Sie gehören zu den mächtigsten Männern der Formel 1. Dennoch ist diese Spezies heutzutage beinahe ausgestorben. "Ich denke, die Position des Teamchefs existiert heute praktisch nicht mehr", gibt Eric Boullier offen zu. Der Franzose bekleidet nach seinem Wechsel von Lotus zu McLaren auch offiziell nicht mehr den Posten des Teamchefs. Stattdessen weist ihn seine Visitenkarte als Renndirektor aus. Aus Sicht des Weltverbandes FIA besitzt Boullier die offizielle Lizenz, den Rennstall mit allen Rechten und Pflichten eines Teamchefs zu vertreten.

Nur mit berühmten Amtsvorgängern wie Colin Chapman, Ken Tyrrell oder Flavio Briatore hat er nichts gemein. Dieses Berufsbild entstand in den ersten Jahrzehnten der Königsklasse des Motorsports. Damals waren die Mannschaften noch kleiner und reine Rennteams. Der Teambesitzer und Gründer agierte selbst als Teamchef, kümmerte sich um alle Belange vom Personal über die Technik bis zur Leitung an der Rennstrecke. "Das gibt es nicht mehr", bestätigt Motorsport-Magazin.com Experte Christian Danner. "Das war früher halt anders. Bei Tyrrell waren es vielleicht 25 Leute. Da bist du schnell der Teamchef, jetzt sind es mehr als 600 Leute. Da wird es schon schwieriger."

Männer wie Maurizio Arrivabene haben heute eine ganze Heerschar von Angestellten, die sie leiten müssen, Foto: Sutton
Männer wie Maurizio Arrivabene haben heute eine ganze Heerschar von Angestellten, die sie leiten müssen, Foto: Sutton

Selbst kleinere Formel-1-Teams haben heutzutage mehrere hundert Mitarbeiter, die Topteams erreichen mit ihren Chassis- und Motorenschmieden locker 700 bis 1.000 Teammitglieder. "So etwas lässt sich nicht genauso führen wie vor 20 Jahren", betont Boullier. "Die Kultur, das Personalwesen, alles ist ganz anders." Aus diesem Grund stehen Boullier zum Beispiel eine Reihe an Spezialisten zur Seite. Der Franzose kümmert sich um die Arbeitsabläufe, Neuzugänge, die Fahrer und steht als technischer und sportlicher Vertreter an der Front. Er ist aber nicht selbst auf Sponsorensuche. Marketing und Verkauf sind beim ehemaligen Teamchef Ron Dennis angesiedelt. Das Management von McLaren Racing verantwortet Jonathan Neale.

Auch beim amtierenden Weltmeisterteam herrscht eine gewisse Gewaltenteilung. Die Rolle des Teamchefs gibt es seit dem Abgang von Ross Brawn offiziell nicht mehr in Brackley. Stattdessen sind Toto Wolff und Paddy Lowe in Personalunion verantwortlich. Der Österreicher zeichnet für die wirtschaftlichen Aspekte verantwortlich. Zudem ist er als Mercedes-Motorsportchef auch für die anderen Motorsport-Engagements der Marke zuständig, also das Formel-3-Programm und die DTM. Lowe wechselte von McLaren zu Mercedes und verantwortet die technischen Abteilungen. Seit dem Abschied von Technikchef Bob Bell hat Lowe auch diese Rolle übernommen.

"Ich finde das gut", sagt Niki Lauda gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Einer macht die kommerzielle Seite und der andere soll sich nur um die Technik kümmern. Das finde ich vernünftig." Der Ex-Champion ist dabei natürlich nicht ganz unparteiisch. Immerhin ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Silberpfeil-Teams. "Es gibt Lowe und Wolff, aber weißt du, wer am Ende das Sagen hat? Klar, der Niki", sagt Danner mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht. "Wenn es hart auf hart kommt, stellt Niki alle in die Ecke. Das ist gut so, weil die Gefahr in der heutigen Formel 1 darin besteht, dass sich Grüppchen bilden."

Bei Mercedes verteilt sich die Verantwortung auf mehrere Schultern, Foto: Mercedes-Benz
Bei Mercedes verteilt sich die Verantwortung auf mehrere Schultern, Foto: Mercedes-Benz

Diese können zu Grabenkämpfen innerhalb der technischen und organisatorischen Struktur oder zwischen verschiedenen Abteilungen führen. Ferrari war in der Vergangenheit ein Paradebeispiel für Schuldzuweisungen und Sündenbocksuche. "Jeder versucht nur noch sein eigenes Überleben zu sichern", sagt Danner. "Dabei verlieren sie das Ergebnis völlig aus den Augen. Deswegen ist jemand wie Niki so wichtig. Er ist ein permanenter Wachrüttler."

Die neue Generation an 'Teamchefs' sieht sich auch neuen Herausforderungen gegenüber. Diese liegen bei weitem nicht nur auf der Rennstrecke oder im Umfeld der Technik und Fahrer. Ein einfacher Rechenfehler, eine falsche Entscheidung beim prestigeträchtigen Monaco Grand Prix überschwemmte die Mercedes-Verantwortlichen in diesem Jahr mit einer Flut an Beschimpfungen und teils übelster Kritik.

Nur wenige Wochen zuvor wurde Social Media von einigen Verantwortlichen noch als das Allheilmittel für die Sorgen der Formel 1 gerühmt. Plötzlich zeigte die Wunderwaffe ihre Schattenseiten. Toto Wolff reagierte prompt - und ehrlich. Er gestand den Fehler öffentlich ein und stellte sich bei Twitter sogar eine Stunde lang den Fragen der Fans. Auch das gehört heutzutage zu den Aufgaben eines Motorsportchefs. Jean Todt kann froh sein, dass Twitter, Facebook & Co in Tagen der Ferrari-Stallregie noch in den Kinderschuhen steckten...

Colin Chapman revolutionierte die Formel-1-Autos mehrfach, Foto: Sutton
Colin Chapman revolutionierte die Formel-1-Autos mehrfach, Foto: Sutton

Colin Chapman - Der Erfinder

Die spektakulärsten Innovationen seiner Zeit gehen auf den genialen Rennwagenkonstrukteur Colin Chapman zurück. Er gründete die legendäre Rennwagenschmiede Lotus und verhalf ihr mit seinen Erfindungen zu Weltruhm. Seine Piloten zahlten dafür aber einen hohen Preis: ausgereift waren die Entwicklungen selten und zudem war Chapmans oberstes Credo: nach der Ziellinie muss ein Rennwagen auseinanderfallen - sonst war er nicht am Limit gebaut. Bevor Jochen Rindt wegen eines technischen Defekts tödlich verunglückte, gab es mehrmals Streit zwischen dem Österreicher und Chapman. Rindt waren seine Autos zu gefährlich.

Ken Tyrrell - Der Onkel

Der Brite erkannte früh, dass er nicht der begnadetste aller Rennfahrer war. Dafür konnte er ein Rennteam auf andere Art und Weise zu Erfolgen verhelfen - indem er es leitete. Tyrrell leitete sein Team nicht nur mit dem nötigen Sachverstand und Geschäftssinn, sondern vor allem mit Herz. "Abgesehen von meiner Familie war Ken die wichtigste Person in meinem Leben", sagte Sir Jackie Stewart, der seine drei Weltmeisterschaften gemeinsam mit 'Uncle Ken' gewann. Dabei ist Onkel sogar noch eine Untertreibung: "Er war so viel mehr als ein Teambesitzer und Teammanager für mich. Ken war wie ein Vater."

Flavio Briatore feierte mit Michael Schumacher seine ersten großen Erfolge in der Formel 1, Foto: Sutton
Flavio Briatore feierte mit Michael Schumacher seine ersten großen Erfolge in der Formel 1, Foto: Sutton

Flavio Briatore - Der Glamouröse

Der Italiener war vielleicht der letzte schillernde Teamboss in der Formel 1. Geschäfte am Rande der Legalität und darüber hinaus - so lässt sich Briatores Karriere umreißen. Mit Michael Schumacher und Fernando Alonso feierte er ebenso große wie umstrittene Erfolge - trotz zunächst eher beschränkter Ahnung vom Motorsport. Die Autos sollen nicht immer den technischen Regularien entsprochen haben, es wurde getrickst wo es nur ging. Höhepunkt und Ende fanden diese Tricksereien im Singapur GP 2009 mit der Crashgate-Affäre. Im Privatleben ließ er es ähnlich krachen - mit Kalibern wie Naomi Campbell oder Heidi Klum.

Jean Todt - Der Teamplayer

Unscheinbar - so wirkt der kleine Franzose, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet. Mit seinen 1,59 Meter kann er sich mit Bernie Ecclestone auf Augenhöhe unterhalten - nicht nur was die Körpergröße angeht. Todt räumte bei seinem Amtsantritt in Maranello 1993 rigoros auf und holte 1996 nicht nur Michael Schumacher von Benetton, sondern ein ganzes Ingenieursteam. Er war der Kopf des Dream Teams aus Schumacher, Ross Brawn und Rory Byrne. Oberste Prämisse: Erfolg um jeden Preis. Rubens Barrichello weiß ein Lied davon zu singen.

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