich bin überzeugt, dass der WM-Zug noch nicht abgefahren ist."

Für Ferrari spricht, dass dem SF16-H die Charakteristik der nächsten Strecken liegen sollte. In Barcelona, wo Mitte Mai der Europaauftakt stattfindet, schlug sich die Scuderia im Zuge der vorsaisonalen Testfahrten ausgesprochen gut. Arrivabene: "Ferrari hat die menschlichen, technischen und finanziellen Ressourcen, um im Rennen zu bleiben und den aktuellen Trend in der Weltmeisterschaft umzukehren. Wenn wir die nächsten fünf Rennen gewinnen, ist alles wieder richtig offen."

Daniel Ricciardo - 36 Punkte

Red Bull befindet sich im Aufwärtstrend, Foto: Sutton
Red Bull befindet sich im Aufwärtstrend, Foto: Sutton

Red Bull ist eine der positiven Überraschungen der bisherigen Saison, was sowohl dem traditionell guten Chassis als auch dem deutlich verbesserten Renault-Motor geschuldet ist, wenngleich dieser 2016 unter dem Namen den TAG Heuer firmiert. Bis zum Rennen in Sochi war Daniel Ricciardo ein Muster an Konstanz und überquerte die Ziellinie jeweils als Vierter. Gestoppt wurde diese starke Serie durch eine Kollision mit Sebastian Vettel, nachdem ausgerechnet Ricciardos Teamkollege Daniil Kvyat den Ferrari gegen den Wagen des Australiers gedrückt hatte, was schwere Beschädigungen nach sich zog.

Dass Red Bull, Weltmeister der Jahre 2009 bis 2013, Mercedes in dieser Saison gefährlich werden kann, ist zwar nahezu auszuschließen, Ferrari könnten die Bullen allerdings tatsächlich auf die Hörner nehmen. Dafür spricht, dass Ricciardo bereits jetzt vor Sebastian Vettel liegt, noch ehe Renault Mitte Juni in Kanada das geplante Motorupgrade an den Start gebracht hat.

"Wir wollen Platz drei in der Konstrukteurs-Meisterschaft erreichen", gab Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko vor Saisonbeginn im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com zu Protokoll, fügte jedoch an: "Wenn das Entwicklungstempo bei unserem Motorenpartner so weitergeht, könnte es vielleicht reichen, dass wir auch an Ferrari rankommen." Die Chancen dafür stehen momentan gar nicht so schlecht.

Sebastian Vettel - 33 Punkte

Sebastian Vettel erlebt bisher eine Saison zum Vergessen, Foto: Sutton
Sebastian Vettel erlebt bisher eine Saison zum Vergessen, Foto: Sutton

Der Gewinn der Weltmeisterschaft mit Ferrari - das war Sebastian Vettels glasklar formuliertes Ziel für die Saison 2016. Nach vier Rennen scheint dieses aber bereits in weite Ferne gerückt, zu schwach waren die bisherigen Ergebnisse des Heppenheimers. Einem dritten Platz beim Saisonauftakt in Australien folgte ein motorbedingter Ausfall noch vor dem Start des Rennens in Bahrain. In China ging es dann mit Rang zwei wieder aufwärts, ehe in Russland Torpedo-Kvyat Vettel aus dem Rennen riss.

Auf stattliche 67 Punkte ist Vettels Rückstand aufgrund dessen bereits angewachsen - viel zu viel sowohl für seine Ansprüche als auch jene der Scuderia. "Wir müssen den Abstand mit Lichtgeschwindigkeit schließen", fordert daher Ferrari-Präsident Sergio Marchionne, der nach der mittlerweile seit 2007 (Fahrer) beziehungsweise 2008 (Konstrukteure) andauernden Durststrecke endlich wieder nach einem Titel lechzt.

"Ich war es gewohnt, das Ferrari von Schumacher zu sehen - es tut mir in der Seele weh, ein Ferrari zu sehen, das leidet", gehen Marchionne die Jahre der Erfolglosigkeit sichtlich nahe. In der vergangenen Saison feierte Ferrari drei Siege - zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre die Egalisierung dieses Werts bereits als Erfolg zu bezeichnen. Ob dies gelingt, wird nicht zuletzt davon abhängen, wann die Scuderia den Fokus auf 2017 richtet, wenn das neue Technische Reglement in Kraft tritt.